Allemonde ist nicht Allewelt

Claude Debussy ist vor hundert Jahren gestorben, die Rheinoper Straßburg widmet dem wichtigsten Komponisten der Jahrhundertwende die Aufführung seiner einzigen Oper „Pelléas et Mélisande“ – und entführt uns in eine Welt, die es entweder immer oder gar nicht gibt.

Die Oper von Claude Debussy in der Rheinoper in Strasbourg. Foto: Opéra National du Rhin Strasbourg

(Von Michael Magercord) – Großes war an der Rheinoper von Straßburg geplant für die Aufführung Claude Debussys „Pelléas et Mélisande“, doch die veraltete Bühnentechnik im Haus am Place Broglie wollte nicht mitmachen. Es wurde eine andere Lösung gesucht und beim kleinsten Musiktheater der deutschen Hauptstadt ist man fündig geworden: In der Komischen Oper Berlin hatte vor einem Jahr die Inszenierung von Barrie Kosky ihre Premiere, die nun ab Freitag in Straßburg zu sehen sein wird.

Schon die Uraufführung im Jahre 1902 fand in der Opérà Comique in Paris statt, die wohl noch kleiner gewesen sei, als ihr Berliner Gegenstück. Und damals wie heute führt diese einzige Oper von Debussy, die nach einem Theaterstück von Maurice Meaterlinck entstand, in die kleine, ja gerade zu beengte Welt des zauberhaft zauberlosen Eilands “Allemonde“. Konsequent ist das Bühnenbild aus gepunktetem Anthrazitwänden: konsequent nüchtern, konsequent düster – und konsequent zeitlos.

Es gibt keine Requisiten, und wenn man so will, offenbart sich in diesem Nulldekor der sonst von allerlei Staffage verdeckte Gipfel der Symbolik. Allemonde, wo sich die unauflösliche Liebesgeschichte zwischen den Namensgebern der Oper zuträgt, ist nämlich das symbolische Gegenbild zur modernen Allerwelts-Eventwelt. Ein Ort, der gerade deshalb einen Ewigkeitscharakter für sich beanspruchen darf, denn aus ihm und seiner Traurigkeit findet niemand mehr den Weg hinaus – auch der Zuschauer nicht.

Eine düstere Dämmerwelt, deren Zauber sich aus ihrer Unwandelbarkeit speist und die vielleicht offenlegt, was zarte Seelen heute empfinden müssen, wenn ihre kunterbunte Welt sie anschreit? Der letzte Rückzug führt ins Innere, doch wir ahnen, dass es ein düsterer Rückzugsort sein wird. Zumindest ist die psychologische Chance sehr hoch, dass er es sein könnte. Auf der Bühne ist er es auf jeden Fall ist: einsam sind die Figuren und bewegen sich wie auf festen Bahnen zur Rampe und wieder zurück in die Kulisse. Unfrei ist der Mensch in seiner Welt von Anfang an, um sich darin aber doch noch frei zu fühlen, muss man an die Zufall glauben. Ist es nicht gerade dieser Glaube, der uns zu modernen Menschen werden lässt? „Wäre ich Gott, hätte ich Mitleid mit den Herzen der Menschen“, heißt es einmal in der Oper – und der Zufall ist nun einmal die Art Gottes, anonym zu bleiben.

Man könnte es allerdings auch mit den Worten des Autors Maeterlinck sagen: die ganze Tragik des Alltags, die doch alle empfinden, lässt sich kaum darstellen, außer in feiner Symbolik. Oder mit Shakespeare, für den sich auf besonders kleinen Bühnen die Welt zeigen lässt, so beengt wie das Bühnenbild von Klaus Grünberg etwa. Oder mit der Musik von Claude Debussy: keine Arien, keine großen Soloszenen, was der Vertonung des Textes eine realistische Prägung verleiht und trotzdem die zauberhafte Zauberlosigkeit des fernen Eilandes Allemonde ins Hier und Jetzt des Opernsaales zaubert.

Pelléas et Mélisande
Oper von Claude Debussy (1902)
Lyrisches Drama in fünf Akten nach einem Libretto von Maurice Maeterlinck
Musikalische Leitung: Franck Ollu
Orchestre philharmonique de Strasbourg

Regie: Barrie Kosky
Bühnenbild: Klaus Grünberg

STRASBOURG – Opéra
FR – 19. Oktober 20 Uhr
SO – 21. Oktober 15 Uhr
DI – 23.  Oktober 20 Uhr
DO – 25. Oktober 20 Uhr
SA – 27. Oktober 20 Uhr

MULHOUSE – La Filature
FR – 9. November 20 Uhr
SO – 11. November 20 Uhr

Tickets und Informationen unter der neugestalteten (und damit – wie so oft – zunächst verwirrenden) Webseite der Rheinoper.

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