(4) Tag der Arbeit – Juchu, ich bin unnütz und unproduktiv!

Der Erste Mai. Vor sechs Wochen noch war das Tag für den Kampf um das Recht auf Arbeit. Jetzt steht er für das Eingeständnis, unnütz und unproduktiv zu sein. Jedenfalls für die Mehrheit der Systemunrelevanten – eine Fotoserie zum einstigen Tag der Arbeit.

Rentnerin auf einer Streikkundgebung für den Erhalt des Rentensystems für die nachkommende Generation – und dazu noch eine grüne Mütze fürs Klima. Foto: Michael Magercord / ROPI

(Michael Magercord) – Der Festtag ist vorbei und er verlief so wie alle fünfundvierzig Tage zuvor. Wer der Arbeit und ihrer Rolle in der Gesellschaft in Zeiten wie diesen angemessen gedenken will, muss sie sich in ihrem vorherigen Zustand in Erinnerung rufen. Als sie noch den Alltag auf ihre umfassende Weise bestimmt hatte – kurz: noch normal war.

So normal, wie dieses belauschte Gespräch zwischen einem Handwerksmeister und einem Rentner, der den Meister mit einer handwerklichen Dienstleistung beauftragt hatte, der nun mit seinen Lehrlingen anrückt war. Erzählt der Handwerker: „Mein Lehrherr hatte mich gescheucht, was musste ich nicht alles machen. Aber am Ende war es eine gute Schule“. Der Rentner: „Ich habe ein Jahr lang die Werkstatt ausfegen müssen, dann erst durfte ich an immer nur einer Maschine arbeiten, solange, bis ich sie komplett beherrscht hatte. Danach kam ich an die nächste“. Wieder der Handwerker: „Als ich schließlich alles gelernt hatte, hat mein Chef gesagt: jetzt weißt du, warum ich dich so getriezt hatte“. Darauf der Rentner: „Aber diese Jugend heute…“

Wer werden an dieser Stelle nicht alle Eigenschaften wiederholen, die der Jugend von heute zugedacht wurden. Nur eine wollen wir hervorheben: die Faulheit. Sie stellt, geht es nach den beiden einstigen Lehrlingen, den Gegenpol zum Wert der Arbeit dar. Aber wie kommen die bloß darauf? Zumindest der Rentner müsste es doch schon besser wissen: Faulheit ist die letzte Erfüllung der Arbeit.

Das Altersruhegeld ist die gesellschaftlich organisierte Erfüllung des uralten Menschheitstraumes, ungestraft faul sein zu dürfen. Dieser Wunsch ist so menschlich, dass es die Faulheit in den Todsündenkatalog nahezu aller Religionen geschafft hat. Auch deshalb dauerte es so lange, bis endlich eine leistungslose Transferzahlung am Ende eines jeden Arbeitslebens stand. Denn vor dem gesellschaftlichen Zugeständnis einer Rente wurde am Beginn der Neuzeit noch etwas anderes erfunden: die Tugend der Arbeit. Die war neu: Von unentwegter Arbeit steht nichts in den Zehn Geboten, weder in der Antike und im Mittelalter noch im Feudalismus spielte Arbeit eine zentrale Rolle als Organisationsprinzip. Erst in der Neuzeit, als die Moral der Tat den innigen Glauben ablöste, wurde Arbeit zum moralischen Imperativ und das Nichtstun – oh, welch feiner Widerspruch in sich – zur bösen Tat.

Um Arbeit drehte sich fortan alles und die Auseinandersetzung um das Nichtstun wurde zum Kern gesellschaftlicher Organisation. Arbeitsamt, Jobcenter und wie die Institutionen noch heißen mögen, die die nutzlosen und unproduktiven Bösewichte hoheitlich in ihre lahmen Hintern zu treten haben, sind der letzte Schrei aus der Mottenkiste der Arbeitsmoral. Da half es auch nichts, dass schon früh nach einem Gegenmittel gesucht wurde, und welches 1880 ausgerechnet Paul Lafargue, der Schwiegersohn von Karl Marx, meinte, gefunden zu haben: das „Recht auf Faulheit“. Oh je, noch ein „Recht“, wie schon das auf Arbeit – das musste ja schief gehen. Denn Faulheit ist doch einfach eine normale menschliche Regung, unnütz und unproduktiv zu sein, ist geradezu Inbegriff des würdigen Menschseins. Jetzt aber wurde daraus im Widerstreit mit der Arbeit ein billiger Rechtsanspruch auf einer Altersrente, die doch nur wieder der Logik der Arbeit gehorcht.

Der Zeitpunkt des Renteneintritts ist der Tag der Abrechnung. Wie vorm Jüngsten Gericht wird nun auf Erden der zukünftige Ruheständler bewogen, ob er denn sein Arbeitsleben ehrenvoll geführt habe, um zu bestimmen, in welcher Üppigkeit er die Faulheit des Alters genießen darf: Jahrzehnte brav eingezahlt? Nie arbeitslos gewesen? Oder Beamter? Gar Diäten bezogen? So einfach ist das mit der Moral, wenn sie sich aus der Arbeit herleitet – und dass, obwohl doch zwischen Arbeit, Leistung und Lohn, und damit dem erzielten Altersgeld, oft gar kein Zusammenhang besteht.

Wir können nur darüber spekulieren, ob die ältere Dame, die auf dem Foto zu sehen ist, zu der Streikkundgebung für den Erhalt des bestehenden Rentensystems auf dem Kleberplatz in Straßburg im Januar 2020 gekarrt wurde. Ob sie – zudem bemützt mit der grünen Klimakappe – sich aber im Klaren darüber ist, dass mit dem derzeitigen System die Verhältnislosigkeit zwischen Arbeit und Lohn bloß ins Alter fortgesetzt wird? Das darin keine Chance auf eine Anerkennung der allgemeinen Bedürfnisse von Ruheständlern vorgesehen ist, unabhängig davon, was sie zuvor im Leben getan oder unterlassen haben?

Ausgerechnet Frauen – aber nicht nur die – sind die Leidtragenden dieses Systems. Ihre Emanzipation aus dem häuslichen Umfeld erfolgte, als es darum ging, das Reservoir billiger Arbeitskräfte erheblich auszuweiten. Bis heute arbeiten gerade sie oft halbtags oder mit rentenmindernden Pausen. So finden sie sich als Sozialrentnerinnen an den mildtätigen Tafeln wieder – und alles nur wegen der Arbeitsmoral. Wenn Hausarbeit soviel Wert hätte wie jede Büro-, Fabrik- oder Telearbeit, und zwar egal, ob Frau oder Mann sie ausführt, dann erst wäre die Emanzipation vollzogen. Doch wie? Indem jeder alte Mensch über eine ausreichende, lebensleistungsunabhängige Grundrente auf gleiche Weise faul sein darf, und zwar einfach, weil ein alter Mensch ein alter Mensch ist. Punkt.

Von dieser Selbstverständlichkeit sind wir weit entfernt, und das bestehende, arbeitsabhängige Rentensystem entfernt uns davon immer weiter. Es ist eben ein Kreuz mit der Arbeit – und das Rätselhafteste sind ja sowieso die Rentner selbst. Einmal in Rente, wissen so manche mit ihrer Faulheit nichts anzufangen. Warum müssen sie Handwerker beschäftigen, um ständig ihr Haus um- und anbauen oder den Hof neu pflastern? Oder sich einen Wintergarten einrichten, in dem sie sich dann doch nicht aufhalten? Haben wohl Sorge, man könne durch die großen Scheiben sehen, dass sie doch nur faul im Sofa sitzen. Wie wär’s denn stattdessen mit Petanque, mit Boulespielen – aber davon abschließend morgen mehr.

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