111-mal Straßburg ohne Münster

Straßburg ohne Münster, geht das? Ganz so, als sollte das nun endlich einmal bewiesen werden, drückt sich ein soeben erschienener Stadtführer um das Wahrzeichen der elsässischen Metropole. Und ja, es stimmt: Straßburg lohnt auch ohne.

Ein toller Reiseführer - selbst für Einheimische! Foto: Michael Magercord

(Von Michael Magercord) – Gibt es den mündigen Reisenden? Oder ist das eigenständige, unvoreingenommen Entdecken fremder Länder und Orte in Zeiten des Massentourismus bloß eine süße Illusion? Ja, es schieben sich immer größere Menschenmengen auf den immer gleichen Routen durch die Städte. Und doch: Es gibt immer mehr Reisende, die sich zumindest wieder als mündige Reisende behandelt sehen möchten und nicht mehr den ausgetretenen Pfaden folgen wollen.

Wer aber mündig reisen will, muss wählen: Alles sehen geht nicht, es gilt aus dem Angebot seinen eigenen Rundgang zusammenzustellen. Dazu sollte man vorab wissen, was es alles gibt. Reiseverlage tragen wissen das und in ihren Reiseführern finden sich kaum noch Routen, die man als Tourist zu absolvieren habe. Sie publizieren stattdessen Listen mit den wichtigen, vor allem aber auch weniger wichtigen Zielen, die oftmals viel spannender sind, als das vermeintlich Wichtige.

Der Journalist Jo Berlien und die Fotografin Sabina Paries haben gemeinsam genau einen solchen Reiseführer geschrieben, der eigentlich keiner ist und gerade deshalb zum Entdecken animiert. Beide leben in Straßburg und kennen dort so manchen Ort, den es lohnt, ebenfalls kennenzulernen. Kleine Auswahl gefällig: das weltgrößte Voodoo-Museum; die Paradiesvogel-Sammlung im Zoologischen Institut, ausgestopft natürlich; oder das alternative Zentrum im Wächterhaus von Neudorf. Dazu mal große, mal nicht so große Stätten der Kunst und Kultur – und da beide Autoren auch ihre Kinder in Straßburg so manchen Nachmittag beschäftigen müssen, hält das Buch Orte für die Kleinen bereit, ob eine ernsthafte Zirkusschule oder das spielerische Wissenschaftsmuseum Le Vaisseau. Etliche ausgefallene Restaurants werden vorgestellt und noch ausgefallenere Geschäfte, von Arbeitskleidung bis Kostümen. Sogar die Lokalwährung “Le Stück” wird erklärt. Jeder Örtlichkeit ist jeweils eine Seite für den eleganten Text und für die stimmigen Fotos vorbehalten, die sich lesen und beschauen lassen wie kleine Miniaturen über eine große Stadt.

Der Band erschient als Teil der Buchreihe “111 Orte”. Ein wenig Zahlenmagie ist natürlich schon dabei, jedem Reiseziel genau diese Anzahl von Sehenswertem zu entlocken. In Straßburg scheint das allerdings nicht so schwer gefallen zu sein, denn nicht einmal das Münster hat es auf diese Liste geschafft. Was natürlich auch pure Absicht war, denn nicht das Augenfällige, sondern das Kuriose des Alltags soll der mündige Reisende erfahren, dem auch so manche kritische Anmerkung mit auf seine Entdeckungstour gegeben wird. Und selbst für den gestandenen Straßburger, der sagt, ich habe doch schon hundert Sachen gesehen, finden sich mindestens elf, die er noch nicht kennt.

Der Weg führt übrigens auch nach Kehl. Das lebhafte Städtchen auf der deutschen Rheinseite wird von den Autoren allerdings immer mit dem Straßburger Blick betrachtet: als Ort des günstigen Einkaufs und der noch günstigeren Ausflugswirtschaften. Ist Kehl nicht vielleicht doch mehr? Mir ist es schon passiert, dass mich auf dem Marktplatz eine – zugegeben – etwas bange Gruppe Radfahrtouristen aus Spanien fragte, ob die Kehler Friedenskirche etwa die Kathedrale von Straßburg sei. Oder hatten die auch schon so einen Reiseführer ohne Münster dabei? Ich konnte sie jedenfalls beruhigen: Einmal in Straßburg angekommen, kommt am Münster sowieso keiner vorbei. Wie auch, hatte es doch 450 Jahre lang den allerhöchsten Turm der Welt und ist immer noch das bedeutendste Gebäude der Stadt. Es bleibt auch ohne besondere Erwähnung der 112. Ort, den man in Straßburg gesehen haben muss.

111 Orte in Straßburg, die man gesehen haben muss
Jo Berlien, Sabina Paries
240 Seiten – 16,95 Euro
Emons Verlag, ISBN 978-3-7408-0576-0

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