(2) Tag der Arbeit – Wie bitte, ich bin unnütz und unproduktiv?

Der Erste Mai. Vor sechs Wochen noch war das Tag für den Kampf um das Recht auf Arbeit. Jetzt steht er für das Eingeständnis, unnütz und unproduktiv zu sein. Jedenfalls für die Mehrheit der Systemunrelevanten – eine Fotoserie zum einstigen Tag der Arbeit.

Wo Kettensägen sägen, bleibt nichts wie es war – oder gerade doch, weil unsere heutige Form des Arbeitens nur dann Bestand hat, wenn dabei nichts so bleibt, wie es ist? Foto: (c) Michael Magercord / ROPI

(Michael Magercord) – Wurde gestern noch die Poesie bemüht, so geht es heute um Knochenarbeit. Oder vielmehr um das, was von solch archaischer Betätigung noch übrig ist. „Arbeit“ ist – so wird zumindest kolportiert und man glaubt es gern, wenn man den starken Arm des Waldarbeiters mit der Kettensäge sieht – in den russischen Wortschatz eingegangen als Bezeichnung für schwerstes körperliches Schuften. Während wiederum das russische Wort für Arbeit durch den tschechischen Schriftsteller und Utopisten Karel Čapek nun für die Gerätschaften stehen, die uns – wäre die Geschichte der Arbeit gut verlaufen – eigentlich von ihr befreien hätte können: Roboter.

Aber diese Geschichte ist nicht gut verlaufen. Denn der Erfolg, dass es dank vieler technischer Hilfsmittel kaum mehr Knochenarbeit gibt, und die Aussicht, dass wir Dank der Roboter alle kaum mehr arbeiten müssten, um dieselbe Menge Krimskrams aller Art herzustellen wie zuvor, ist so nie angemessen gewürdigt worden. Nun Jammern wir stattdessen über Arbeitslosigkeit und tun alles, um sie zu vermeiden, obwohl sie doch eigentlich der Gradmesser nicht unseres Versagens, sondern unseres Erfolges ist.

Denn mal ehrlich, wer will denn heute noch so hart arbeiten? Wer will überhaupt noch Arbeiter sein? Und wer wollte es je? Zum Proletariat zu gehören, war kein Verdienst. Proletarierstolz findet sich erst in der Hinnahme des Schicksals und bleibt ein Stolz von Verlierern der Geschichte. Als dieses Proletariat sich dann doch einmal kurz zum historischen Gewinner erhob, haben die neuen Diktatoren ausgerechnet ihre Arbeit zu einem „Recht“ erklärt, was unter deren Herrschaft nun gleichbedeutend mit einem Zwang wurde. Wieder lief also in der Geschichte der Arbeit alles schief: Arbeitslosigkeit war abgeschafft, ja, aber zu welchem Preis? Der Unproduktivität des Arbeitens. Schon 1970er Jahren sagten sowjetische Wirtschaftswissenschaftler den Kollaps der Kombinate voraus, weil sie all ihre unnützen Arbeitskräfte irgendwie beschäftigen müssen. Die sozialistische Wirtschaft ist am Proletariat zugrunde gegangen.

Und der Kapitalismus? Wie verlief darin die Geschichte der Arbeit? Schon im 19. Jahrhundert wurde ein Begriff geprägt; „Deutsche Arbeit“ – in den Umlauf gebracht von der politischen und wirtschaftlichen Führung des Reiches, um klarzumachen: Alle arbeiten „deutsch“, nämlich nützlich und produktiv, egal ob ihre Schufterei auf die Knochen oder den Geist geht. Vergesst die Unterscheidung zwischen Kapitalisten und Lohnarbeitern, alle sitzen in dem einen Boot, dass mit fleißiger deutscher Arbeit durch die Weltmeere peitscht: „Made in Germany”. Industrielle und Gewerkschafter, im scheinbaren Widerstreit befeuerten sie gemeinsam den Facharbeiterstolz.

Seither ist diese Art der Arbeit völlig aus dem Ruder geraten, und zwar weltweit und global. Diese Arbeit ist Selbstzweck geworden, losgelöst vom Notwendigen und dem technischen Fortschritt nicht gewachsen, denn sonst gäbe es schon viel weniger von ihr. Stattdessen hat sie sich trotz Computern und Robotern immer breiter gemacht. Und wenn nun immer noch soviel, ja sogar mehr gearbeitet werden soll, wie vor ihrer Technisierung, muss Arbeit „geschaffen“ werden. Das geht dann aber nur noch mit Wachstum, das wiederum die natürlichen Grundlagen des Lebens zerstört. Arbeiten heißt heute: ein System befördern, dass auf Dauer unser Überleben unmöglich macht. Fleißiges Arbeiten ist zur nutzlosesten und kontraproduktivsten Tätigkeit auf Erden geworden: Diese Arbeit produziert nur noch Arbeit, also nichts, und doch ist nichts zerstörerischer als diese Arbeit.

Arbeit ist irrational, gerade weil sie so vernünftig tut und ihren Protagonisten so nützlich und produktiv erscheint. Auf dem Foto steht er da: die Kettensäge geschultert, dieses Gerät, mit dem er jeden noch so alten und mächtigen Baum in wenigen Augenblicken für immer zu Fall bringt, und eingehüllt vom geißelnden Schein und schwelendem Rauch von Blendgranaten – ein Sinnbild: Arbeit ist Krieg gegen die Umwelt und Arbeiter sind die Söldner, die sich keine andere Tätigkeit, als den Kampf und das Plündern mehr vorstellen können…

Aber halt! Dieses Foto vom Januar 2020 zeigt doch das Gegenteil: Wenn sein starker Arm es will, bleiben alle Bäume stehen. Mit seiner stillgelegten Kettensäge demonstriert dieser Waldarbeiter mitten in Straßburg gegen die Rentenreform der französischen Regierung. Nicht dem Recht auf Arbeit gilt dieser Kampf, sondern im Gegenteil: für den Ruhestand streitet er hier zwischen Leuchtfeuer und Rauchwolken, dafür nämlich, ab einem bestimmten Zeitpunkt auch ohne Arbeit ein Einkommen zu erzielen. Der alte Menschheitstraum, Leben ohne Arbeit, soll für ihn auch noch wahr werden. Endlich: das Recht auf Faulheit wird nun herrschen… Doch halt, davon später mehr. Morgen, am 1. Mai, wird erst einmal die Arbeit gefeiert!

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