Alles in schönster Ordnung?

Unser letzter Artikel über den tristen Zustand der deutsch-französischen Beziehungen hat heftige Reaktionen in Deutschland ausgelöst. Dieser hier wird den Kritikern noch weniger Freude machen...

Für Trennungskinder ist die Situation gerade besonders schwer. Grund genug für deutsche Behörden, es für französische Kinder und Eltern noch schwerer zu machen. Foto: Javad / Alizadeh Farhikht at English Wikipedia / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Nachdem wir davon berichtet hatten, wie momentan mit den letzten elsässischen Grenzgängern in der badischen Ortenau umgegangen wird, haben wir zahlreiche Zuschriften erhalten, die sich bitter beklagten, wir würden „hetzen“ und seien für die Verschlechterung dieser Beziehungen verantwortlich. Besser noch, wir sollten solche Zwischenfälle, wie in dem Artikel beschrieben, lieber verschweigen. Aber genau das werden wir nicht tun. Denn was deutsche Behörden gerade vor Ort praktizieren, wird noch lange Jahre im Elsass nachhallen und um die Situation richtig einzuschätzen, ist es unerlässlich, die Wahrheit zu berichten. So auch im Dossier der getrennt in Deutschland und Frankreich lebenden Eltern, die versuchen, im Interesse ihrer Kinder ein gemeinsames Sorge- und Umgangs-Recht aufrecht zu erhalten. Würde man sie denn lassen. Aber man lässt sie nicht.

Das Leben ist für getrennte deutsch-französische Paare noch nie einfach gewesen, darüber haben wir in der Vergangenheit, ebenso wie viele andere Medien, ausführlich berichtet. Systematisch wird von den allmächtigen Jugendämtern der in Deutschland lebende Elternteil bevorzugt und der in Frankreich lebende Elternteil hat die größten Probleme, den Kontakt zu den eigenen Kindern aufrecht erhalten zu können. Die aktuelle Coronakrise ist ein hervorragender Vorwand, die Situation des in Frankreich lebenden Elternteils weiter zu erschweren, obwohl es in Deutschland eine Regelung gibt, die genau das vermeiden soll. In der baden-württembergischen „Verordnung des Sozialministeriums zu Quarantänemaßnahmen für Ein- und Rückreisende zur Eindämmung des Virus SARS-Cov-2 (Corona-Verordnung Einreise – CoronaVO Einreise)“ vom 11. April wird eindeutig festgelegt, dass unter den Ausnahmeregelungen für die ansonsten untersagte quarantänefreie Einreise nach Deutschland auch Eltern fallen, die das gemeinsame Sorgerecht für ihre Kinder aufrecht erhalten wollen und müssen. Einzige Bedingung, um dieses Recht ausüben zu können, ohne für 14 Tage in Quarantäne zu müssen: Der Aufenthalt im jeweils anderen Land darf 48 Stunden nicht überschreiten. Das wäre für alle Beteiligten durchaus akzeptabel, nur – es funktioniert nicht. Diese Regelung wird vor Ort nicht umgesetzt. Leidtragende sind in erster Linie die betroffenen Kinder, aber auch die verzweifelten französischen Eltern, die teilweise seit über einem Monat ihre Kinder nicht sehen durften.

Zwei Fälle, die stellvertretend für viele andere stehen, illustrieren den aktuellen Zustand der deutsch-französischen Beziehungen und wenn man diese zeitnah wieder aufbauen möchte, muss man sie auch so betrachten, wie sie sind. Verharmlosen, verschweigen, so zu tun, als sei alles in Ordnung, hilft niemandem weiter, außer denen, denen es in erster Linie darum geht, so zu tun, als liefe alles wunderbar, vor allem auf Seiten der deutschen Behörden.

Der Fall von Séverine Breit in Lothringen geht gerade durch die dortige Presse – ihr wird die Ausübung des gemeinsamen Sorgerechts schlicht und ergreifend untersagt, obwohl sie extra eine zweite Wohnung auf der deutschen Seite angemietet hatte, um die Bedingung des Gerichts für das gemeinsame Sorgerecht mit ihrem getrennt lebenden Ex-Partner zu erhalten. Bereit, für die Dauer der Ausgangssperre ihre Telearbeit auf der deutschen Seite auszuüben, dabei aber den gemeinsamen Sohn mit der erforderlichen Regelmäßigkeit sehen und betreuen zu können, wurde sie von ihrem Ex-Partner und den Gerichten ausgebremst. Da Séverine Breit aus einem „Risikogebiet“ kommt (Région Grand Est), fordert das zuständige Familiengericht in einem Schnellverfahren, dass sie nach jedem Grenzübertritt erst einmal 14 Tage in Quarantäne muss, obwohl sie kerngesund ist und keinerlei Symptome des Virus aufzeigt. Und was ist mit der Regelung, die eben genau diesen Umgang erlaubt, vorausgesetzt, er dauert weniger als 48 Stunden? Diese wird ignoriert, es geht ja nur darum, die (zweifelhaften) Interessen des deutschen Kindsvaters zu schützen. Das übergeordnete Wohl des Kindes? Egal.

