Abschiebungen nach Afghanistan

Die aktuellen Nachrichten aus dem von Krieg, Bürgerkrieg und Terrorismus zerstörten Land zeigen, dass man ein Land nicht vom Schreibtisch aus zum „sicheren Herkunftsland“ erklären kann.

Das Bild ist nur wenige Monate alt - Afghanistan, ein friedliches, sicheres Herkunftsland... Foto: Gerben van Es / Ministerie van Defensie / Wikimedia Commons / CC0 1.0

(KL) – Ja, Deutschland hat ein Problem damit, abgelehnte Asylbewerber auszuweisen. Vor allem, wenn es darum geht, abgelehnte Asylbewerber nach Afghanistan auszuweisen. Viele abgelehnte Asylbewerber verschwinden gegen Ende ihres Verfahrens im Nirgendwo und gleichzeitig wird es immer schwieriger, Freiwillige zu rekrutieren, die solche Abschiebungsflüge als Sicherheitspersonal begleiten wollen. Doch dass die Bundesregierung Afghanistan zum „sicheren Herkunftsland“ deklariert hat, erscheint angesichts der aktuellen Nachrichten wie blanker Zynismus. Wie kommt man aus der Situation wieder heraus?

Die Zähigkeit der Asylverfahren liegt nicht etwa an der Faulheit von Beamten, langsamen Richtern oder einer versagenden Verwaltung, sondern sie hat mehrere Gründe. Deutschland ist ein Rechtsstaat, der sich angenehm von denjenigen Ländern unterscheidet, in denen Diktatoren das Recht außer Kraft setzen und Kritiker ins Gefängnis werfen. „Rechtsstaat“ bedeutet, dass jeder Mensch das Recht hat, alle ihm zustehenden rechtlichen Instanzen auszuschöpfen, um seine im Grundgesetz festgelegten Rechte durchzusetzen. „Jeder Mensch“ wiederum bedeutet jeder Mensch. Artikel 1 des Grundgesetzes besagt, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Also auch diejenige von Menschen, die bei uns Asyl suchen. An diesen Grundfesten der Demokratie sollte niemand zu rütteln wagen.

Ein weiterer Grund dafür, dass offenbar Tausende Asylbewerber gegen Ende ihres Verfahrens abtauchen, ist die Politik der Bundesregierung selbst. In Afghanistan häufen sich Anschläge, Selbstmordattentate, Angriffe auf humanitäre Einrichtungen, es herrscht nach wie vor der Terror in Afghanistan. Die Perspektive, wieder in die Hölle zurückgeschickt zu werden, aus der man unter oft unsäglichen Bedingungen geflüchtet ist, könnte Motivation genug sein, sich dem zu entziehen, indem man untertaucht.

Zum besseren Verständnis: Nehmen wir mal an, es sei das Jahr 1938. Als Jude in Deutschland haben Sie in den letzten Jahren den Nazi-Terror erlebt. An Ihre Hauswand wurden Hassparolen gepinselt, die Scheiben wurden eingeworfen, Sie mussten zu Recht um Ihr Leben fürchten. Unter unglaublichen Umständen ist Ihnen die Flucht in ein politisch stabiles Land gelungen, in dem es keinen Krieg und keine Verfolgung gibt. Aber – die Regierung dieses Landes erklärt, dass Deutschland für Juden ein „sicheres Herkunftsland“ sei und dass es auch in Deutschland Regionen gibt, in denen es sich als Jude unbehelligt und sicher leben lässt. Also lehnt man Ihr Asylgesuch und das Ihrer Familie ab. Sie dürfen Widerspruch einlegen und so lange in dem Land bleiben, bis der Rechtsweg ausgeschöpft ist. Was machen Sie dann gegen Ende des Verfahrens? Brav abwarten, dass Sie wieder dorthin zurückgeschickt werden, wo Ihnen das Schlimmste droht? Oder würden Sie vielleicht auch abtauchen und versuchen, sich irgendwie so durchzuschlagen?

Es gibt keine „gute“ Lösung für dieses Problem, schon gar nicht auf nationaler Ebene. Denn diese Thematik betrifft, ebenso wie die Frage der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen, alle europäischen Länder. Afghanistan ist kein sicheres Herkunftsland und daher ist es dringend erforderlich, die Abschiebungen dorthin auszusetzen und schnellstmöglich auf europäischer Ebene eine umfassende europäische Flüchtlingspolitik aufzusetzen.

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