Alice Weidel und der „Dexit“…
Die AfD-Chefin macht sich für den „Dexit“ nach dem Vorbild des britischen „Brexit“ stark. Ablenkungsmanöver vom aktuellen Gegenwind gegen die Rechtextremen oder meint sie das wirklich so?

(KL) – In einem Interview mit der Financial Times und nur wenige Monate vor der Europawahl, hat AfD-Chefin Alice Weidel den „Dexit“, also den Ausstieg Deutschlands aus der Europäischen Union gefordert und den „Brexit“, unter dem die Briten leiden, seit sie ihn vollzogen haben, als „Modell für Deutschland“ bezeichnet. Als hätte Deutschland nicht auch ohne das genug Probleme.
Mit ihrer kruden Meinung steht Alice Weidel aber glücklicherweise allein auf weiter Flur – 90 % der Deutschen sind laut Umfrage gegen einen „Dexit“ und diejenigen, die dafür sind, sind fast durchgehend Anhänger der AfD, deren krudes Weltbild sich auch auf Europa bezieht. Die Aussage von Alice Weidel, dass die „EU nicht reformierbar“ sei, haben sich die Europapolitiker aller Couleur allerdings selbst zuzuschreiben, denn hartnäckig weigert sich das Brüsseler Europa, über Reformen auch nur nachzudenken. Dass damit das institutionelle Europa seinen Beitrag leistet, den Neonationalisten in den europäischen Ländern noch mehr Auftrieb zu geben, merkt man in Brüssel wohl nicht.
Als 2016 die Briten in einem ersten Referendum mit knapper Mehrheit für den „Brexit“ gestimmt hatten, überschlugen sich die Europapolitiker mit dem Ruf nach einem „neuen europäischen Projekt“, doch statt sich daran zu machen, tiefgreifende Reformen der Institutionen anzugehen, schaute man tatenlos zu, wie die Institutionen immer tiefer in einem Sumpf aus Korruption, Vetterles-Wirtschaft und politischer Orientierungslosigkeit versanken.
Wo Alice Weidel allerdings Recht hat, sind ihre Ausführungen zur Europäischen Kommission, wo nicht gewählte Beamte eine überproportionale Macht unter der Federführung von Ursula von der Leyen ausüben, deren Liste von Skandalen zu lang ist, um sie hier aufzuführen. Nur – die AfD und Alice Weidel haben keine Alternativen vorzuschlagen, außer einem Referendum über den „Dexit“. Doch wenn Alice Weidel wissen möchte, wie toll der „Brexit“ für die Briten wirklich ist, dann sollte sie sich darüber im Klaren sein, dass laut aktuellen Umfragen 63 % der Briten den „Brexit“ bedauern und der Ansicht sind, dass dieser mehr Nachteile als Vorteile gebracht hat. Inwiefern das ein „Modell für Deutschland“ sein soll, das kann wohl auch nur Alice Weidel beantworten. Oder eben auch nicht.
Vermutlich war dieses Interview nur der Versuch, mit einem anderen Thema als den anhaltenden Massenprotesten gegen die Rechtsextremen in die Schlagzeilen zu kommen. Doch immerhin hat sie damit der Wählerschaft mitgeteilt, dass es keinen Sinn macht, bei der Europawahl für die AfD zu stimmen, der es der rechtsextremen Partei trotz ihrer Lautsprecher-Slogans nicht gelingt, konstruktive Vorschläge zu machen. Denn ein Referendum über einen EU-Austritt, den ohnehin 90 % der Deutschen ablehnen, ist alles andere als ein konstruktiver Vorschlag.
Wie immer jammerte Alice Weidel über Demokratie-Defizite, dieses Mal nicht in Deutschland, sondern in Europa, und wie immer, wenn die AfD-Oberen die Öffentlichkeit suchen, bewegen sich ihre Aussagen schon im Bereich des Peinlichen. Immerhin, mit ihrer Idee vom „Dexit“ wird Weidel auf Granit beissen, denn es gibt für Deutschland keinen Grund, sich ohne Not den gleichen Schwierigkeiten auszusetzen wie die Briten es getan haben.
Immerhin wissen nun alle, dass die AfD eine zutiefst europafeindliche Partei ist, die im Grunde nichts im Europäischen Parlament zu suchen hat. So bleibt die Hoffnung, dass sich die AfD selbst bei dieser Europawahl disqualifiziert, doch müssen solche Interviews auch ein Auslöser für die übrigen Parteien sein, sich endlich ernsthaft mit der Frage der Reform der europäischen Institutionen auseinander zu setzen. Denn das, was diese Institutionen heute abliefern, zwischen Korruptionsskandalen, verpulverten Milliarden und einer völlig unklaren politischen Ausrichtung, lässt sich den Europäern und Europäerinnen nicht mehr lange verkaufen. Der Countdown tickt – die Zeit zum Handeln ist jetzt!
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