Absurdistan liegt auf der Straße
Am Straßburger TNS wird derzeit das Theater ad absurdum geführt – jedenfalls scheint es so, als solle mit dem Stück „Soubresaut“ der Versuch unternommen werden, so absurd zu sein, wie man es in den 1950er war, als man auf Godot wartete – eine Analyse des Scheiterns des Absurden.
(Von Michael Magercord) – Eine Abstellkammer? Eine Scheune? Oder doch eine Bühne? Holzgerüste, Türen, übergroße Bilderrahmen, alles ziemlich unsortiert, und zudem noch stetig in Bewegung. Jedenfalls wenn die Figuren, die in dieser Rumpelkammer geschmeidig wiegend und biegend über Tisch und Stühle steigen, das Dekor gleich mit bewegen. Und das tun sie ziemlich oft, kommen hervor, treten ab, ziehen sich um, denn mal agieren sie in Ritterrüstung, Rokoko-Kostüm oder schwarzen Cut und Reifrock. Und dann reiten sie schließlich auf einem Wildschwein und einem Pferd aus Blechdosen – so ein inkohärentes Durcheinander, erscheint das nicht absurd?
Immer verbleibt die Bühne im Halbdunkel, Licht hebt nur spärlich Szenen heraus. Vor allem dann, wenn eine der acht Figuren dran ist, ihren Text zu rezitieren: Gedichte oder tiefschürfende Betrachtungen von Kafka über Ovid, Dante, Joseph Brodsky, Peter Weiss oder Robert Walser bis Kierkegaard. Es geht darin um den Tod und die Ewigkeit und den Umgang damit für Menschen, die an ein paradiesisches Leben nach dem Tode nicht mehr so recht zu glauben vermögen. Für den Philosophen Jean-Luc Nancy, der im Zuschauerraum saß, mündete der Theaterabend in die Frage: „Kann man heute noch das Ende der Welt beschreiben?“. Und er gab sogleich die Antwort: „Nein!“. So wenig nämlich wie man seine Biografie bis zum bitteren Ende erzählen könne, der Schluss – der Tod – würde immer ausgespart bleiben.
Uns modernen Sterblichen, normalen oder philosophisch gebildeten, die ohne eine unsterbliche Seele auskommen müssen, bleibt wohl nur die Erkenntnis, dass unser Leben bloß eine Episode und damit im Grunde als Ganzes absurd geworden ist – zumal in einer Welt des rasanten Wandels: das moderne Leben besteht aus lauter inkoheränten Episoden, die sich lediglich auf knappen Bewerbungsbögen zu einem kohärenten Lebenslauf formen lassen. Und genau dieser Umstand treibt die Absurdität zur Verzweiflung: denn das Absurde, diese kurze Offenbarung der blitzartigen Möglichkeit des Unmöglichen, funktioniert nur, wenn es noch etwas gäbe, das unmöglich erschiene, etwas, das noch aus dem Lauf einer Geschichte herausfallen könnte und diese Geschichte als bloßes Konstrukt bloßstellen würde.
Aber wo soll sich heute noch so eine kohärente Geschichte abspielen? Zugegeben, gerade wir Journalisten werden von Redakteuren dazu gedrängt, unsere Berichte aus der Wirklichkeit zu „Geschichten“ zu formen. Aber so recht will das nicht mehr gelingen, außer man betreibt Fake News, denn jede gute Verschwörungstheorie ist zu Allererst eine kohärente Geschichte. Aber das moderne Leben schreibt einfach keine mehr – zumal im digitalen Zeitalter der binären Codes, in dem alles möglich ist, weil es bereits genügt, virtuell möglich zu sein. Und da es nicht möglich ist, Kohärentes zu brechen, wenn sowieso alles absurd erscheint, bleibt die absurde Offenbarung aus.
Jedenfalls stellt sie sich im Theater nicht ein, wenn man sich mal eben schief in ein schiefes Bühnenbild stellt, eine Unmöglichkeit deutet sich so nicht mehr an. Da mag das Stück einen bedeutungsschweren Titel tragen: Soubresaut, auf Deutsch etwa Turbulenz, Verwerfung oder Erschütterung,. Es ist aber nicht erschütternd, dabei zuzusehen, wie Absurditäten nur vortäuscht werden durch geschmeidiges Biegen und Wiegen über Holzgerüsten. Bestenfalls ist das amüsant – immerhin… Warten auf Godot war jedenfalls gestern, im vordigitalen Zeitalter. Wer heute noch eine Geschichte mit einer vagen Aussicht auf ein Ende erzählt, ersinnt eine Verschwörungstheorie oder kitschigen Schmalz, wobei Letzteres wenigstens über die Totalität des Absurden in der Moderne hinwegtröstet.
Aber halt! Es gibt noch einen Ort, an dem zwar kein Theater gemacht wird, wo sich aber das Absurde in der Moderne doch offenbart: auf der Straße. Ganz so, als wollte das Absurde seine Existenz beweisen, bot es in unmittelbarer Nähe des Theatersaales den Zufallszuschauern diese schöne Episode aus dem modernen Alltag an: Ein führerlos parkendes Auto blockiert eine Garagenzufahrt. Eine Autofahrerin wollte mit ihrem Gefährt nun ausgerechnet dort hinausfahren. Was tut sie? Sie hupt das Auto an, so als hätte es sich allein dorthin gestellt und sich nun unter Dauerhupen auch von allein wieder auf dem Weg machen würde. Unmöglich? Oder eben doch eine vage Möglichkeit?
Es war nur eine kurze Szene und ihre Auflösung unterstreicht noch das Absurde daran: Nach wenigen Minuten erschien der Fahrer des verwaisten Wagens und befreite die Garagenbesitzerin. Die wartete dann zwar noch einmal genauso lange, wie sie zuvor hupend das seelenlose Auto beseelte, bis sie sich endlich in die Wagenschlange des Feierabendverkehrs einfädeln konnte – nun aber ohne zu hupen.
Soubresaut
Ein Schauspiel des Théâtre du Radeau
Buch und Regie: François Tanguy
Mit Didier Bardoux, Anne Baudoux, Frode Bjornstad, Laurence Chable, Jean-Pierre Dupuy, Muriel Hélary, Ida Hertu, Vincent Joly, Karine Pierre, Jean Rochereau
Dauer: 1h20
15. – 19. Januar 2018 um 20:00 Uhr
im Espace Grüber,
18 rue Jacques Kablé, Straßburg
Infos und Tickets unter: www.tns.fr
Weitere Aufführungen im TNS:
Actrice
24. Januar bis 4. Februar
(am 3. Februar mit deutschen Übertiteln)
À la trace
25. Januar bis 10. Februar
La Fusillade sur une plage d’Allemagne
14. – 23. Februar
Bel article pour tant de mauvais bruits. Pourquoi ce personnel ne mettrait pas son énergie physique à aller avec humilité sur les bancs de l’école. Il est vrai que les spectateurs devraient aller à l’école aussi, eux qui confondent avec indulgence culture et spectacle. Rien n’a changé, panem et circenses est rebaptisé flouze et bouffe. Mais il est vrai que lorsque des spectateurs, surtout ceux à qui la place est offerte, se sentent l’obligation de monter les farces en mayonnaise, on peut comprendre que ceux qui, vanité et culture obligent, ont “payé pour” soient les prochains sycophantes et les prochaines victimes de leur “culture”.
Pierre Hemmerlé
Nous devons à ce noir américain célèbre dans le business du jazz d’avoir éclairé l’humanité mieux que la statue dite de la liberté.
“Le culmen de l’humanité est de ne pas bouger”. Tant il est vrai que toutes les gesticulations ne sont que des expressions de fanatisme teintées d’économisme, d’héroïsme, de scientifisme.
Oui mais il y à un message, me sussure-t-on avec condescendance, suffisance et insuffisance.
Oui, celui de l’asservissement, de la servilité et de l’arrogance.
L’article, encore une fois, est bien écrit, mais il s’avère depuis des lustres et des millénaires, que bien ou mal rédigé, flatteuses ou flingueuses, les critiques ne sont toujours que des invitations à perpétuer la misère sociale et l’indigence intellectuelle.
Pierre Hemmerlé
Cordialement