Allein gegen alle

Frei nach dem Titel einer beliebten Quiz-Sendung mit Hänschen Rosental aus den 70er Jahren steht der französische Präsident Emmanuel Macron (fast) alleine gegen sein Volk. Und nun?

"Unsere Leben sind wertvoller als eure Profite" - das kann man durchaus nachvollziehen. Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY 2.0

(KL) – Wer gedacht hatte, die unglaubliche Mobilisierung bei den Streiks und Demonstrationen am 19. Januar würde am gestrigen 31. Januar einbrechen, sah sich getäuscht. Die genauen Zahlen sind angesichts des riesigen Zulaufs bei den Demonstrationen inzwischen zweitrangig – jenseits der Million Demonstranten braucht man nicht mehr zählen. Ein großer Teil der Franzosen begehrt heute gegen die geplante Renten-Reform auf, aber auch gegen ein von Präsident Macron verkörpertes Gesellschaftsmodell, in dem Verteilungsprozesse überwiegend von unten nach oben verlaufen. Dass deutlich über eine Million Franzosen an einem Dienstag bei Wind, Kälte und Wetter demonstrieren gehen, das wird auch Macron nicht länger ignorieren können, ebenso wenig wie die Umfragen, nach denen seine geplante Renten-Reform von mehr als 70 % der Franzosen rundweg abgelehnt wird.

Erstaunlich, dass Macron an einem solchen Tag, an dem sein Volk ihm zum zweiten Mal in kurzer Zeit seinen Unmut ausdrückt, einen ganz normalen Arbeitstag hatte. Treffen mit seinen Ministern, Staatsbesuche, business as usual. Und das ist inzwischen nur noch peinlich und erneut ein Ausdruck der völligen Geringschätzung seiner Landsleute, zumindest derjenigen, die nicht vom Verwalten ihrer Vermögen leben. Es wäre gestern wohl deutlich angebrachter gewesen, auf das Geschehen im Land einzugehen.

Dass die Franzosen schon längst nicht mehr nur gegen die geplante Renten-Reform demonstrieren, sondern gegen einen Präsidenten, der nur als „Abwehr-Kandidat“ gegen die rechtsextreme Marine Le Pen gewählt worden war und dessen Gleichgültigkeit gegenüber einer rapide wachsenden, sozial immer stärker gefährdeten unteren Mittelschicht erstaunlich ist. Seine Freude, über seine Landsleute zu herrschen, ist offenbar größer als das Bestreben, die französische Gesellschaft zu befrieden und positiv zu entwickeln. Ob ihm seine „Berater“ und andere Hofschranzen überhaupt noch reinen Wein einschenken, wie es im Land wirklich aussieht? Wenn er durch Frankreich reist, dann trifft der Präsident ja schließlich keine „normalen“ Bürger, sondern nur die lokalen Honoratioren und ein paar handverlesene Personen, die dem Präsident dann strahlend die Hand schütteln und Selfies machen dürfen. Von den Menschen, die er trifft, sagen ihm wohl die wenigsten, wie es sich momentan wirklich in Frankreich lebt.

Das alles mag der Überlegung wert sein, doch gibt es momentan nur eine Frage: Wie geht es nächste Woche weiter? Wächst die Mobilisierung weiter an? Versteht dieser Präsident irgendwann, dass er seinem Volk keine Ansprachen halten, sondern mit ihm reden muss? Das politische Armdrücken, das sich gerade zwischen einer immer mehr unter Erklärungsdruck stehenden Regierung und ihrem Präsidenten einerseits, und den in seltenster Einigkeit agierenden Gewerkschaften und zahllosen Berufsverbänden, Jugendverbänden, Parteien, anderen Organisationen und vielen Bürgerinnen und Bürgern andererseits, ist für die Regierung praktisch nicht zu gewinnen. Sollte sie diese Reform per Artikel 49.3 einfach am Parlament vorbei entscheiden, wird das Land Kopf stehen und die politische Zukunft Macrons und seiner Partei dürfte schon wieder vorbei sein. Sollte sie nun die Reform zurücknehmen, stehen Präsident und Partei als schwach da – also wird es einen Kompromiss geben müssen. Das allerdings setzt voraus, dass sich Macron mit dem einfachen Volk an den Tisch setzt und ernsthaft mit den Sozialpartnern verhandelt. Was aber etwas ist, was nicht gerade zu „Jupiters“ Stärken zählt.

Die Regierung wird sich bewegen müssen, will sie verhindern, dass 2023 wieder ein Jahr der Dauer-Demonstrationen, -Streiks und -Ärgernisse für die Franzosen wird. Sollte Macron beabsichtigen, die Franzosen „auf die Knie zu zwingen“, dann ist das ein gefährliches Spiel, das zum Bumerang werden kann.

Zu erwähnen ist der absolut effiziente Ordnungsdienst bei den Demonstrationen, den die Gewerkschaften kollegial erledigen. Tausende Freiwillige in ganz Frankreich sorgen mit enormer Professionalität dafür, dass sich keine militanten Kräfte in die Großdemonstrationen mischen und es von innen und außen weder zu Provokationen, noch zu Übergriffen kommt. Von der Art und Weise, mit der diese Ordnungskräfte Demonstrationen dieser Dimension managen, können sich andere Stellen eine Scheibe abschneiden.

Frankreich ist gerade wie ein unter Druck stehender Schnellkochtopf, der jederzeit explodieren kann. Doch statt das Feuer unter dem Kochtopf etwas kleiner zu drehen, wird es immer weiter angeheizt. Die nächste Etappe mit Streiks und Demonstrationenen werden voraussichtlich der 7. und 11. Februar werden, was sicherlich in den nächsten Tagen kommuniziert werden wird. Und wer in Paris darauf hofft, dass diese Protestbewegung einfach einschläft, der täuscht sich vermutlich. Die Renten-Reform geht gegen das kollektive Lebensgefühl der Franzosen, nach dem der Ruhestand nicht nur ein kurzes Intermezzo zwischen Ende des Arbeitslebens und Ableben sein soll. Nun heißt es aber in Paris schnell nachdenken und richtig entscheiden. Man darf auf die kommenden Tage gespannt sein.

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