(5) Ist das Verpackung oder kann das weg?

Es waren nur sechzehn Tage, dann war die Kunst schon wieder weg. Oder ist sie jetzt wieder da? Ist die Verpackung die Kunst oder das Verpackte unter der Verpackung? Oder beides zugleich? Mit fünf Fotos auf der Spur des Ewigen im Vergänglichen.

Verhüllt in der Rue de Bercy, nur wenige Schritte entfernt vom Finanzministerium, dem „Trésor public“, der Schatzkammer der Republik. Foto: © Michael Magercord

(Michael Magercord) – Christo und Jeanne-Claude verfolgten dieses Projekt seit 1962, nun wurde es wahr. Und? Die Künstler haben immer gesagt, ihre Werke hätten nichts zu bedeuten, seien flüchtige Erscheinungen, gedacht nur für den Augenblick ihrer Anschauung. Aber genügt das dem Betrachter? Rührt sich da in ihm nicht der Wunsch nach dem Ewigen im Flüchtigen, dem Festhalten des Momentes. Und was passiert, wenn alle Fotos gemacht sind und sich die Sinne wieder auf Anderes richten – der erste Rückblick.

Eine Warnung sei vorangeschickt: Dieses Bild entstand unmittelbar unter dem Eindruck des verhüllten Kunstwerkes am Triumphbogen. Zu Fuß bin ich die Champs-Élysées hinunter. Dann über den Place de la Concorde in die Rue de Rivoli, die jetzt größenteils Fahrradfahrern vorbehalten ist. Vorbei am Rathaus durch die verkehrsberuhigten Straßen im Marais-Viertel, dessen Schönheit man nun, wo die Autos nicht mehr durch die Gassen brausen dürfen, viel intensiver wahrnimmt – gerade so, als wären Hüllen von den Fassaden gefallen, seit man beim Flanieren nicht mehr ständig auf den Verkehr achten muss. Was allerdings sogleich am Boulevard Henri IV zum Verhängnis wird, denn nun legen die Radfahrer wohl noch im Stolz ihres Sieges über das Auto auch die Regeln am Zebrastreifen entsprechend ihrer erworbenen Vorrangstellung aus.

Kurz: Es war ein weiter Weg. Und ich hatte auf ihm kein weiteres Foto mehr gemacht – bis zu diesem. Ja, was hatten sich da auf der ganzen Strecke schon Motive für thematisch passende Bilder angeboten: Der Blick auf die von einer riesigen, einen Tempel darstellende Plane verhängte Oper; die Fassade des Louvre, die ebenfalls von bedruckten Planen eingehüllt war; oder der Blick auf das von Baugerüsten verdeckte Seitenschiff der Notre-Dame: Sie alle hätten doch schon für ein Bild herhalten können, das meine Gedanken an den verpackten Triumphbogen zum Ausdruck bringen würde. Aber erst hier in der Rue de Bercy, am Südflügel des Gare de Lyon – theatralisch könnte man auch sagen: im Schatten des krakenhaften Gebäudes des Finanzministeriums – drückte ich wieder auf den Auslöser.

Was so auch wieder nicht stimmt. Ich war nämlich schon ein wenig weitergelaufen, bis zur nächsten Ampel. Die stand auf Rot. Während dieser kurzen Pause regte sich etwas in mir. Ein seltsames Gefühl, das man wohlwollend als „poetisch“ bezeichnen könnte: Eine innere Stimme sagte plötzlich, dieses Motiv gehört zu denen, die du von einem vorherigen Bildnis noch in dir trägst, das eine hat irgendwie mit diesem hier zu tun. Kurz: Ein unbestimmter Reflex gab mir den Anstoß, das kurze Stück zurückzugehen. Ich beugte mich ein wenig über das liegende Motiv und geräuschlos – wie es digitale Apparate erlauben – machte ich dieses Foto, ohne dass das Objekt davon etwas mitbekommen hat…

Ruchlos! Rücksichtslos! Hinterhältig! So ließe sich nun über den Fotografen schimpfen – und ich kann die Entrüstung nachvollziehen. Immerhin könnte ich einwenden, dass ich mich nicht wohlgefühlt hatte bei der Aufnahme des verhüllt auf dem Boden liegenden Menschen. Aber mal ehrlich: Was ist auf dem Bild zu sehen? Ein barocker Faltenwurf als Verhüllung, kurz: Das verhüllte Objekt bekommt eine Kontur, wodurch eine neue Aufmerksamkeit nicht nur auf das verhüllte Objekte, sondern auf die Themen, für die dieses Objekt steht, gelenkt wird – so heißt es jedenfalls auf der offiziellen Website der Nachlassverwalter von Christo und Jeanne-Claude, den Verpackungskünstlern vom Triumphbogen.

Das war’s also mit der Kunst der Verpackung. Doch jetzt geht’s erst richtig los! Was nämlich kommt zum Vorschein, wenn die Hüllen wieder gefallen sind: ein ganz anderes Objekt als jenes, das darunter verschwand? Wäre das noch ein Abbild wert? Würde es dieselbe Aufmerksamkeit erzeugen? Und worauf wäre sie nun gelenkt? Kurz: Schluss mit der Verhüllung, zurück im Leben, jetzt erst wird’s wieder ernst…

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