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Dies ist die Zahl der afghanischen Ortskräfte, die zusammen mit ihren Familien über die Luftbrücke der Bundeswehr ausgeflogen wurden. Tausende weitere Ortskräfte hatten dieses Glück nicht.

Unter den über die Luftbrücke geretteten Afghanen waren nur sehr wenige Ortskräfte der Bundeswehr. Foto: U.S. Marine Corps photo by 1stLt. Mark Andries / Wikimedia Commons / PD

(KL) – Die Zahlen stammen aus dem Bundesinnenministerium und wurden im Bundestag vorgetragen. Von den etwas mehr als 5300 Menschen, die von der Bundeswehr über die Luftbrücke aus Afghanistan ausgeflogen wurden, befanden sich lediglich 101 afghanische Ortskräfte der Bundeswehr und deren Familien, zusammen rund 500 Personen. Den Tausenden weiterer afghanischer Ortskräfte wünscht die Bundesregierung, „dass sich viele in andere Länder retten konnten“. Dass dies seit Wochen überhaupt nicht mehr möglich ist, scheint man in Berlin noch nicht richtig verstanden zu haben.

Momentan gehören die afghanischen Ortskräfte der verschiedenen westlichen Streitkräfte zu den am meisten gefährdeten Personen in Afghanistan, da sie von allen Kräften im Land als „Verräter und Kollaborateure der Ungläubigen“ geächtet sind. Aus mehreren Städten im Norden des Landes, dort, wo keine westlichen Medien mehr unterwegs sind und die Taliban ihre ersten militärischen Erfolge verbuchten, berichten UN-Beobachter von Verhaftungen, Exekutionen und einer unübersichtlichen Lage.

Dass die Bundeswehr, die aufgrund politischer Fehleinschätzungen viel zu spät mit den Evakuierungen begonnen hat, mehr als 5000 Menschen aus der Hölle des Kabuler Flughafens ausgeflogen hat, ist eine Sache. Dass sich die Bundesregierung monatelang weigerte, die Ortskräfte der Bundeswehr auszufliegen, ist dagegen nicht nachvollziehbar. Über Wochen hatten die deutschen Behörden administrative Hürden für diese Ortskräfte aufgebaut, die Menschen beruhigt und vertröstet und dafür gesorgt, dass der heute geäußerte Wunsch, dass möglichst viele der Ortskräfte aus eigener Kraft das Land verlassen konnten, theoretischer Natur ist. Denn die afghanischen Ortskräfte hatten sich auf die Zusicherung der deutschen Behörden verlassen, sie im Bedarfsfall rechtzeitig zu evakuieren. Nur, und das ist eine bittere Feststellung, sie haben es nicht getan.

Hätte man diesen Menschen, insbesondere an den Standorten der Bundeswehr in den nördlichen Provinzen, rechtzeitig gesagt, dass man sie nicht evakuieren wird, hätten sie noch eine Chance gehabt, aus Afghanistan zu fliehen. Heute sitzen sie in der Falle und die Bundesregierung wünscht ihnen „alles Gute“.

Natürlich ist es möglich, dass im Chaos am Kabuler Flughafen auch Ortskräfte der Bundeswehr das Glück hatten, in den einen oder anderen Evakuierungsflug zu kommen und dass diese Menschen jetzt irgendwo anders in Europa sind. Doch dürften dies Ausnahmen sein und eine große Anzahl der Ortskräfte der Bundeswehr, die in den letzten 20 Jahren für die deutsche Armee gearbeitet haben, kommen heute nicht mehr aus dem von den Taliban kontrollierten Land heraus. Die deutsche Luftbrücke existiert nicht mehr und die Amerikaner beabsichtigen, innerhalb der nächsten Stunden ihre letzten Soldaten abzuziehen. Wie, bitteschön, will die Bundesregierung ihren früheren Ortskräften noch helfen? Meinen die westlichen Regierungen wirklich immer noch, dass sie den Taliban ihre Vorstellungen diktieren können?

Faktisch haben die deutschen Behörden Tausende frühere Mitarbeiter und deren Familien, entgegen aller Zusagen, in akute Lebensgefahr gebracht. Abgesehen davon, dass dieses Versagen der Behörden und der Politik ein Nachspiel haben muss, bleibt vor allem eines – dieses Versagen wird sehr viele Menschenleben kosten, die hätten gerettet werden können. Afghanistan wird eines der schwärzesten Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte werden.

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