(3) Tag der Arbeit – Will ich etwa unnütz und unproduktiv sein?

Der Erste Mai. Vor sechs Wochen noch war das Tag für den Kampf um das Recht auf Arbeit. Jetzt steht er für das Eingeständnis, unnütz und unproduktiv zu sein. Jedenfalls für die Mehrheit der Systemunrelevanten – eine Fotoserie zum einstigen Tag der Arbeit.

Unterm Pflaster liegt der Strand? Auf den Asphalt in Frankfurt am Main ist ein Wunsch eingeschrieben, der aus Verzweiflung zum Verlangen wird - „Möchte arbeiten“. Foto: (c) Michael Magercord / ROPI

(Michael Magercord) – Heute ist der Tag der Arbeit! Es gilt – egal ob am Arbeitsplatz oder daheim – anzustoßen auf die menschlichste Betätigung aller Tätigkeiten. Passend dazu natürlich auch das Foto. Auf der Stuttgarter Straße unweit des Hauptbahnhofes von Frankfurt am Main fand sich auf dem Gehweg zu Füßen der Passanten diese Huldigung an den Gegenstand unseres Festtages: „Möchte arbeiten“. So dann, hoch die Tassen: auf die Arbeit!

„Möchte arbeiten“ – welch ein Freudenschrei auf dem Asphalt. Manche dunkle Stunde musste erst durchlebt werden, bis wir nun diese Worte so auffassen zu können, wie wir es heute tun. Nämlich als Wunsch an der praktischen Teilhabe am höchsten Wert unserer Zeit. Vom Frühaufstehen bis zum Feierabend war langer, beschwerlicher Weg. Dem englischen Chemiker Andrew Ure, der fest davon überzeugt war, man könne Tote mithilfe von elektrischer Stimulation zum Leben erwecken, schien es noch 1835 kaum vorstellbar, diesen Weg überhaupt beschreiten zu können. In seiner „Philosophie der Herstellung“ hielt er es nämlich für geradezu unmöglich, aus Bauern Arbeiter zu formen: Niemals werden sie regelmäßig arbeiten und sich mit der „unveränderlichen Ordnung eines Automaten identifizieren“. Diese Menschen dazu zu bringen, bedürfe es der „Nervenkraft und Energie eines Napoleons“.

Der Weltgeist zu Pferde, als der das korsische Energiebündel vom Philosophen Hegel zum Erfüllungsgehilfen der Historie degradiert wurde, war nicht mehr da. Doch die Geister, die die Dampfmaschine freisetzte, sollten sich als mindestens ebenso wirkmächtig erweisen. Schon bald durften die Korken knallen. Spätestens nämlich, als man vor lauter Lärm, Dreck und Elend wieder Worte gefunden hatte und im seither üblichen Sprachgebrauch aus jenen, die nichts weiter als ihre Arbeitskraft zu geben haben, bittstellende „Arbeitnehmer“ wurden, während jene, die diese Arbeitsleistung für ihre Produktionszwecke entgegennehmen, als segenspendende „Arbeitgeber“ gelten. Was seliger ist, Nehmen oder Geben, ist ja ohnedies geklärt – und so lasset uns nun schnell anstoßen und dann wieder ran an die Arbeit!

Nein, noch nicht, noch ist der Festtag nicht zu Ende, es kommt nämlich noch schöner! Nicht die Tatsache, dass jeder frei ausgehandelte Arbeitsvertrag eine Art der Nötigung darstellt, kann uns vom Feiern abhalten. Auch nicht, dass sich das bestehende Arbeitsrecht weitgehend an dem altrömischen Mietrecht für Nießbrauchsklaven orientiert, und Juristen und Historiker deutliche Parallelen im römischen Schadensersatzrecht für vermietete Sklaven und in den Arbeitsschutzbestimmungen von heute aufzeigen können. Und schon gar nicht kann uns die verstörende Ähnlichkeit zwischen einer Werbung der 1840er Jahre aus den Südstaaten der USA für eine Ladung „pockenfreier Neger“ aus Afrika und dem Arbeits- und Einreiseangebot für Covid-19-getestete Erntehelfer aus Südosteuropa den Festtag verderben. „Möchte arbeiten“ muss uns genügen als Ausweis der Freiwilligkeit, zumal selbst die Arbeitnehmervertreter aller Couleur mit Slogans in den Wahlkampf ziehen wie „Sozial ist, was Arbeit schafft“ oder sozialdemokratisch schlicht: „Arbeit, Arbeit, Arbeit“.

Es fällt ja heute schwer so zu tun, als hätte es die Diktatur des Proletariats nicht gegeben. Und wenn die Mangelwirtschaft ihres Vollbeschäftigungssozialismus eines bewiesen hat, dann diesen Umkehrschluss: Zur Produktion des Notwendigen werden im Kapitalismus der vollen Regale all seine Arbeitslosen nicht mehr gebraucht – und trotzdem treibt man auch sie an, zu arbeiten, selbst wenn für diese Menschen keine nützliche und produktive Tätigkeit mehr übrig ist.

Nichts als Arbeit – sogar die Ökos können die Sektlaune nicht mehr trüben, seit sie einen „grünen Arbeitsmarkt“ entdeckt haben. Und auch nicht die Apologeten des bedingungslosen Grundeinkommens, begründen doch auch sie ihr Anliegen unter der Annahme, dass niemand von sich aus faul sei. Und weil sich alle so einig sind, wenn es um die Wertigkeit der Arbeit geht, sollte nun auch niemand fürchten müssen, dass sich nach Corona an der Produktionsarbeit, und mühte sie sich auch nur noch am Überflüssigen ab, etwas ändern werde. Oder hatte sich etwa nach der Finanzkrise 2008 irgendetwas am Status der Finanzindustrie geändert?

Nein! So lassen wir an diesem Festtag der Arbeit nun endlich die Gläser klirren und halten uns bei der Wahl des Trinkspruchs an Mao Tsetung, den großen Arbeitgeber. In seiner Industrialisierungskampagne, dem „Großen Sprung nach vorn“, sind von 1958 bis 1961 auf den Baustellen der Infrastrukturprojekte, an den Dorfhochöfen für die Herstellung minderwertigen Stahls und durch die Vernachlässigung der kollektivierten Felder nach konservativen Schätzungen über fünfzehn Millionen seiner Landsleute in den Hunger getrieben oder dem Erschöpfungstod durch unnütze und unproduktive Arbeit ausgesetzt worden. „Wer nicht arbeitet“, hatte Mao dazu gesagt, „der isst auch nicht!“ – na dann: Prost!

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