(5) Tag der Arbeit – Nun seid unnütz und unproduktiv!

Der Erste Mai. Vor sechs Wochen noch war das Tag für den Kampf um das Recht auf Arbeit. Jetzt steht er für das Eingeständnis, unnütz und unproduktiv zu sein. Jedenfalls für die Mehrheit der Systemunrelevanten – eine Fotoserie zum einstigen Tag der Arbeit.

Petanque oder Boule, das Spiel mit den Eisenkugeln, die das Schweinchen treffen sollen, wird es in dreißig Jahren noch geben – aber auch für die beiden? Foto: (c) Michael Magercord / ROPI

(Michael Magercord) – Es tut immer gut, ein klares Ziel zu haben. Doch oft ist es ein weiter Weg, das Ziel zu erreichen. Dabei darf man es nicht wieder aus den Augen verlieren. Oder es sich durch falsche Vorgaben madig machen zu lassen. Damit man die Richtung beibehält, der Kompass genordet bleibt, gilt es zunächst sich klarzumachen, was eigentlich hinter der eigenen Forderung steht. Dann wird man auch endlich erkennen, welches tatsächlich die größten Hindernisse sind, die es aus dem Weg zu räumen gilt, um ans Ziel zu kommen.

Wie also kann es noch was werden, dass diese beiden jungen Menschen auch noch im Jahr 2050 alimentiert durch eine auskömmliche Transferzahlung in Form der Rente Petanque, also Boule spielen können? Ohne sich Sorgen um den Lebensunterhalt machen so müssen, wollen sie sich dem Unnützen und Unproduktiven hingeben – doch was fordern sie da auf der Streikkundgebung im Januar 2020 in Straßburg wirklich: nichts mehr aber eben auch nichts weniger als das Paradies auf Erden!

Zugegeben hegen sie eine bescheidene Vorstellung vom Paradies, und für so manche gilt sie im Alter schon jetzt. Aber ob das aber auch so bleiben wird? Und dann auch für alle? Da schließt sich natürlich schon sofort die nächste, weiterreichende Frage an: warum eigentlich erst 2050? Hinter dem Anliegen der beiden jungen Leute steht doch eher, dass eine Aussicht auf spätere paradiesische Zustände sie bereits heute innerlich erquicken und beruhigen soll. Warum dann nicht gleich? Wo doch sowieso die meisten Menschen – wie wir vor drei Tagen an dieser Stelle am Beispiel des kräftigen Waldarbeiters sehen konnten – schon heute unnütz und unproduktiv sind, und zwar gerade dann, wenn sie noch arbeiten. Und so lautet die versteckte Botschaft hinter der Forderung der beiden eigentlich: Paradies jetzt!

Oh nein, das ist unmöglich – so wird es ihnen nun entgegenschallen. Aber warum? Bewiesen ist das jedenfalls nicht und bislang wurde kein ernsthafter Versuch unternommen, etwa ein Grundeinkommen einzuführen. Und das liegt nicht an dessen Unmöglichkeit, sondern daran, dass Entscheidungen, die in Gesellschaften getroffen werden, nicht daran hängen, was wirklich anliegt. Sie werden nicht im Ringen der Meinungen und schon gar nicht einsam von Politikern getroffen. Alles hängt davon ab, wie darüber geredet wird, wie man davon erzählt und welchen kollektiven Mythen diese Gesellschaft nachhängt. Wenn man daran etwas ändern will, ist Arbeit gefragt, und zwar die Arbeit am Mythos, oder wie man heute sagen wurde: am Narrativ.

Also Paradies – und damit ist nicht etwa ein Arbeiterparadies gemeint, das vielleicht so manchen von denen, die im Januar an den Rentenstreiks teilgenommen hatten, immer noch vorschwebt. Diese seltsame Wortverknüpfung aus Gegensätzlichem hatte ja eher für eine Vorhölle gesorgt. Doch wer im Gegenteil seine Leidenschaft für die Arbeit senkt, klopft der nicht bereits ans Tor vom Paradies? Jedenfalls, wenn es jene Arbeit betrifft, die über das Ziel hinausschießt und das Paradies, das die beiden eigentlich meinen, immer nur wieder zerstört: die Arbeit am Wachstum, am Überflüssigen. Davon kann uns auch keine Technik befreien, das ist nicht ihre Aufgabe, das bleibt unsere. Deshalb gilt es, das wirkmächtigste Narrativ zu bearbeiten, das es jemals gegeben hat und bis heute den Weg zur Erkenntnis versperrt: die Vertreibung aus dem Paradies.

