(1) Tag der Arbeit – Hilfe, ich bin unnütz und unproduktiv!
Der Erste Mai. Vor sechs Wochen noch war das Tag für den Kampf um das Recht auf Arbeit. Jetzt steht er für das Eingeständnis, unnütz und unproduktiv zu sein. Jedenfalls für die Mehrheit der Systemunrelevanten – eine Fotoserie zum einstigen Tag der Arbeit.
(Michael Magercord) – Arbeit, Angst, Konsum: das soll nun der Dreiklang zum Auftakt für den großen Festtag der Arbeit sein? Auch noch im Coronajahr 2020, wo so manche weder arbeiten noch konsumieren und doch Angst haben? Oder gerade zu dieser Zeit? Zumindest sind es drei große Worte, die schon so manches Mal zusammen gedacht worden sind, bevor sie auf diesem Aufkleber zusammengeführt wurden.
Drei Worte also – die beiden ersten, Arbeit und Angst, sind seit Undenklichkeiten Begleiter des Menschen, das letzte, Konsum, ist erst in jüngerer Zeit in Gebrauch gekommen. Bei allen Dreien weiß man gar nicht so genau, als was sie tatsächlich bezeichnen: Sind damit Tätigkeiten und Verrichtungen gemeint, eine Schockstarre oder ein Grundgefühl bezeichnet? Oder wird bei ihrer Zusammenstellung doch eher an übergeordnete Prinzipien gedacht, die hinter diesen Worten lauern?
Ja, ich gebe es zu: Dieser Dreiklang der drei Substantive versetzt sich in eine eigenartige Schwingung. Fast so, wie sich in einem guten Gedicht zusammenhangslose Worte zur Poesie vereinen. Worin also liegt nun der Zusammenhang zwischen ihnen? Wie könnte man ihn herstellen? Versuchen wir es mit mathematischen Gleichungen. Etwa mit dieser Addition aus dem Grundgefühl und der entlastenden Verrichtung auf die Tätigkeit: Arbeit = Angst + Konsum. Herrscht nicht eher ein abzüglicher Zusammenhang zwischen Tätigkeit und Gefühl vor, wie man ihn in der Wirtschaftswissenschaft gerne als Verbraucherstimmung zum Index des Zukunftsvertrauens konstruiert: Arbeit – Angst = Konsum. Oder stimmt diese Aufrechnung: Arbeit + Angst = Konsum?
Sicher steckt hinter jeder dieser Gleichungen ein Fünkchen Wirklichkeit, doch erscheint mir, dass vor allem in der letzten Rechnung, die den Konsum zum Ergebnis aus der Addition von Arbeit und Angst macht, ein Prinzip deutlich wird, das unserer Zeit und Gesellschaft zugrunde liegt. Landläufig stellt man ja Arbeit und Lohn in einer Gleichung gegenüber, beides soll unmittelbar zusammenhängen. Doch handelt es sich dabei um eine Pseudo-Äquivalenz, also eine nur vorgespielte Gleichwertigkeit. Denn wir wissen nur zu gut, dass der Wert der Arbeit und des Lohnes in der Regel weit auseinanderklaffen: Entweder schuftet man und nichts kommt dabei rum, weil der Mehrwert in anderen Taschen landet. Oder eine Arbeit wird weit über das tatsächlich Geleistete vergütet, oft dann, wenn der Empfänger selbst oder seines- und ihresgleichen für die Verteilung der von anderen erwirtschafteten Werte sorgt.
Beim Konsum liegt die Sache anders, denn da besteht ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Arbeit. Konsum beschreibt ja nur den Anteil am Warenverzehr, der über das unmittelbar Notwendige hinausgeht. Denn nur dafür muss man tatsächlich arbeiten. Für den notwendigen Verbrauch von Gütern des alltäglichen Bedarfs bedarf es in unserer Gesellschaft nicht unbedingt der Arbeit, den regelt zur Not auch die sozialstaatliche Grundversorgung. Konsum ist somit letztlich nur die Fortsetzung von Arbeit – und zwar jener Arbeit, die sich am gerade nicht mehr notwendigen Produkt vollzogen hat, das nun verzehrt wird.
Ich habe es mir verdient! Dafür habe ich gearbeitet! So lauten Argumente, die den Konsum von Überflüssigem begründen. Natürlich wissen wir alle, dass Konsum mit Gefühlen verbunden ist: Wünsche, Befriedigung, Genuss: alle sind käuflich zu erwerben. Aber wie steht es um die Angst? Was hat sie in dieser Gleichung zu suchen? Angst vor Arbeit an sich, von der man sich durch Konsum freikauft? So fände sich die kompensierte Angst also im Konsum wieder. Und Konsum wäre schließlich das Element, das dafür sorgt, dass Arbeit sogar weit unter dem von ihr erzeugtem Mehrwert entlohnt werden kann und sie trotzdem noch jemand macht.
Das klingt plausibel, ja, aber schwingt im Dreiklang Arbeit-Angst-Konsum nicht doch noch mehr mit? Nämlich die Ahnung der Sinnlosigkeit allen Tuns, Strebens und Rackerns: Ich, der Arbeitende, bin unnütz und unproduktiv, denn meine Arbeit vollzieht sich am letztlich Überflüssigen. Alles Werken nur um Konsum zu werden! Doch genau da lauert zwischen den Zeilen auch eine Chance. Denn die eine Seite der Gleichung kann ich tatsächlich beeinflussen: den Konsum. Mit dem Ausstieg aus seiner Zwanghaftigkeit ließe sich die Arbeit oder die Angst oder beides verringern.
Ach, wäre das Leben doch Poesie! Doch leider liegen die Dinge ja meist nicht so einfach, was ja auch an der oben beschriebenen Verhältnislosigkeit zwischen Arbeit und Lohn liegt. Dennoch geht von dieser Wortspielerei eine Kraft aus, was sich auch daran zeigt, wie mit ihr umgegangen wird. Denn kaum war sie einmal von einem ehrenamtlichen Poeten auch an die Rückwand vom Finanzamt und des Arbeitsgerichts im Gutleutviertel von Frankfurt gesprayt, wurde sie schon baldigst entfernt – von dafür entlohnten Arbeitern. Ja, da ist etwas in Schwingungen geraten…
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