A very blaues Auge

Zwar hat Theresa May gestern Abend das Misstrauensvotum von Labour überstanden (325 zu 306 Stimmen), aber der ganz große Stress geht für sie jetzt erst richtig los.

So richtig entspannt und glücklich sah Theresa May gestern Abend nach der Abstimmung nicht aus... Foto: ScS EJ

(KL) – Ob Theresa May zur Zeit wohl nachts gut schlafen kann? Die tiefen Ringe unter ihren Augen deuten auf das Gegenteil hin. Zwar hat sie ihren Posten als britische Regierungschefin retten können, aber jetzt läuft ihr die Zeit weg. Nachdem ihr der Brexit-Vertragsentwurf vom Unterhaus dank zahlreicher Stimmen aus ihrem eigenen Lager um die Ohren geschlagen worden war, muss sie nun innerhalb von 72 Stunden erklären, wie ihr „Plan B“ für den Brexit aussehen soll. Denn das ergab die erste Abstimmung in dieser Brexit-Woche – als sie das Unterhaus dazu verdonnerte, im Falle einer Ablehnung ihres Vertragsentwurfs innerhalb von 3 Tagen Alternativpläne vorzulegen. Wie sie innerhalb dieser kurzen Frist einen neuen Plan schmieden will, diesen von den Europäern absegnen zu lassen und so zu präsentieren, dass er akzeptiert werden kann, ist rätselhaft.

Im Grunde haben gestern Abend im britischen Unterhaus alle verloren. Der „Sieg“ könnte für Theresa May sehr bitter werden, nämlich spätestens dann, wenn sie in Brüssel auf der Matte steht und den Europäern, die nicht die geringste Lust verspüren, das Verhandlungspaket noch einmal aufzuschnüren, ein „OK“ für einen neuen Plan abzuringen, der so kurzfristig auf EU-Seite und von den nationalen Regierungen gar nicht geprüft werden kann. Zumal die EU auf einen zentralen Punkt besteht, den „Backstop“, mit dem sich die Hardliner bei den Tories nicht abfinden werden.

Der „Backstop“ ist die Notfall-Regelung für Irland, wo niemand eine „harte“ Grenze zwischen Nord-Irland und der Republik Irland will. 30 Jahre hat es gedauert, an einem friedlichen Nebeneinander der beiden Irlands zu arbeiten, nachdem der blutige Bürgerkrieg Tausende Opfer gefordert hatte. Dass sich auf der irischen Insel niemand ein erneutes Aufflackern des Konflikts wünscht, ist verständlich. Doch im Falle eines Brexits entsteht plötzlich eine EU-Außengrenze zwischen Nord-Irland und der Republik Irland, die theoretisch nach den üblichen Standards für EU-Außengrenzen scharf kontrolliert werden müsste und somit den freien Verkehr der Iren in beide Richtungen unmöglich machen würde. Um dies zu verhindern, hat die EU auf den „Backstop“ bestanden, der vorsieht, dass Großbritannien so lange in der Zollunion bleibt, bis die Frage zufriedenstellend geregelt ist.

Doch genau das kann Theresa May den Brexit-Hardlinern in ihrer Partei nicht vermitteln. Denn auch nach einem Brexit wird Großbritannien weiterhin die Regeln des EU-Binnenmarkts einhalten müssen, wenn das Land weiter Handel mit der EU treiben will und käme jetzt noch auf unbestimmte Zeit die Fortsetzung der Zollunion dazu, wäre der Brexit eigentlich – gar kein Brexit. Auch die Alternative, nämlich dass lediglich Nord-Irland weiter in der Zollunion bliebe, können viele Tories nicht akzeptieren und auch das ist verständlich. Die Vorstellung, dass eine EU-Außengrenze mitten durch ein Land verläuft, ist einfach nicht vorstellbar. Nur – die EU wird auf diese „Backstop“-Regelung nicht verzichten. Was genau will denn Theresa May jetzt mit der EU als „Plan B“ verhandeln?

Der zweite große Verlierer des Abends ist Jeremy Corbyn. Dass es ihm lediglich darum ging, Theresa May zu stürzen, war zu offensichtlich. Corbyn hat die Chance verpasst, die Speerspitze derjenigen zu werden, die für einen Verbleib in der EU plädieren. Stattdessen war sein einziges Ziel dieses Misstrauensvotum, um Neuwahlen ausrufen zu können, von denen er sich einen Wahlsieg versprach. Verzockt.

Der dritte große Verlierer sind die Briten, deren Land sich an der Frage des Brexit ebenso aufreibt wie gerade Frankreich mit den „Gelbwesten“. Dabei sind die jeweiligen Positionen so ideologisch verhärtet, dass Kompromisse kaum denkbar sind. Ein wenig Austritt geht ebenso wenig wie ein wenig schwanger. Und die Brexit-Verfechter, die heute noch auf ihrer Position beharren, obwohl die Konsequenzen inzwischen auch dank der vielen von der Regierung erstellten Modelle klar sind, die wird auch niemand mehr davon überzeugen, dass die Zukunft des Vereinten Königreichs in Europa besser als außerhalb Europas wäre.

Die Uhr tickt und Theresa May muss liefern. Wem sie dabei was zu liefern hat, wird von Tag zu Tag unklarer. Im März läuft die Brexit-Frist aus und so gerne Theresa May auch eine neue Frist bekäme, ist im Mai die Europawahl. Bereits im Vorfeld muss die Frage des Brexit geklärt sein, so oder so.

Nachdem die Brexit-Kampagne 2016 auf der Grundlage von erwiesenen und eingeräumten Lügen abgelaufen war und die Briten erst danach erfahren haben, was der Brexit tatsächlich für sie bedeutet, wäre es demokratisch, sie noch einmal abstimmen zu lassen. Nicht, um sie so lange abstimmen zu lassen, bis man ein „gewünschtes“ Ergebnis erhält, sondern weil ein belogenes und betrogenes Volk das Recht haben muss, ein aufgrund von Lügen und Betrug zustande gekommenes Abstimmungsergebnis zu korrigieren. Den Briten ein aufgeklärtes, zweites Referendum zu verweigern, das wäre undemokratisch.

Wie es weitergeht? Dass muss uns Theresa May in den nächsten 72 Stunden erklären. Dabei weiß sie es selber nicht…

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