100? 130? Tempolimit?

Die Lage muss ernst sein, dass sich die Politik an ein deutsches Tabuthema traut – das Tempolimit auf deutschen Autobahnen. Mit „freie Fahrt für freie Bürger“ war es das wohl erst einmal...

Mit "Richtgeschwindigkeit" dürfte es bald vorbei sein - ein Tempolimit muss her. Foto: Arroww at English Wikipedia / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Jahrzehntelang hat sich die deutsche Politik nicht an das Reizthema „Tempolimit“ heran getraut. Und irgendwann war Deutschland dann das einzige Land in Europa OHNE Tempolimit auf den Autobahnen. Das Losungswort hieß „freie Fahrt für freie Bürger“ und wurde unter anderem vom mächtigen ADAC getragen. Welche Partei hätte sich schon getraut, sich mit einem Verband anzulegen, der mehr als 21 Millionen Mitglieder zählt? Doch was die Politik nicht schaffte, das gelingt nun Wladimir Putin. Angesichts der sich abzeichnenden Energiekrise werfen die deutschen Parteien nun das Thema „temporäres Tempolimit“ in die Diskussion. Und das ist natürlich richtig so.

„Keine Denkverbote“ heißt es selbst in der CDU, wenn es darum geht, wie man in Deutschland über den ersten Kriegswinter des Ukraine-Kriegs kommen soll. Die Themen sind breit gestreut und vermutlich wird man sie alle aktivieren müssen, um den Wegfall fossiler Energieträger aus Russland zu kompensieren: Energie sparen, mehr Biomasse, eine zeitlich begrenzte Verlängerung der Atomenergie und – das Tempolimit.

Die letzte Partei, die sich aus Klientel-Überlegungen noch gegen ein zumindest zeitlich begrenztes Tempolimit auf deutschen Autobahnen sperrt, ist die FDP. Aber die dürfte nicht ausschlaggebend sein, denn zahlreiche Abgeordnete der CDU/CSU dürften mit SPD und Grünen für eine solche Benzinspar-Regel stimmen. Denn die Öl- und Gas-Knappheit in der Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine darf kein Gegenstand parteipolitischer Überlegungen sein – wir sitzen momentan tatsächlich alle im gleichen Boot und die Anstrengungen, die jetzt unternommen werden müssen, sollten eben auch von allen getragen werden, gleich, ob man nun einen alten Golf oder einen neuen Ferrari fährt.

In der Bundespolitik scheint man sich auf ein Limit zu verständigen, das es auch in vielen anderen europäischen Ländern gibt – 130 km/h. Der Deutschen Umwelthilfe (DUH) geht das allerdings nicht weit genug. Sie fordert ein Tempolimit von 100 km/h, zunächst begrenzt auf zwei Jahre und führt ein interessantes Argument an: Mit einem solchen Tempolimit würde man nicht nur viel Benzin sparen, sondern gleichzeitig einen Schritt in Richtung Klimaziele machen.

Das Problem für eine schnelle Umsetzung dieser mehr als sinnvollen Maßnahme ist Bundeskanzler Olaf Scholz. „Das steht nicht im Koalitionsvertrag und deshalb wird ein Tempolimit auch nicht kommen.“ Es stand allerdings auch nicht im Koalitionsvertrag, dass Russland in der Ukraine einmarschieren würde und die Energieversorgung erst gefährden und dann kappen würde. In dieser Situation muss Scholz handeln, denn sich auf den Koalitionsvertrag zurückzuziehen, der deutlich vor dem Entstehen dieser Krise unterzeichnet wurde, ist realitätsfremd. Die anrückende Energiekrise wird man, ebenso wie die Pandemie und den Ukraine-Krieg, nicht zu Tode verwalten können.

Aber im Grunde ist ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen ohnehin längst angesagt. Deutsche Autobahnen müssen keine lebensgefährlichen Rennstrecken für PS- und SUV-Protze sein, das „freie Fahrt für freie Bürger“ riecht nach einem Anachronismus der 60er Jahre – doch hat sich seitdem vieles verändert.

Immerhin – die DUH gibt Olaf Scholz noch einen guten Tipp mit auf den Weg, damit sich dieser nicht länger hinter dem Koalitionsvertrag versteckt: „Der Koalitionsvertrag sieht lediglich kein „generelles“ Tempolimit vor, was bedeutet, dass ein „temporäres“ Tempolimit als Notfall-Maßnahme durchaus sogar mit dem Koalitionsvertrag vereinbar wäre.

Herr Scholz, übernehmen Sie!

2 Kommentare zu 100? 130? Tempolimit?

  1. Sie wissen genau, dass ein Tempolimit weder die Gaskrise löst, noch die Inflation senkt und schon gar nicht den Krieg beendet. Und von daher ist nichts richtig so, wie von Ihnen konstatiert. Klimapolitik setzt auch nicht am Tempo an, auch das wissen Sie ganz genau.

    Wen man halt keine Mehrheiten für ein Thema zusammen bekommt, hängt man sich halt ins Schlepptau aktueller Themen. Also Tempolimit durch die Hintertür. Sehr demokratisch. Eine beliebte Masche von Ideologen und Demagogen.

    Und, ich kann auch Sie beruhigen: Die real gefahrene Geschwindigkeit auf deutschen Autobahnen liegt oft deutlich unter 100km/h. Dafür sorgen ein hohes Verkehrsaufkommen, Baustellen und Teilstreckenbegrenzungen schon ganz alleine. Es braucht diese grün-linke Bevormundung des Bürgers nicht.

    • Dass es im Moment kein Patentrezept gibt, mit dem die Energiekrise gelöst werden kann, ist klar. Daher sind viele Massnahmen erforderlich, die zusammen wirken müssen. Und glauben Sie wirklich, dass sämtliche Länder Europas und bis auf 2 oder 3 der Welt dumm sind, weil sie Tempolimits haben? Man kann nicht Änderungen und Verbesserungen fordern, wenn die Bedingung dafür ist, dass sich für einen selbst nichts verändert. Was haben wir denn zu befürchten, wenn in Deutschland wie in allen anderen europäischen Ländern ein Tempolimit eingeführt wird? Und dass ein Tempolimit den Krieg beenden oder die Inflation regeln würde, dazu haben selbst wir uns in dem Artikel nicht verstiegen… das müssen Sie woanders gelesen haben. Und was genau sind Ihre Argumente gegen ein Tempolimit?

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