Ähnlich liegt der Fall von Viviane Philipp in Straßburg. Leserinnen und Leser von Eurojournalist(e) kennen ihre Geschichte, wir haben ausführlich darüber berichtet. Doch in ihrem Fall ist die Haltung deutscher Behörden noch seltsamer. Denn im Interesse ihrer gemeinsamen Tochter haben die früheren Partner ihren Rosenkrieg beendet und sorgen gemeinsam für einen regelmäßigen Umgang der Tochter mit beiden Elternteilen, wobei das Mädchen beim Vater in der Ortenau lebt und regelmäßig Zeit mit der Mutter in Straßburg verbringen kann, was für das seelische Gleichgewicht der Kleinen unglaublich wichtig ist. Und was seit dem Beginn der Ausgangssperre nicht mehr funktioniert.

Die deutschen Behörden sehen das anders. Als sich Viviane Philipp an der Grenze präsentierte, um ihre Tochter zu sehen, wurde sie einfach abgewiesen. Dass sie laut Vorschriften die Tochter ohne Quarantäne bis zu 48 Stunden sehen dürfte, interessierte die Beamten an der Grenze nicht – dort macht man sich eher Sorgen, dass ein elsässischer Alien am Ende versuchen könnte, doch etwas einzukaufen, so dass man lieber das Umgangsrecht eines kleinen Mädchens mit beiden Eltern freihändig außer Kraft setzt. Sie glauben nicht an die Existenz dieser Verordnung? Klicken Sie am Ende dieses Artikels auf den Link und schauen Sie selber nach.

Die Brutalität der Behörden und Gerichte, die in diesem Fall nicht etwa einfach nur einen ungeschickt formulierten Gesetzestexte umsetzen, sondern das Recht zahlreicher grenzüberschreitender „Trennungskinder“ außer Kraft setzen, ist ungeheuerlich. Dadurch, dass dies systematisch den in Frankreich lebenden Elternteil betrifft, muss man auch diese Zwischenfälle auf die immer länger werdende Liste der Dinge schreiben, die im Elsass gerade nachhaltige Traumata auslösen und die man nach der Krise ansprechen muss, will man tatsächlich das gerade mit Füssen getretene Vertrauensverhältnis zwischen beiden Ländern wieder aufbauen. Nein, es lohnt sich nicht wegzuschauen und so zu tun, als sei alles in schönster Ordnung, denn die Traumata nicht wahrnehmen zu wollen, die gerade dem Elsass und den Elsässern zugefügt werden, das wäre eine weitere unglaubliche Respektlosigkeit gegenüber den Nachbarn.

Natürlich wollen wir, wie die meisten in unserer Region, das vorherige gute Verhältnis wieder aufbauen, doch das setzt voraus, dass wir nicht den Kopf in den Sand stecken und so tun, als seien alle diese Zwischenfälle gar nicht so schlimm. Sie sind schlimm.

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6 Kommentare zu Alles in schönster Ordnung?

  1. Jürgen Lorey // 16. April 2020 um 15:56 // Antworten

    Lieber Kai,
    danke für die deutlichen Worte!
    Unsäglich, wie sich teilweise die deutschen Behörden und Regierungsstellen in dieser Corinakrise den Elsässer und Franzosen gegenüber verhalten!

    • Eurojournalist(e) // 16. April 2020 um 20:23 // Antworten

      Lieber Jürgen, danke für deinen Kommentar. Ich sehe, wie sich viele gegen diesen Kahlschlag in die deutsch-französischen Bemühungen stemmen, doch jeden Tag kommt ein neuer Klops, eine neue Unsensibilität, eine neue Abstrafung der Menschen auf der anderen Rheinseite. Die hier genannten Fälle sind leider keine Ausnahmen, und dass die Haupt-Leidtragenden dabei Kinder sind, macht das Ganze doppelt schlimm. Glauben die Behörden wirklich, dass sie nach dieser Krise einfach auf einen Knopf drücken können und alles ist vergessen? An diesen Traumata werden wir lange, lange zu knabbern haben, wenn wir das Vertrauen zwischen beiden Ländern wieder aufbauen wollen.

