Afghanistan – niemand kann wirklich überrascht sein

Während die Macht in Afghanistan in die Hände der Taliban gefallen ist, machen sich unsere Politiker vor allem Sorgen, dass wieder Flüchtlinge ankommen könnten.

Wie konnten die westlichen Politiker nur die Gefahr unterschätzen, dass es zu solchen Bildern kommt? Foto: New York Post (Quelle - Taliban) / Wikimedia Commons / PD

(KL) – Es ist erstaunlich, was gerade in Afghanistan passiert. 20 lange Jahre standen westliche Soldaten im Land, um dieses „zu befrieden“. Dabei beendeten sie eine mehrjährige, bis 2001 dauernde Herrschaft der Taliban, obwohl diese gar nicht das Ziel der militärischen Aktion in der Folge der Anschläge vom 9/11 waren – die Amerikaner (und später ihre Verbündeten) wollten die Terrorgruppe Al-Kaïda ausmerzen, deren Führer Oussama Bin Laden diese Anschläge inszeniert hatte. 20 Jahre später ist die Mission gescheitert – Afghanistan ist wieder in den Händen der Taliban, die das Land zurück ins finsterste Mittelalter führen werden. Und niemand sollte sich so überrascht zeigen, wie es unsere Politiker gerade tun, denn der militärische Erfolg der Taliban zeichnete sich seit Wochen ab. Und zwar mit Hilfe der Afghanen selbst.

Innerhalb weniger Tage haben die Taliban, mehr oder weniger kampflos, alle wichtigen Städte Afghanistans eingenommen. Die reguläre afghanische Armee, 20 Jahre lang von westlichen Ausbildern gedrillt, verspürte offenbar nur wenig Lust, sich den Radikalislamisten entgegen zu stellen – praktisch alle Städte wurden kampflos übergeben, inklusive Waffen und Personal. War es die Angst der afghanischen Armee oder haben auch die afghanischen Soldaten insgeheim die Taliban unterstützt? Klar ist auf jeden Fall, dass die afghanische Armee nichts unternommen hat, die Taliban zu stoppen. Ohne Unterstützung für die Taliban in der afghanischen Bevölkerung wäre dieser „Blitzkrieg“ nicht möglich gewesen. Ob es nun den Westmächten gefällt oder nicht, die Taliban haben gewonnen und es wäre unsere letzte, dafür aber wichtigste Aufgabe dort gewesen, die Ortskräfte und deren Angehörige in Sicherheit zu bringen. Und das haben wir nicht getan.

Was in Afghanistan passiert ist, zeichnete sich seit Monaten ab, weswegen die jetzt an den Tag gelegte Überraschung wohl eher geheuchelt ist. Im Juni beantragten die Grünen bereits im Bundestag die Evakuierung der afghanischen Ortskräfte, was von CDU/CSU/SPD abgelehnt wurden; vor vier Wochen empfahlen die französischen Behörden ihren Landsleuten in Afghanistan, das Land zu verlassen. Man wusste also, was passieren würde. Und so wird immer unverständlicher, warum es die Westmächte unterließen, ihre nun in höchster Lebensgefahr schwebenden Ortskräfte zu evakuieren – diese Unterlassung wird voraussichtlich Tausende Menschen das Leben kosten.

Die nun eilig eingerichteten „Luftbrücken“ werden wohl nur das Personal der westlichen Botschaften und andere, in Afghanistan lebende Ausländer retten können. Die Bilder vom Flughafen in Kabul gleichen denen von Saigon, Tausende Afghanen, die in der einen oder anderen Form für die westlichen Armeen gearbeitet haben und nun um ihr Leben fürchten, versuchen verzweifelt die Flugzeuge zu stürmen. Es hat jede Menge Zeit gegeben, die ihnen gemachten Zusagen einzuhalten und sie zu evakuieren. Doch das ist nicht oder nur in sehr bescheidenem Umfang geschehen. Stattdessen hat man Waffen, Fahrzeuge und Restbestände an Dosenbier in Sicherheit gebracht.

Und während Tausende Menschen um ihr Leben zittern, da die Westmächte ihre Versprechen nicht eingelöst haben, sitzen unsere Politiker im Warmen und heben den Zeigefinger, wie Armin Laschet, und warnen davor, dass jetzt wieder mehr afghanische Flüchtlinge ins Land kommen könnten. Offenbar sind Herrn Laschet die Menschen in Afghanistan ziemlich egal, ihm geht es darum, jetzt nur nichts von unserem Wohlstand an diese Menschen abzugeben, die in Afghanistan für die Bundeswehr und NGOs gearbeitet haben. Vielleicht kommt Herr Laschet ja auf die gleiche Idee wie sein Kollege Erdogan, dessen Grenzmauer à la Trump an der Grenze zum Iran fast fertig ist. Der Zynismus und die Unfähigkeit deutscher Politiker sind unerträglich.

Afghanistan ist ein ganz schwarzes Kapitel für die Westmächte. In 20 Jahren hat der Versuch, ein tief islamisches Land in eine westliche Demokratie zu zwingen, keinen Erfolg gehabt. So stellt sich nun auch die grundsätzliche Frage nach militärischen Auslandseinsätzen. Kann man die westliche Demokratie tatsächlich am Hindukusch verteidigen, oder in Mali oder in anderen Ländern? Ist es nicht an der Zeit zu verstehen, dass die Kolonialzeiten endgültig vorbei sind? Dass wir weder das Recht, noch die Mittel haben, um Drittstaaten unsere Sichtweise der Welt aufzuzwingen, von der man ebenfalls sagen muss, dass sie alles andere als perfekt ist?

All diese Fragen werden diskutiert werden müssen. Aber nicht jetzt. Jetzt gilt es Tausende Menschenleben zu retten und da wäre es sehr hilfreich, wenn sich Leute wie Armin Laschet ihre unqualifizierten Beiträge sparen würden, die weder konstruktiv noch hilfreich sind, sondern lediglich zur weiteren Verunsicherung einer bereits verunsicherten Bevölkerung beitragen. Momentan darf es nur ein einziges Thema im Zusammenhang mit Afghanistan geben – rettet die Menschen vor Ort, solange das überhaupt noch geht! Den Rest sehen wir später.

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