Die Vertreibung in die Mühsal ist die Kollektivstrafe Gottes. Für Arbeit war dem Herrgott seine Schöpfung noch gut genug, nicht aber fürs Paradies. Der Mensch hat sich als unfähig erwiesen, in sich ruhend zu leben – und ehrlich: die Art, wie er dann draußen in der Welt die Arbeit organisiert hat, hat er erst bewiesen, wie unfähig er tatsächlich ist. Doch vielleicht tut ihm sogar dem Herrgott schon ein wenig leid und der hätte es im Paradies gerne wieder etwas voller. Und vielleicht ist ein Mensch, der nicht arbeitet, gar nicht so schlecht. Der weiß sich schon irgendwie zu beschäftigen. Aber was tun, wenn er dann doch vom Baum der Erkenntnis nascht, und endlich erkennt, welcher Mythos ihn bisher dazu getrieben hatte, sich am Unnützen derart abzumühen? Würde man ihn dann doch wieder gleich hinauswerfen…

Wie man es dreht und wendet: Es bleibt ein Teufelskreis, wenn er sich um Arbeit dreht. Deshalb gilt es sich von dem Vertreibungsmythos zu befreien! Diesen Mythos, den man uns ja erst im 16. Jahrhundert aufgeschwatzt hat. Vorher saß der Mönch friedlich im Kloster, seit Luther verdienen sich selbst der Bescheidene sich das Paradies nur noch durch Arbeit. Und heutzutage wird nicht mehr nur am Ende gefragt: Was fängst du mit deinem Leben an? Arbeiten, was sonst! Doch nun, nach der Arbeit am Mythos sage ich: Die Unproduktivität ist eine mögliche, ja ehrenwerte Daseinsform, die auch dauerhaft tragbarer wäre für den Menschen und seinen Planeten.

Ach, reden wir nicht drumherum, nennen wir es, was jetzt gefordert ist, beim Namen: Faulheit! Und meine Faulheit ist der gelebte Pazifismus gegen mich selbst. Denn wer steht dem Faulsein besonders effektiv im Wege? Das vom Urmythos gescheuchte Ich. Die Ordnung der Gesellschaft, die Zwänge der Arbeitswelt, das Wachstumsideal der Wirtschaft tun das ihre, doch meist nötigt man sich doch selbst zu der untragbaren Lebensweise. Doch wenn es so schwerfällt, faul zu sein, brauchen wir dann nicht diesen visionären Pazifismus in der ersten Person Singular? Ja, und somit unterbreite ich – der Menschheit – diesen „faulen“ Vorschlag: Man fasse den ganzen Katalog der Menschenrechte zusammen auf zwei ganz einfache Aussagen: Jeder Mensch hat das Recht unproduktiv und nutzlos zu sein!

Das ist es, was die beiden Jungs nämlich wirklich fordern, wenn sie vom Boulespielen reden. Faulheit ist der Schlüssel zum Paradies. Und selbst wenn die Verhältnisse es noch nicht zulassen, danach zu leben; wenn es immer noch ein wenig dauern wird, bis diese Erkenntnis auch institutionell nachvollzogen wird; und wenn gerade jetzt im Stillstand die Rufe nach Produktion und Wachstum auf Teufel komm raus erst einmal wieder lauter werden – einmal zu dieser Erkenntnis gelangt, mag man zwar nun noch vor dem verschlossenen Tor zum Paradies zu stehen, aber man weiß jetzt wenigstens, dass der Schlüssel schon unter der Matte liegt. Und dann bliebe schließlich nur noch ein Letztes zu tun: diesen seltsamen Ehrentag der Arbeit nämlich umzubenennen in den „Tag der Faulheit“.

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