23 Jahre brüchiger Frieden gehen zu Ende

Nord-Irland brennt. Nachdem rund 23 Jahre nach dem „Good Friday Agreement“ eine Art Burgfrieden in Nord-Irland herrschte, brechen nun die alten Gräben wieder auf.

Bilder wie dies aus dem Jahr 2011 gibt es auch heute wieder in Nord-Irland. Die Situation ist hoch explosiv. Foto: Sineakee / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Es war der 10. April 1998. Die führenden politischen Köpfe Nord-Irlands einigten sich auf das „Good Friday Agreement“, ein Abkommen, mit dem die drei Jahrzehnte andauernden blutigen Auseinandersetzungen zwischen pro-britischen Protestanten und pro-irischen Katholiken beendet werden sollten. Doch war dieser „Frieden“ sehr brüchig, denn die Wunden dieses langen Bürger- und Bruderkriegs saßen tief. Kaum eine Familie in Nord-Irland war von den Geschehnissen nicht betroffen, das Trauma blieb bis heute unverarbeitet. Zwei Elemente lassen diesen niemals wirklich gelösten Konflikt wieder aufflackern – der „Brexit“ und die Covid-19-Pandemie.

Das nächtliche Straßenbild in Nord-Irland ist wie ein Déjà-Vu – Jugendliche werfen Steine und Molotov-Cocktails auf Polizisten, die Gewalt intensiviert sich von Nacht zu Nacht. Doch ist dies nicht etwa die Revolte der Jugend, sondern es sind die alten Kräfte, die so auf die Jugendlichen einwirken, dass diese den alten und letztlich nie wirklich beendeten Kampf wieder aufnehmen. Die Lage in Nord-Irland gleicht einem Pulverfass.

Doch kann eigentlich niemand richtig überrascht sein. Dass dieser schlummernde Konflikt wieder aufbrechen würde, das hatten fast alle Beobachter des „Brexit“ bereits im Vorfeld befürchtet. Ebenso wie bezüglich der  Ankündigung eines neuen Referendums über die Unabhängigkeit Schottlands ahnten alle diejenigen, die den „Brexit“ aufmerksam verfolgten, dass sich auch die Situation in Nord-Irland verschlechtern würde.

Da die britischen Regierungen unter Cameron, May und Johnson über vier Jahre lang versäumten, sich genau zu überlegen, was sie eigentlich wollen, wurden die Briten selbst von ihrem eigenen „Brexit“ eiskalt auf dem falschen Fuß erwischt. Dies zeigte sich bereits am Haupthafen Dover, wo man erst wenige Tage vor dem „Brexit“ anfing, Parkplätze für die Tausenden LKWs einzurichten – bis hin zu solchen „Details“ waren die Briten auf ihren „Brexit“ völlig unvorbereitet. Und dies galt leider auch für die Situation in Nord-Irland. Da man sich über vier Jahre nicht auf diesen „Brexit“ vorbereitet hatte, musste im letzten Moment eine Sonderregelung für Nord-Irland getroffen werden, um das absolute Chaos zu verhindern.

Somit ist Nord-Irland heute noch Mitglied der EU-Zollunion, was der einzige Weg war, eine EU-Außengrenze auf der irischen Insel zwischen Nord-Irland und dem EU-Mitglied Republik Irland zu vermeiden. Dies aber führte dazu, dass eine „Wirtschaftsgrenze“ zwischen dem britischen Nord-Irland und der britischen Insel eingezogen werden musste, was wiederum zur Folge hat, dass sich die pro-britischen Nord-Iren als „Briten zweiter Klasse“ fühlen.

Gleichzeitig fällt den katholischen Pro-Iren wieder ein, dass da doch noch ein Konflikt war. Ein bewaffneter Konflikt, der hunderte, tausende Menschenleben gekostet hatte. Und plötzlich finden sie wieder statt, die gewaltsamen Auseinandersetzungen in Nord-Irland, zusätzlich befeuert von den allgemeinen Existenzängsten im Zusammenhang mit der Covid-Krise.

Viele Beobachter hatten den nationalistische Parolen grölenden „Brexiteers“ den Zerfall des Vereinten Königreichs vorhergesagt. Diese Prognose scheint sich nun zu bewahrheiten. Die Schotten bereiten ihr nächstes Referendum über ihre Unabhängigkeit vor (und in den Umfragen liegen nun die Pro-Europäer ziemlich deutlich vorne) und der Nordirland-Konflikt ist wieder aufgeflackert.

Sollte es bei diesen nächtlichen Auseinandersetzungen zu Todesopfern kommen, gleich auf welcher Seite, ist das „Good Friday Agreement“ Makulatur. Langsam beginnt der eine oder andere Brite zu begreifen, welchen unglaublichen Fehler Großbritannien begangen hat, die Zukunft des Landes in die Hände nationalistischer Amokläufer zu legen, die nun genau das betreiben, was man Jahrzehnte lang versucht hatte zu verhindern.

Selbst der Tod von Prince Philip konnte die Spannungen nicht einmal kurzzeitig beruhigen – der Nordirland-Konflikt ist wieder aufgebrochen. Was wird momentan nur aus Europa und Großbritannien…

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste