28. Juni – die Franzosen müssen wieder wählen gehen

In einem Monat, so hat es die französische Regierung beschlossen, müssen die Franzosen den 2. Wahlgang der OB- und Kommunalwahlen durchführen. Trotz lauter Proteste.

Premierminister Edouard Philippe bei der Verkündung des Wahltermins. Ob das gut geht? Foto: ScS EJ

(KL) – Frankreich führt seine Demokratie ein weiteres Mal ad absurdum. Nach dem katastrophalen ersten Wahlgang am 15. März, als für den Wahlsonntag mal eben alle sanitären Maßnahmen gegen das Coronavirus außer Kraft gesetzt wurden, um eine Farce eines Wahlgangs durchzuführen, an dem sich fast zwei Drittel der Französinnen und Franzosen aus gesundheitlichen Bedenken nicht beteiligten, legt die Regierung noch eine Schippe drauf und fixiert den zweiten Wahlgang, also die Stichwahl, auf den 28. Juni. Mit der einzigen Einschränkung, dass wenn der staatliche Gesundheitsrat am 14. Juni Bedenken äußern sollte, dieser zweite Wahlgang noch verschoben werden kann.

Den Makel der fehlenden Legitimierung werden die Bürgermeister*innen Frankreichs in den nächsten Jahren nicht ablegen können. Die Kandidat*innen, die sich im ersten Wahlgang für die nun am 28. Juni geplante Stichwahl qualifizieren konnten, taten dies mit ungefähr 6 bis 10 % der Stimmen der Wahlberechtigten – und ähnlich wird es auch beim zweiten Wahlgang sein, den erneut viele Wähler*innen boykottieren werden. Einerseits aus Sorge um eine mögliche Ansteckung, andererseits aus Protest gegen diese erneute Missachtung des „Wahlvolks“.

Man kann es sich schönreden, wie man will, das Virus SARS-CoV-2 ist immer noch unterwegs, steckt immer noch Menschen an und immer noch weiß niemand so genau, was dieses Virus eigentlich genau anrichtet. In einem Monat wird das nicht viel anders sein, auch wenn geplant ist, dass am 15. Juni die innereuropäischen Grenzen wieder geöffnet werden sollen. Aber werden sie das? Und wer garantiert, dass am 28. Juni das Virus so weit unter Kontrolle ist, dass es nicht erneut zu Infektionen in den Wahllokalen kommt?

In der aktuellen Phase ist klar, dass es praktisch keinen richtigen Wahlkampf für diese Stichwahl geben kann – doch haben sich nach dem ersten Wahlgang die Verhältnisse in Frankreich grundlegend verändert, ebenso wie in allen anderen Ländern. Folglich sind die Wahlprogramme der Kandidat*innen aus dem Frühjahr das Papier nicht mehr wert, auf dem sie gedruckt wurden. Im Grunde müssten alle Kandidat*innen mit komplett neuen Programmen antreten, die das widerspiegeln, was sich in den letzten Wochen und Monaten in Frankreich verändert hat und noch verändern wird. Und dafür reicht einerseits die Zeit nicht, andererseits gibt es praktisch kaum eine Möglichkeit, ein derart geändertes Programm allen Bürgerinnen und Bürgern zugänglich zu machen.

Die Eile, mit der die französische Regierung vorgeht, ist aus ihrer Sicht nachvollziehbar. Denn es gilt, zu retten, was zu retten ist. Zwei neue Wahlgänge im Herbst oder Winter, zu einem Zeitpunkt, zu dem die Analysen über das Krisenmanagement der Regierung vorliegen und erste Prozesse gegen Regierungsmitglieder angestrengt worden sind, wären für die Regierungspartei LREM („La République en March“) zum Desaster geworden. So hofft man, durch den frühen Wahltermin noch den einen oder anderen Kandidaten auf einen OB-Sessel zu hieven, doch auch diese Rechnung wird schwerlich aufgehen – den meisten Franzosen reicht es nun mit den ständigen Fehlinformationen, offenen Lügen und dem amateurhaften Handling dieser Corona-Krise.

Ebenfalls nachvollziehbar aus Sicht der Regierung ist der Wunsch, diese Wahlen durchzuziehen, bevor die Sozialkonflikte wieder hochkochen, die das Land bereits seit November 2018 in Atem halten. Also – schnell wählen, bevor der ganze Krach wieder losgeht. Nur hat das alles nicht mehr viel mit Demokratie zu tun.

Diese Stichwahl am 28. Juni findet zwar nur in etwas mehr als 4000 Kommunen (von über 35.000) statt, allerdings befinden sich darunter die meisten wichtigen Städte Frankreichs (unter anderem auch die elsässischen Städte Mulhouse, Colmar und Straßburg) und insofern ist diese Wahl nicht nur eine Personenwahl des OB und der Stadträte, sondern auch eindeutig eine Richtungswahl für die politische Zukunft von Emmanuel Macron und seiner Regierung. Also baut man bei LREM nun darauf, dass möglichst viele Französinnen und Franzosen diese Stichwahl boykottieren und dass man selbst möglichst viele der verbliebenen treuen Anhänger mobilisieren kann.

Vermutlich wird die Regierung nun erst einmal den größten Sturm der Empörung abwarten und dann zwei Wochen vor dem Wahltermin entscheiden, was man macht. Sollten die Proteste allzu heftig ausfallen, wird man vermutlich über den Gesundheitsrat einen Rückzieher machen, andernfalls wird man diese Stichwahl durchführen. Ob das nun demokratisch ist oder nicht. Aber seit wann wäre das Wahlvolk auch etwas anderes als „nützliche Idioten“? Allerdings wird einem dies selten so deutlich gemacht wie in Frankreich 2020. Fortsetzung folgt…

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