Als „Frieden“ zum Schimpfwort wurde…

Innerhalb von zweieinhalb Jahren hat sich die Bedeutung des Worts „Frieden“ grundlegend geändert. Ein weiteres Zeichen für die Eskalationsspirale, in der wir uns befinden.

"Give peace a chance"... sangen alle noch vor weniger Zeit... Foto: Marko Kafé / Wikimedia Commons / CC0 1.0

(KL) – Gestern war der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba beim ersten Treffen der EU-Außenminister nach der Sommerpause in Brüssel und beklagte sich, dass die westlichen Partner offensichtlich Angst vor einer weiteren Eskalation des Kriegs hätten, statt mit „Hurra!“ der Ukraine in den Russland-Feldzug zu folgen. Und natürlich erneuerte er die ukrainische Bitte, die westlichen Waffen für Schläge tief im Landesinneren Russlands einsetzen zu dürfen.

Diese Anfrage ist wohl eher für die Galerie, denn bereits jetzt nutzt die Ukraine westliche Waffen für die Angriffe und Schläge auf russisches Gebiet. Allerdings musste man auch damit rechnen, dass Russland nicht tatenlos zusieht, wie die Ukraine ihren eher symbolischen und daher nicht ungefährlichen Angriff auf die Region Kursk durchführt – in den letzten Tagen erlebte die Ukraine die schlimmsten Luftangriffe auf ihr Land seit Beginn des russischen Angriffskriegs.

Währenddessen schimpfen westliche Politiker auf diejenigen, die der „Friedenspropaganda“ erliegen. Friedenspropaganda? Was ist das denn für ein Begriff? Wir erleben seit zweieinhalb Jahren auf beiden Seiten eine unerträgliche Kriegspropaganda, die niemanden zu stören scheint. Aber „Friedenspropaganda“?

Frieden“ war nach 1945 ein erstrebenswertes Konzept. Die EU hat sogar einmal den Friedens-Nobelpreis als „größtes Friedensprojekt“ seit dem II. Weltkrieg erhalten. Doch dieses Konzept hat sich geändert. Heute ist nicht mehr „Frieden“ ein erstrebenswertes Ziel, sondern das Propaganda-Märchen vom „gerechten Frieden“, den es in der Geschichte der Menschheit noch nie als Ergebnis einer kriegerischen Auseinandersetzung gegeben hat.

Die Öffentlichkeit hat inzwischen weitgehend den Kriegsmodus eingeschaltet und der Begriff „Frieden“ wird heute mit Bedeutungen wie „Feigheit“, „Weichei“ und „Schlappi“ gleichgesetzt. Die Zeiten, in denen friedensbewegte Grüne „Imagine“ und „We shall overcome“ sangen, sind vorbei. Heute beten diejenigen, die einst aus der Friedensbewegung hervorgegangen sind, Haubitzen- und Panzer-Typen herunter und können gar nicht genug Krieg bekommen. Kein Wunder, sie müssen ihn ja auch nicht selber führen. In Kriegen sterben ohnehin nur diejenigen, die diese nicht zu verantworten haben.

Dass der Westen zumindest noch den Reflex hat, weitere Eskalationen zu fürchten, ist der letzte Rest Vernunft vor dem III. Weltkrieg, auch wenn das Herrn Kuleba nicht passt. Die aktuelle Verschärfung des Kriegs ist von Selenskyi gewollt, die scharfen russischen Reaktionen auf Kursk waren von vornherein einkalkuliert, um den Westen dazu zu zwingen, mehr Geld und Waffen bereitszustellen und im Idealfall selbst für die Ukraine aktiv in diesen Krieg einzugreifen.

Dieses ist auch die Strategie der Hamas, die durch die Brutalität ihrer Attentate am 7. Oktober 2023 gezielt eine noch härtere Reaktion Israels provoziert hatte, was es den Terroristen ermöglichte, ihre Unterstützer hinter sich zu sammeln und zu eigenen Angriffen auf Israel zu ermuntern. Die vielen Opfer in Gaza waren dabei Teil des Kalküls.

Friedensverhandlungen“ zwischen den kriegsführenden Parteien wird es vorerst nicht geben, diese Idee wurde in Kursk beerdigt. Militärisch macht der Angriff auf Kursk nicht allzu viel Sinn, denn gleichzeitig rückt die russische Armee im Donbass immer weiter vor und steht nur noch wenige Kilometer vor Pokrowsk, was die Lage für die Ukraine aufgrund der logistischen Bedeutung des Orts deutlich schwieriger macht.

Dass der Westen in dieser Situation eine weitere Eskalation befürchtet und immer noch die Hoffnung hegt, dass ein III. Weltkrieg verhindert werden kann, mag Herrn Kuleba erzürnen, doch alles, was diesen III. Weltkrieg verhindern könnte, muss versucht werden.

Es ist unglaublich, wie sich in kürzester Zeit die Wertigkeit der Begriffe verändert hat. Aus „Krieg ist schlecht, Frieden ist gut“ wurde jetzt „Frieden ist schlecht, Krieg ist gut“. Doch wer diese Umkehr übernimmt, sollte sich noch einmal Dokumentationen über die Grauen der letzten beiden Weltkrieg anschauen und dann sagen, ob er eine solche Eskalation mit modernsten Waffen und Millionen Toten wirklich will. Und währenddessen treiben wir weiter munter Handel mit Russland, währenddessen vermeldet die Rüstungsindustrie nicht für möglich gehaltene Umsatz- und Gewinnexplosionen und der Rubel rollt. Für diejenigen, die aus der sicheren Entfernung dafür sorgen, dass dieser Krieg jahrelang dauern wird.

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