  2. Ich bin Deutscher, lebe im Elsass, habe 2 Kinder mit meiner französischen Lebensgefährtin. Eigentlich gefällt es mir in diesem Teil von Europa sehr gut. Natürlich muss über Behördenwillkür berichtet werden, da gebe ich Ihnen Recht, aber Sie sollten das richtige Maß finden und Ihre Artikel nicht so reißerisch schreiben. Durch so eine Art Journalismus werden irgendwann alte Wunden aufgerissen und der Mob aufgehetzt. Beschwere ich mich darüber dass ich von einem französischen Polizisten einen Strafzettel bekommen habe weil ich ein Brot vom deutschen Bäcker im Auto liegen hatte? Bedenken sollte man auch dass die deutsche Bevölkerung nichts mit den Entscheidungen und Gesetzen der Behörden zu tun hat. Alle meine deutschen Kollegen, meine Familie in Deutschland, meine Bekannten in Deutschland finden es nicht richtig wie es an den Grenzen momentan abläuft, aber auch Frankreich hat seine Regeln und die sind um einiges strenger als in Deutschland bzw. Baden-Württemberg und ich leide jeden Tag darunter! Natürlich wird vieles nicht mehr so sein wie vorher, es werden Fehler gemacht, es werden vielleicht auch Menschen das Gefühl haben schikaniert zu werden aber Sie, als verantwortungsvoller Journalist dessen Artikel anscheinend gelesen werden, sollten jetzt schon damit anfangen an die Zeit nach dieser Krise zu denken und die Menschen versöhnen und zu vereinen anstatt Öl ins Feuer zu gießen.

    • Eurojournalist(e) // 18. April 2020 um 21:11 // Antworten

      Natürlich denken wir alle an die Zukunft, doch um diese positiv zu gestalten, nützt es nichts, die Dinge zu verschweigen. Um wieder Schritte in die richtige Richtung machen zu können, müssen diese Dinge leider auf den Tisch kommen und besprochen und geklärt werden, einfach wegschauen ist der falsche Weg. Die verschiedenen Traumata, die das Elsass in den letzten Wochen und inzwischen Monaten erlebt, haben hier im Elsass starke Ressentiments ausgelöst. Diese werden Sie auch mitbekommen und sie dürfen nicht ignoriert werden. Nach dieser Krise kann der Weg nicht zurück, sondern nur nach vorne gehen und zwar in einer Art und Weise, dass diese deutsch-französische Zusammenarbeit und Freundschaft nicht bei der nächsten Gelegenheit wieder zusammenbrechen. Um aus Fehlern lernen zu können und um diese abzustellen, muss man sie erkennen und verstehen und nicht etwa durch Schönfärberei unter den Tisch kehren. Denn dort warten sie dann und kommen bei der nächsten Problemstellung wieder an die Oberfläche.

  3. Es tut mir leid, aber ich habe selten so einen einseitigen Unsinn gelesen wie hier. Es ist richtig, dass die Situation für getrennt lebende Paare mit einem gemeinsamen Kind noch nie leicht war und Corona tut das Übrige.

    Wie gewohnt greifen französische Medien das, wennes den französischen Elterneil benachteilgt, gerne auf, während man in der deutschen Medienlandschaft Vergleichbares nicht oder nur selten serviert bekommt.

    Auch Sie berichten völlig einseitig, dabei gibt es gerade von französicher Seite im Falle einer Scheidung größte Ungerechtigkeiten (etwas beim Versorgungsausgleich oder Rentenansprüchen), deren Behebung seit Jahrzehnten vom franzöischen gesetzgeber elegant ignoriert wird. Mittlerweile wird selbst das deutsche Kindergeld im Rahmen der europäischen Rechtssprechung nach Frankreich überwiesen. Ich weiß, wovon ich spreche.

    Meine Tochter habe ich seit sechs Monaten nicht gesehen. Ich könne ja mal einen Spaziergang mit ihr machen, heißt es. Keine französische Behörde wird daran etwas ändern wollen.

    Missstände anzusprechen ist ok, aber es muss fundiert und sachlich sein. Ihre Form der Berichterstattung ist tendenziös – weil die aktuellen Umstände ind er Pandemie als systemisch dargestellt werden. Ihr Artikel ist zudem im Stil reißerisch und daher irrelevant.

    Schade, das könnten Sie vermutlich besser.

    Mangelhaft. Setzen.

    • Na ja, “einseitiger Unsinn”… Die in dem Artikel dargestellten Fälle sind leider authentisch und es liegen zur Zeit bei der Europäischen Kommission weit über 300 Klagen aus verschiedenen Ländern gegen das deutsche Jugendamt vor. Ein Dokumentarfilm der Regisseurin Françoise Schöller zu diesem Thema ist auf France3 und anderen Sendern ausgestrahlt worden. Insofern setze ich Ihr “einseitiger Unsinn” mal auf die Emotion, die Ihre sicherlich ebenso schwierige Situation bei Ihnen auslöst. Dass auch Behörden in anderen Ländern solche folgenreichen Fehler machen, zweifelt dieser Artikel nicht an und ich wünsche Ihnen, dass es Lösungen für Ihre persönliche Situation gibt. Ihre Kritik an unserem Artikel ist leider ziemlich, na ja, “einseitig”. Es sei denn, sie hätten Fehler in unserer Darstellung dieser Fälle zu bemängeln. Das allerdings würde uns sehr wundern.

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