Aber schön brav sein, gell?

Der Erfolg der aktuellen Lockerungen in Frankreich hängt stark davon ab, dass die Menschen weiterhin die Barriere-Gesten einhalten. Aber das ist nicht viel mehr als ein frommer Wunsch.

"Aber immer schon die Maske aufsetzen, gell?" - "Red du nur..."... Foto: Ferdinand Pauwels / Bavarian State Painting Collections / Wikimedia Commons / PD

(KL) – Seit Mittwoch herrscht, trotz des schlechten Wetters, eine ausgelassene Stimmung in Frankreich. Die Terrassen sind voll, man kann unter den Regenschirmen bei halbwegs erträglichen Temperaturen bis 20:45 Uhr mit Freunden und Bekannten am Tisch sitzen und bis auf diejenigen, die immer noch in der Stadt eine Maske tragen, erinnert nicht mehr viel daran, dass wir es mit einer Pandemie zu tun haben. Fast hat man das Gefühl, als habe die französische Regierung diese für beendet erklärt. Das zumindest ist die Botschaft, die bei vielen Franzosen angekommen ist.

Wer abends durch Straßburg (oder andere französische Städte) läuft, der sieht jede Menge glücklicher Gesichter. Doch, doch, man sieht tatsächlich die ganzen Gesichter, denn bei sehr vielen Menschen ist die untere Gesichtshälfte nicht mehr durch die lästige Maske verdeckt – denn das Tragen der Maske wird seit Mittwoch von sehr vielen Menschen als überflüssig betrachtet. Hatte nicht Gesundheitsminister Olivier Véran schon angekündigt, dass das Tragen der Maske „wahrscheinlich“ schon im Juni abgeschafft werden kann? Nach 4 oder 5 Bieren auf der Terrasse mit Freunden (und wer erinnert sich schon noch daran, dass man dort eigentlich nur zu sechst sitzen darf…) wird das Anlegen der Maske nicht nur als ärgerlich, sondern als unnötig betrachtet. Also lässt man es gleich ganz bleiben, um Arm in Arm mit seinen Freunden singend durch die Stadt zu ziehen, in der auch die Ausgangssperre um 21 Uhr eher als fakultativ betrachtet wird. Ob diese „Open Bar“-Stimmung tatsächlich dazu beiträgt, die leider immer noch grassierende Pandemie einzudämmen?

Das Problem mit diesen Lockerungen ist weniger sanitär als vielmehr politisch. Eine nicht unerhebliche Rolle in der Kommunikation spielen die im Juni anstehenden Regional- und Departementswahlen, bei denen die Franzosen zum ersten Mal seit einem Jahr an den Wahlurnen ein Urteil über das Management der Regierung abgeben können und die Umfragen sind für die Regierungspartei „La République en marche“ katastrophal. Dort, wo sich die Macron-getreuen Kandidaten und Kandidatinnen noch trauen, unter dem Etikett „LREM“ anzutreten, dümpeln sie in den Umfragen gerade mal bei 10%, anderswo treten sie erst gar nicht unter dieser Identifikation an. Kein Wunder, dass nun alles daran gesetzt wird, rechtzeitig vor den Wahlen den Franzosen „die Freiheit zurückzugeben“, auch, wenn die Menschen dabei in der falschen Sicherheit gewiegt werden, das Schlimmste sei nun überstanden. Daher kommt auch diese unverantwortliche Kommunikation, nach der die Regierung alles derart im Griff hat, dass man schon bald auf Masken verzichten kann. Da ist es nachvollziehbar, dass viele meinen, dieser Entwicklung ein wenig vorgreifen zu können.

Doch Ermahnungen und wohlmeinende Ratschläge, man möge sich doch bitte verantwortungsvoll verhalten, gehen im Jubeltrubel um den ersten Kaffee, das erste Bier und die erste Mahlzeit auf der Terrasse unter. Frankreich stürmt jubelnd die Terrassen und es ist fast so wie vorher. Stellt sich nur die Frage, wie lange dies anhalten wird. So ausgelassen, wie sich halb Frankreich heute über die sanitären Gesten hinwegsetzt, könnte sich das leider auch ganz schnell wieder ändern.

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