7 Lektionen der Wahlen in Frankreich

Der erste Wahlgang der Regional- und Departementswahlen am Sonntag hat zahlreiche Erkenntnisse gebracht. Selten hat man einen interessanteren Wahlabend erlebt.

Vor den Wahlkabinen musste am Sonntag niemand Schlange stehen... Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Normalerweise sind Wahlabende nach einem ersten Wahlgang einer Regional- oder Departementswahl eher langweilig. Normalerweise. Nicht aber am Sonntag, an dem bei Verkündung der Wahlbeteiligung und der Ergebnisse so ziemlich alles Grund zum Staunen gab. Die Botschaften, die sowohl die französischen Wähler, aber auch die Nichtwähler, an ihre politische Elite sandten, haben es in sich.

Lektion 1: Die Franzosen haben die Nase voll von einem verkrusteten, anachronistischen Politiksystem, das ganz offenbar mehr mit sich selbst, als mit den Bürgerinnen und Bürgern beschäftigt ist. – Die Wahlbeteiligung um die 30 % ist ein absoluter Negativrekord und spricht Bände – die Verbindung zwischen Politik und Bürgerschaft ist gekappt, die Politik hat das Vertrauen der Menschen verloren und es wird sehr große Anstrengungen erfordern, dieses Vertrauen wieder herzustellen. Wenn zwei von drei Franzosen der Ansicht sind, dass keiner der Kandidaten wählbar ist und es sich nicht mehr lohnt, überhaupt wählen zu gehen, dann täten die Parteien besser daran, sich zu hinterfragen, statt zu versuchen, mit mehr als fadenscheinigen Argumenten die „Schuld“ an dieser Entwicklung beim schlechten Wetter, der Blödheit der Leute oder dem politischen Gegner zu suchen. Diese Wahlbeteiligung ist eine dunkelgelbe Karte für die französische Politik, die allerdings nach den ersten Reaktionen weiterhin die „Schuld“ überall sucht, nur nicht bei sich selbst.

Lektion 2: Traue keinen Umfragen. - In den Chefetagen der Umfrageinstitute dürften seit gestern Krisensitzungen stattfinden. Denn die Umfragen vor dieser Regional- und Departementswahl waren weniger präzise als die Fußball-Tipps von Krake Paul. Dass es immer eine Fehlermarge bei Umfragen gibt, geschenkt. Aber wenn sich die Umfragen um bis zu 20 % irren, dann stellt sich die Frage, wozu solche Umfragen überhaupt nützen. Beispiel: In der Region Grand Est war das rechtsextreme „Rassemblement National“ in den Umfragen klar vorne, mal mit 34, mal mit 36 und mal mit 38 %. Am Ende standen 20 % auf der Habenseite der Rechtsextremen…

Lektion 3: Nein, Frankreich ist nicht rechtsextrem. – Praktisch überall blieb das Rassemblement National weit, weit hinter den prognostizierten (und von ihnen selbst erhofften) Ergebnissen zurück. Zwar ist die Partei immer noch landesweit die zweitstärkste Kraft, doch das, was die Umfragen vorhergesehen hatten, nämlich dass 3 bis 5 Regionen in die Hände der Rechtsextremen fallen könnten, ist nicht eingetreten. Im Gegenteil. Da konnte Parteichefin Marine Le Pen am Wahlabend mal wieder ihr aggressives Gesicht aufsetzen und ihre Landsleute anschnauzen, dass diese gefälligst bei der Stichwahl wählen gehen – die befürchtete Übernahme des Landes durch die Rechtsextremen fällt aus.

Lektion 4: Die traditionellen Parteien haben wieder Rückenwind. Landesweit sind die Konservativen von „Les Républicains“ die klaren Wahlgewinner (wenn man bei einer Wahlbeteiligung von 30 % überhaupt von „Gewinnern“ sprechen kann). - Doch auch die sozialistische PS konnte das in den Umfragen vorhergesagte Ergebnis praktisch verdoppeln und die Chancen, dass einige der 13 französischen Regionen weiterhin von „linken“ Politikern geführt werden, stehen überraschenderweise hoch. In unruhigen Zeiten wie heute versammeln sich die Wählerinnen und Wähler dann eben doch lieber im demokratischen Spektrum.

Lektion 5: Die „grüne Welle“ ist alles andere als vorbei. - Die französischen Grünen (EELV) haben erstaunlich gut abgeschnitten und sind nach ihrem Erfolg bei den Kommunalwahlen im letzten Jahr dabei, sich fest als dritte Kraft in der französischen Politiklandschaft zu etablieren. Was die Grünen allerdings davon abhält noch erfolgreicher zu sein, ist ein anachronistisches Wahlsystem, das darauf ausgelegt ist, den Aufstieg von Parteien wie den Grünen zu verhindern. Dass diese trotzdem weiterhin Rückenwind haben, ist erstaunlich. Und lässt darauf schließen, dass die Grünen auch in Frankreich eine immer wichtigere Rolle in der Politik spielen werden.

Lektion 6: Das Ende der „Macronie“ ist nah. – Der Präsident Emmanuel Macron hatte für die Regionalwahlen jede Menge Regierungsmitglieder in den verschiedenen Regionen ins Rennen geschickt, im Irrglauben, dass diese für ihn die Kastanien aus dem Feuer holen. Das Gegenteil ist eingetreten, die Regierungspartei „La République en Marche“ befindet sich plötzlich landesweit mit der PS im wenig ehrenvollen Kampf um Platz 4 oder 5 der französischen Parteien. Seine Kandidaten holten zwischen 9 und 15 % der ohnehin schon wenigen Stimmen und Macrons Versuch, nach der Linken nun auch die Rechte zu spalten, ist kläglich gescheitert. Der Glanz des „Sonnenkönigs“ ist verblasst und diejenigen, die vor 4 Jahren ihre verschiedenen Parteien verraten haben, um ihr Glück in der neuen Macron-Partei und dem Versprechen einer „neuen politischen Welt“ zu suchen, sind am Montag mit einem schweren Kater erwacht. Macron ist mit seiner autoritären und distanzierten Prunk-Politik gescheitert, die Franzosen haben begriffen, dass die „neue politische Welt“ eben doch nur die „alte politische Welt im Amateur-Modus“ ist.

Lektion 7: Im Superwahljahr 2022, wenn Präsident und das nationale Parlament neu gewählt werden, muss es nicht unbedingt zu dem langweiligen Duell Macron – Le Pen kommen. – In der Region Hauts-de-France holte der konservative Gegenspieler Macrons, Xavier Bertrand (Dissident der „Les Républicains“), 41,4 % der Stimmen und tritt in der Stichwahl gegen einen rechtsextremen Kandidaten an. In dieser Region hatte Macron jede Menge Parteiprominenz ins Rennen geschickt, doch sein Kandidat schaffte es nicht einmal in die Stichwahl. Und plötzlich merken die Franzosen, dass das seit langem angekündigte Duell bei der Präsidentschaftswahl 2022, Macron gegen Le Pen, nicht gottgegeben ist und dass es durchaus Chancen gibt, dass es weder Macron, noch Le Pen in den zweiten Wahlgang schaffen. Sollten sich die linken Parteien und die Grünen auf eine gemeinsame Kandidatur einigen können (was allerdings auch alles andere als klar ist), könnte es 2022 zu einer Stichwahl zwischen Xavier Bertrand und einem „linken“ Kandidaten kommen. Die seit 2002 andauernden Zeiten, in denen es reichte, Gegenkandidat eines Familienmitglieds des Le Pen-Clans zu sein, sind vorbei.

Wohl selten hat eine Regional- und Departementswahl derart viele Erkenntnisse über die politische Befindlichkeit Frankreichs erbracht wie die Wahl am Sonntag. Die politische Kaste hat keine andere Wahl mehr, als sich selbst zu hinterfragen und den Franzosen neue, bessere Konzepte vorzuschlagen. Diejenigen Parteien, die dazu nicht in der Lage sind, werden schon bald von der politischen Bildfläche verschwunden sein. Und selten war die Spannung vor einem zweiten Wahlgang einer solchen Wahl grösser als heute. Der kommende Sonntag, der 27. Juni 2021, könnte der Tag sein, an dem sich Frankreich auf den Weg in die VI. Republik macht. Denn die V. Republik hat sich definitiv überholt. Am nächsten Montag werden wir mehr wissen.

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