15 + 14 + 13 = 100 % Schostakowitsch

Das Orchester der Straßburger Philharmonie OPS spielt in den folgenden drei Wochen jeweils Donnerstag und Freitag die drei letzten Symphonien von Dimitri Schostakowitsch (1906-1975). Späte Meisterwerke des Meisters unter den Komponisten des 20. Jahrhunderts.

Dimitri Schostakowitsch im Jahr 1950. Foto: Renate Rössing / Deutsche Fotothek des Freistaats Sachsen

(Von Michael Magercord) – Man kann heute kaum mehr nachvollziehen, dass sich ein Diktator vom Schlage Stalins vor symphonischer Musik fürchtete. Doch wenn man die Aufmerksamkeit, die der sowjetische Zar den Komponisten seiner Zeit geschenkt hat, zum Maßstab nimmt, muss er die Wirkung ihrer Musik auf die Seelen seiner Untertanen sehr hoch veranschlagt haben.

Der wichtigste unter den ungewollten musischen Seeleningenieuren im Russland der Sowjetzeit war Dimitri Schostakowitsch. Als junger Mann schon zeigte er an der Musikhochschule sein Talent, schlug sich dann aber aus Geldnöten erst einmal als Kino-Pianist durch. Ob er dort seine Meisterschaft der klangbildlichen Erzählung entwickelt hatte? Er sollte jedenfalls zu dem Komponisten werden, der es verstand, die moderne Musiksprache in eine narrative Klangstruktur zu überführen.

Das machte seine Symphonien nicht nur für spitzfindige Partiturenforscher zur Fundgrube, sondern verhalf ihnen, auch einem großen Publikum zugänglich zu sein. Und obwohl der Komponist den Titeln seiner Werke immer große Ereignisse der bolschewistischen Geschichte zuordnete, konnten die Hörer sehr genau spüren, was er eigentlich mit seiner Musik ausdrücken wollte. Der Nobelpreisträger der Literatur Boris Pasternak, Autor des Doktor Schiwago, wird mit der Aussage zitiert, dass Schostakowitsch in knapp einer Stunde so viel sage, wie ein Roman von tausend Seiten – und alles ohne Worte.

Die fünfzehn Symphonien, die zwischen 1925 und 1971 entstanden, können folgerichtig als umfassende Abhandlung der sowjetischen Geschichte gehört werden. Waren die ersten Symphonien noch Übungen in einem für Künstler noch recht ungezwungenen Umfeld, schuf er ab der fünften eine Reihe von Meisterwerken, die – und wer hören wollte, hörte es – seine tiefe Ablehnung jeder diktatorischen Macht und ihrer Gewalt ausdrückten.

Diese Macht bekam Schostakowitsch ab 1936 mehr und mehr zu spüren. Voraus gegangen war der Skandal um seine Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ aus dem Jahre 1934. Zunächst von Publikum und Presse bejubelt, als Prototyp des sozialistischen Musiktheaters von Fachkollegen auserkoren, erschien zwei Jahre nach der Uraufführung in der “Prawda” ein Leitartikel unter der Überschrift „Chaos statt Musik“. Angeblich hatte Stalin eine Aufführung besucht und sie als musikalischen Lärm erlebt. “Grob, primitiv und vulgär”, hieß es im Parteiblatt, “das ist linksradikale Zügellosigkeit anstelle einer natürlichen, menschlichen Musik“. Als Reaktion gilt die 5. Symphonie, ein klassisch strukturiertes Werk vollen musikalischen Mutes, und nichts weniger als die Wiedergeburt der mehrsätzigen Symphonie im 20. Jahrhundert. Wer will, hört Beethoven oder Mahler darin, in ihr vereinen sich Humor, Meditation und betäubende Wucht. Sie wird zum Maßstab moderner Symphonik, der Schostakowitsch von nun an seinen Stempel aufdrückt.

Berühmt seine Siebte, die Leningrader, die als Kriegssymphonie gilt und in den USA als musikalischer Botschafter von Uncle Joe, wie der Kriegsalliierte Stalin dort genannt wurde, diente. Und berüchtigt seine Neunte: Nicht nur, dass er mit der durch Beethoven so gewichtige Nummernfolge spielte, er strapazierte auch die Nerven Stalins. Denn es ist das Jahr 1945, der Sieg im Großen Vaterländischen Krieg war unter unermesslichen Opfern errungen, die Zeit verlangte Heroisches, doch die lang erwartete Symphonie wurde eine kurze, recht fröhliche Groteske mit einem ausgiebigen lyrisch-sinnlichen Teil. Stalin, wird kolportiert, tobte und so wagte Schostakowitsch erst nach dem Tod des Diktators 1953 eine weitere Serie von Symphonien, die zwar alle revolutionäre Titel trugen, aber nun zum Ausdruck einer gleichsam wütenden wie wehmütigen Abrechnung mit der Vergangenheit wurde.

1962 begann die letzte Schaffensperiode des Symphonikers Schostakowitsch, der dieser Zyklus des Straßburger OPS gewidmet ist. In der 13. Symphonie setzte er zum ersten Mal seit dem Fiasko mit der Oper wieder eine Singstimme ein, holte sich somit die Deutungshoheit über sein Werk zurück. Er hat sie direkt nach dem Massaker an 30.000 Juden durch Wehrmacht und Einsatzgruppen in der Schlucht von Babi Jar in der Ukraine benannt. Den Text liefert ein Gedicht des russischen Autors Jewgeni Jewtuschenko. Dieses Mal war es Chruschtschow, der darüber außer sich geraten sein soll. Zu deutlich zeigt sich in der Poesie eine versteckte Kritik am sowjetischen Machtapparat.

Die 14. Symphonie ist weniger ein geschlossenes Werk, als vielmehr ein symphonischer Liederzyklus zu Gedichten von Rilke, Lorca, Apollinaire und Küchelbecker zum Thema Tod, den er im Gegensatz zur christlichen Lehre als “allmächtig” bezeichnete, woraus er eine Ethik des absoluten Pazifismus ableitete: Es gibt kein Ziel, für das Gewalt angewendet werden dürfe. Die 15. Symphonie, die seine letzte werden sollte, schließt musikalisch an die berüchtigte Neunte an: Variationen nach Motiven aus Tschechows Romanen, grotesk und heiter am Beginn, lyrisch zum Ende.

Marko Letonja wird am Donnerstag und Freitag dieses letzte Werk zusammen mit dem zweiten Cellokonzert aus dem Jahre 1966 dirigieren. “100 % Schostakowitch” ist der Konzertabend betitelt. Das allerdings gilt auch für die noch zwei folgenden Konzerte mit der 13. und 14. Symphonie, denn eine Symphonie des letzten großen Meisters der Symphonik ist immer ein Werk von einhundert Prozent.

Straßburger Philharmoniker OPS
“100% Schostakowitsch”
DO 24. und FR 25. Januar, 20.00 Uhr
im PMC im Stadtteil Wacken

Dimitri Schostakowitsch (1906-1975)
Concert Nr. 2 für Cello und Orchester op. 126
Symphonie Nr. 15 op. 141

Dirigent: Marko LETONJA direction
Solist (Cello) : Jean-Guihen QUEYRAS

Informationen und Tickets unter: www.philharmonique-strasbourg.com/

Weitere Konzerte des “Zyklus Schostakowitsch”:
14. Symphonie – DO 31. Januar und FR 1. Februar
13. Symphonie – DO 7. und FR 8. Februar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste