Ach ja, der Streik geht natürlich weiter…

Heute ist der 42. Tag des Eisenbahnerstreiks in Frankreich. Dazu finden nun zweimal in der Woche Demonstrationen statt. Und die Regierung versucht, nicht das Gesicht zu verlieren.

Fährt der Regionalzug TER? Peut-être... Foto: Jean.Iormont / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Der französische Ministerpräsident Edouard Philippe kann einem fast leidtun. In der Auseinandersetzung um die geplante Rentenreform hat er einerseits die Aufgabe, die Linie seines Präsidenten Emmanuel Macron durchzusetzen („Egal, was kommt, wir ziehen das bis zum Ende durch“), gleichzeitig aber das aufgebrachte Volk zu befrieden, das ebenso wie der Präsident bereit zu sein scheint, bis zum bitteren Ende weiterzumachen. In der Zwischenzeit streikt sich Frankreich in die nächste Krise hinein.

Die Woche in Frankreich ist inzwischen durch mehrere „jours fixes“ organisiert. Dienstags und donnerstags demonstrieren die Gewerkschaften gegen die Rentenreform, unterstützt von den wieder mehr werdenden „Gelbwesten“ und samstags demonstrieren die „Gelbwesten“, unterstützt von vielen Gewerkschaftern. Und natürlich demonstrieren samstags auch alle anderen. Ärzte, Lehrer, Krankenschwestern, Polizisten, Anwälte, Klimaschützer, Frauenrechtlerinnen. Da wird es schwierig, einen Termin für die eigene Demonstration zu finden. So weichen die Feuerwehrleute auf diesen Freitag aus, damit ihre Demonstration nicht im Gewusel der anderen Demonstrationen untergeht.

Gleichzeitig versucht die Regierung mit den Gewerkschaften zu verhandeln, was allerdings ziemlich aussichtslos erscheint. Denn ebenso wie in anderen europäischen Ländern wird auch Frankreich nicht um eine Erhöhung des Renteneintrittsalters herum kommen. Der Grund dafür ist die reine Mathematik. Die Lebenserwartung ist in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen und damit steigt auch die Zahl der Rentner, während gleichzeitig die Anzahl der einzahlenden Arbeitnehmer sinkt. Auf Dauer kann das nicht gutgehen, doch genau diese Erhöhung des Renteneintrittsalters wird momentan mit den Gewerkschaften nicht gehen.

Herrschen statt managen. – Mit einem Anstieg des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre würde Frankreich noch im unteren europäischen Drittel liegen, doch wie in vielen anderen Themenbereichen hat es die Regierung versäumt, diese Rentenreform im Vorfeld offen zu kommunizieren. Doch die monarchistisch anmutende Art, mit der die Regierung Macron/Philippe über das Land herrscht, treibt die Franzosen zur Weißglut. Abgesehen davon, dass dieser Regierungsstil ungefähr 150 Jahre zu spät kommt, wollen die Franzosen wahrgenommen und gehört werden. Doch das Konzept, dass ein Staats- oder Regierungschef der „Primus inter pares“ ist, hat sich in Frankreich noch nicht durchgesetzt. In Frankreich hat „Regieren“ mehr mit „Herrschen“ als mit „Managen“ zu tun. Das ist das Problem der V. Französischen Republik, deren Tage längst gezählt sind.

Nur, wie soll es nun weitergehen? Der Streik und die Demonstrationen kosten das Land gerade die Früchte eines zarten Konjunkturaufschwungs, der Imageverlust für das Reiseland Frankreich kann noch gar nicht ermessen werden. Und die Fronten zwischen Regierung und Bevölkerung sind derart verhärtet, dass niemand mehr einen Rückzieher machen kann und will.

Keine Seite kann mehr zurück. – Die Streikenden sagen, dass wenn sie jetzt einknicken, der Kampf umsonst war, die Regierung setzt alles daran, einen Gesichts- und damit verbundenen Autoritätsverlust zu verhindern. Und gleichzeitig verschärfen sich die Auseinandersetzungen. Die brutalen Übergriffe durch aufgeheizte Polizisten sind dabei ebenso ein Zeichen der Zeit wie die Überfälle auf Feuerwehr und Krankenwagen in den Problemvierteln. Frankreich rutscht immer tiefer in die Krise, aus der es kaum Auswege zu geben scheint.

Die Hauptschuld an dieser Entwicklung wird an Präsident Macron festgemacht, der inzwischen in den Umfragen in Richtung Keller saust. Die Unbeliebtheit des Präsidenten hat einen Punkt erreicht, an dem seine Partei LREM ihren Kandidaten und Kandidatinnen für die im März anstehenden Kommunalwahlen empfiehlt, die Identifikation „LREM“ von ihren Wahlplakaten und Flyern zu entfernen. Kandidaten, die sich für ihre Parteizugehörigkeit derart schämen müssen, dass sie diese verstecken? Die Quittung für die seit November 2018 andauernden Spannungen und Auseinandersetzungen im Land dürften bei dieser Kommunalwahl heftig für die Macron-Partei ausfallen.

Dass auch Frankreich eine Rentenreform braucht, ist eigentlich jedem klar. Nur lautet die Frage, ob diese Regierung überhaupt in der Lage ist, eine solche Reform zu organisieren – Zweifel sind durchaus angebracht. Natürlich ist die aktuelle Regierung nicht die erste, die eine groß angekündigte Reform an die Wand fährt, man denke nur an die Gebietsreform des Präsidenten François Hollande im Jahr 2016, die bis heute nicht akzeptiert wird (unter anderem, weil die angepriesenen Effekte wie enorme Kosteneinsparungen bislang ausgeblieben sind und die 13 neuen Regionen oftmals nicht dem entsprechen, was sich die Bevölkerung gewünscht hätte). Nur – Emmanuel Macron und seine Partei waren mit dem Versprechen angetreten, eine „neue Welt“ schaffen zu wollen und damit ist Macron bislang jämmerlich gescheitert. Statt einer „neuen Welt“ leiden die Franzosen gerade unter einer „alten Welt im Amateurmodus“ – und daran wird sich wohl bis zur nächsten Wahl nicht viel ändern. Es sei denn, die Unzufriedenheit der Franzosen nimmt solche Ausmaße an, dass es zu einer „Französischen Revolution 2.0“ kommt – wer die Stimmung im Land aufnimmt, der hält selbst das nicht mehr für ausgeschlossen.

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