11. November – Nie wieder Krieg, gell?

Am 11. November 1918 endete der I. Weltkrieg. Dass dieser Tag in Deutschland fast in Vergessenheit geraten ist, das ist traurig. Ebenso traurig wie die Erkenntnis, dass „Nie wieder Krieg“ nicht mehr gilt.

Das und nichts anderes ist Krieg - Sterben im Dreck, fern der Heimat, in Angst und Schmerz. Foto: Australian Official Photographer / Wikimedia Commons / PD

(KL) – Der 11. November 1918 fiel in eine dramatische Zeit. Seit Ende Oktober war Kaiser Wilhelm im Exil im belgischen Spa, in Kiel tobte seit Anfang November der Matrosenaufstand, zwei Tage zuvor hatte Philipp Scheidemann die Republik ausgerufen, und am frühen Morgen dieses 11. November, gegen 5:15 Uhr, unterzeichneten die Vertreter des Deutschen Reichs und der Alliierten im Wald von Compiègne in Nordfrankreich einen Waffenstillstand, der faktisch eine Kapitulation war. Damit endete ein Krieg, der bis zu 60 Millionen Menschenleben gekostet hatte und seitdem wird dieser Tag in vielen Ländern der Welt als Feiertag begangen (ebenso wie der 8. Mai, der Tag der Kapitulation von Hitler-Deutschland). In Deutschland hingegen wird dieses Datum leider weitestgehend ignoriert.

Aber in diesem 1. Kriegsjahr in Europa ist es unmöglich, die übliche 11. November-Rhetorik zu bemühen. „Nie wieder Krieg“, lautete die Losung bei den würdevollen Gedenkveranstaltungen an diesem kühlen Herbsttag. Und besonders deshalb, weil es nur wenige Jahre nach dem I. mörderischen Weltkrieg noch einen II. gab, der mindestens ebenso viele Menschenleben auslöschte wie der I., hatte die Losung „Nie wieder Krieg“ ein doppeltes Gewicht, ja, sie hatte Allgemeingültigkeit, sie stellte einen absoluten Konsens dar. Aber „Nie wieder Krieg“ kann man nicht in einem Kriegsjahr schreiben, in einem Krieg, der bereits seit Februar andauert und in einem militärischen und politischen Patt angekommen ist. Auch heute, an diesem Gedenktag des 11. November werden wir hin- und zur Kenntnis nehmen, dass keine der Kriegsparteien zu Verhandlungen bereit ist, dass die Auswirkungen der gegen Russland verhängten Sanktionen in einer weltweit verzahnten Wirtschaft eben auch weltweit sind und bereits jetzt, im 1. Kriegsjahr, erste Einschränkungen, Verknappungen und eine satte Inflation weltweit ausgelöst haben. Und viel Angst allerorten.

Die Folgen sind, je nach vorhandenem Reichtum der einzelnen Länder ärgerlich, beängstigend oder lebensbedrohlich. Der Krieg in der Ukraine trifft auch ganz besonders Länder, die weit weg von der Ukraine liegen, beispielsweise in Afrika, und die mit den Konflikten in Zentraleuropa nichts am Hut haben. Dass in diesen Ländern zahllose Menschen verhungern werden, dass zahllose Menschen weiterhin versuchen werden, der Hölle des Hungers zu entfliehen, das nimmt unsere Kriegslogik in Kauf.

An diesem 11. November darf man darüber nachdenken, dass dieser Satz „Nie wieder Krieg“ von der Realität ausgehebelt worden ist. Dass aus einem der wichtigsten und richtigsten Sätze der Welt eine ziemlich leere Satzhülse geworden ist. „Ja, aber Putin hat doch die Ukraine überfallen“, denkt man jetzt, „den Krieg haben wir doch gar nicht gewollt!“ Stimmt. Natürlich stimmt das. Nur hilft uns ein „die haben aber angefangen“ in der aktuellen Lage nicht weiter. Angreifer und Überfallene weigern sich, miteinander zu sprechen. So nachvollziehbar es ist, dass die Ukraine wenig Lust verspürt, sich mit denjenigen an einen Tisch zu setzen, die dem Land gerade schreckliche Verbrechen antun, so muss man doch fragen, wie es denn dann weitergehen soll. Auf dem Schlachtfeld? Dort wird es einen jahrelangen Stellungs-, Abnutzungs- und Grabenkrieg geben, während dem es weiterhin Zehntausende ziviler und militärischer Opfer geben wird. Tun wir gerade wirklich genug, um das derzeitige Sterben aufzuhalten, damit „Nie wieder Krieg“ doch noch eine Chance hat?

Würde die Weltgemeinschaft den Wert eines Menschenlebens hoch genug einschätzen, dann würde sie gemeinsam, über alle ideologischen, kulturellen und wirtschaftlichen Interessen hinweg zusammenarbeiten, um das Gemetzel und eine weitere Ausweitung dieses Kriegs zu unterbinden. Die gesamte Kriegszone in der Ost-Ukraine sollte entmilitarisiert und unter internationales Mandat gestellt werden, bis Verhandlungen unter neutraler Mediation zu einem Ergebnis geführt haben. Aus einem Grund – um das Töten und Sterben zu stoppen. „Nie wieder Krieg“ – wie Kriege verlaufen, das wissen wir seit vielen, vielen Jahren, denn beide Weltkriege (und viele andere Kriege) wurden intensiv, unter anderem von Friedensforschungs-Instituten, untersucht und analysiert. Wir wissen, wie Kriege entstehen, wie die Bevölkerungen manipuliert und zum Hass angestachelt werden, wir kennen die Mechanismen der Kriegs-Wirtschaft, die längst wieder angelaufen sind. Und dennoch laufen wir gerade wieder in den nächsten Weltkrieg, ehemals Friedensbewegte beten auswendig Artillerie-Kürzel herunter, wir mobilisieren schier unglaubliche finanzielle Mittel, um diesen Krieg mit Waffen zu versorgen und merken dabei gar nicht, was für eine Wiederholung der Geschichte wir gerade inszenieren.

In einem Jahr, in dem man feststellen muss, dass das „Nie wieder Krieg“ in all den Jahren nur ein Lippenbekenntnis war, kann man auf „Nie wieder Krieg“ auch verzichten. „Immer wieder Frieden“ wäre da schon passender. Aber der Begriff „Frieden“ ist heute ziemlich negativ besetzt. So weit sind wir schon wieder gekommen.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste