Ärger an der Saar

Das unterschiedliche Management der Covid-Krise sorgt für Ärger im Dreiländereck zwischen Frankreich, Deutschland und Luxemburg. Die Abstimmung funktioniert ebenso wenig wie die Kommunikation.

Oskar Lafontaine hat mit seiner Kritik ebenso Recht wie Tobias Hans - an der Saar stirbt gerade der europäische Gedanke. Foto: xtranews.de / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Es gibt Ärger an der Saar. Denn während Deutschland, ebenso wie die meisten Länder Europas, seinen „Lockdown“ verlängert und die sanitären Maßnahmen weiter verschärft, öffnet Luxemburg wieder die Schotten – die Luxemburger Regierung hat entschieden, Schulen, Kitas, Geschäfte und Kulturorte wieder zu öffnen. Diese Entscheidung wurde, wie das wohl so üblich ist und im Mârz von deutscher Seite eingeführt, nicht mit den Nachbarn abgestimmt. Wie blank mittlerweile die Nerven liegen, erkennt man an den Reaktionen. Alle fallen gegenseitig übereinander her…

Der erste, der sich zu Wort meldete, um die Luxemburger Entscheidung zu kritisieren, war Ministerpräsident Tobias Hans, der die Entscheidung in einem Interview mit den Kollegen des Saarländischen Rundfunks als „verantwortungslos“ bezeichnete. Diese Einschätzung kann man durchaus teilen, denn mit seiner Entscheidung befeuert Luxemburg erneut den „Einkaufs-Tourismus“ und damit leider auch das erneute Aufflammen der Verbreitung des Coronavirus. Dazu sorgt diese Entscheidung allerdings auch dafür, dass die Maßnahmen auf deutscher und französischer Seite zum Scheitern verurteilt sind, denn aufgrund der hohen Mobilität in der Region entsteht eine neue Autobahn für das Virus.

Als nächster kommentierte der frühere Vize-Kanzler und Ministerpräsident des Saarlands Oskar Lafontaine – und zwar weniger die Entscheidung der Luxemburger Nachbarn, sondern den Kommentar von Tobis Hans. Dessen Interview bezeichnete Lafontaine in einer Stellungnahme als „instinktlos“ und ebenso wie Tobias Hans hatte auch Oskar Lafontaine nicht Unrecht. „Es kommt immer wieder einmal vor, dass im Dreiländereck die Nachbarn Luxemburg, Lothringen und das Saarland unterschiedliche Auffassungen zu sie gemeinsam berührenden Fragen haben“, sagte Lafontaine. „Grundsätzlich sollten Entscheidungen, die die Nachbarn betreffen, miteinander abgestimmt werden und Konflikte sollten im freundschaftlichen Sinne beigelegt werden. Instinktlos ist es aber, wenn der saarländische Ministerpräsident der Luxemburger Regierung Verantwortungslosigkeit vorwirft. Nicht vergessen ist bei unseren Partnern die nicht abgestimmte Grenzschließung im Frühjahr, die zu viel Verärgerung geführt hat. Es ist daher dringend notwendig, das Miteinander im Dreiländereck zu verbessern und zu Freundschaft und guter Zusammenarbeit zurückzufinden.”

In der Tat, die im März einseitig beschlossene Grenzschließung, die den Nachbarn nicht einmal mitgeteilt wurde, hat tiefe Spuren hinterlassen und auf allen Seiten der Grenzen böse Ressentiments geweckt. Insofern wäre es sinnvoller gewesen, hätten Tobias Hans und die Luxemburger Kollegen direkt miteinander gesprochen, statt über die Medien Unfreundlichkeiten auszutauschen. Allerdings muss man festhalten, dass Oskar Lafontaine absolut Recht hat, die Zwischenfälle aus dem letzten Frühjahr nicht einfach unter den Teppich zu kehren, denn die damals aufgeweckten Ressentiments schwelen noch heute in der Regio und werden dies wohl auch noch eine Weile tun. Bislang war leider weder Zeit noch Gelegenheit, dieses Kapitel gemeinsam aufzuarbeiten, weswegen es wenig zielführend ist, jetzt noch weitere Schichten aufzutragen.

Was den Inhalt der verschiedenen Kommunikationen anbelangt, haben alle Beteiligten Recht. Dass Luxemburg mitten in der aktuellen Welle die Schotten öffnet und so tut, als wäre das Leben plötzlich wieder normal, ist höchst seltsam. Gerade in Luxemburg müsste man davon ausgehen können, dass die Verantwortlichen Zahlen lesen können. Nun alles zu öffnen und dem Virus erneut den Spaziergang durch Luxemburg und die Grenzregion zu erlauben, ist überraschend und in der Tat, eine Gefährdung der Maßnahmen in den Nachbarländern. Der Plan hätte mit den Nachbarn abgestimmt werden müssen.

Ebenso hat Oskar Lafontaine Recht – Tobias Hans‘ Kritik an den Nachbarn über die Medien ist in der Tat „instinktlos“. Hans hätte zum telefon greifen und Xavier Bettel anrufen und die Angelegenheit direkt klären sollen. Seit dem Frühjahr ist Deutschland in einer schlechten Position, um den Nachbarn Lektionen in Sachen „europäisches Verhalten“ zu erteilen.

Und last, but not least, fragt man sich, ob die Luxemburger mitbekommen haben, dass wir gerade versuchen, eine weltweite Pandemie zu managen, die den Luxemburgern nicht die Freude machen wird, einen Bogen um das kleine Land zwischen den krisengeschüttelten Nachbarn Frankreich, Belgien und Deutschland zu machen. Es ist erschreckend, dass selbst in „europäischen Musterregionen“ in einer Krisensituation als erstes der europäische Gedanke über die Klinge springt. Wenn eines Tages die Corona-Krise überwunden sein wird, werden wir uns gleich mit der nächsten Krise beschäftigen müssen – der Sinnkrise Europas. Denn langsam merkt es auch der letzte Europa-Fan: Wenn es wirklich darauf ankommt, ist Europa abwesend. Und das lässt sich inzwischen nicht mehr durch schöne Sonntagsreden und Absichtserklärungen kaschieren.

 

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