(3) Ist das Verpackung oder kann das weg?

Es waren nur sechzehn Tage, dann war die Kunst schon wieder weg. Oder ist sie jetzt wieder da? Ist die Verpackung die Kunst oder das Verpackte unter der Verpackung? Oder beides zugleich? Mit fünf Fotos auf der Spur des Ewigen im Vergänglichen.

Im Rücken die Avenue de la Grande Armée, im Anschlag die Fotoapparate und im Visier das flüchtige Wesen Verpackungskunst. Foto: © Michael Magercord

(Michael Magercord) – Christo und Jeanne-Claude verfolgten dieses Projekt seit 1962, nun wurde es wahr. Und? Die Künstler haben immer gesagt, ihre Werke hätten nichts zu bedeuten, seien flüchtige Erscheinungen, gedacht nur für den Augenblick ihrer Anschauung. Aber genügt das dem Betrachter? Rührt sich da in ihm nicht der Wunsch nach dem Ewigen im Flüchtigen, dem Festhalten des Momentes. Was tun? Was alle machen: ein Foto – Vorbilder für die Nachbilder.

Ist er verpackt geschrumpft? Oder wurde der Triumphbogen durch die Verpackungskünste in Bewegung versetzt? Was von diesem Kunstwerk des Kunstwerks bleiben wird, bestimmen die Nachbilder, die sich einstellen, wenn man auf die Bilder schaut, die während seiner kurzen Existenz angefertigt wurden. Man könnte natürlich auch die wahren Vorbilder zum Vorbild für das Nachbild nehmen, nämlich all die Skizzen, Zeichnungen und Collagen, die die Künstler bereits lange vor der Realisierung der Verpackung erstellt und verkauft hatten, um damit ihr Projekt zu verwirklichen. Sehr schön, ja, aber sie gehören in den Bereich der bildenden Kunst, denn es sind bleibende Werke.

Klar, auch die Verpackung ist ein „Werk“, ein reichlich monumentales gar, aber es bleibt ein flüchtiges. Kunsthistoriker finden dafür trotzdem bleibende Worte: eine „ökologische Ästhetik“ erkennt etwa Werner Spies in dieser Kunst, weil sie einer bereits vollgestellten Welt nicht noch weitere Monumente hinzufügen will: Ihr Speicherplatz befinde sich allein in der Erinnerung. Doch Erinnerung braucht Stützen. Die Welt mag nicht weiter vollgestopft werden, aber die Datenspeicher, wenn die digitalen Fotoapparate für die Nachbilder des Flüchtigen sorgen. Zumal es ja gar keine Fotos mehr sind, die diese Apparate erzeugen, sondern Datensätze.

Ach Fotos, also echte Fotos, auf Negativen oder als Dias – erinnert sich noch jemand? Davon hätte man ein oder zwei gemacht und gut. Dann mindestens drei Wochen gewartet, bis der Film voll war und die Bilder entwickelt. Innerhalb dieser drei Wochen wäre etwas passiert mit der Erinnerung, die in dieser Zeit zwar noch ohne Abbild auskommen musste, aber man entwickelte – bevor es der Film war – eine eigene Vorstellung von den erwarteten Fotos; und wohl auch eine eigene Erinnerung an die geknipste Situation oder den fotografierten Gegenstand. Dann der Abgleich mit dem tatsächlichen Foto – und? Große Freude, klar, doch gegen Enttäuschungen war man auch nicht gefeit. Denn so manches Mal wollte das Abbild so gar nicht mehr dem in den drei Warte-Wochen entstandenen inneren Nachbild gleichen.

Doch heutzutage ist das Abbild umgehend da. Wenige Sekunden liegen zwischen Vorbild und Abbild. Ohne Entwicklungszeit bleibt keine Zeit mehr für eine eigenständige Nachbildentwicklung. Das unmittelbar vorhandene Abbild strukturiert sofort die Erinnerung. Das Bild wird übermächtig, denn es ist nun die einzige Erinnerung an den doch so flüchtigen Moment. Es ist die zunehmende Flüchtigkeit des modernen Lebens, die gleichsam das Erinnerungsfoto zur Pflicht erhebt. Ist es also diese Unfähigkeit, ja: Unmöglichkeit, Erinnerung noch entwickeln zu können, die die heutige Bilderflut auslöst, ja: geradezu notwendig macht?

Vielleicht ist das doch ein wenig überzogen, lass sie doch ruhig ihre Fotos machen – und trotzdem ist Vorsicht geboten, wenn aus Bildern Daten geworden sind, mit denen die Speicher geflutet werden: Dann wird aus dem Datenmüll gleichsam noch Erinnerungsmüll…

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