Andrij Melnyk, der „Arbiter Elegantiarum“ der deutschen Politik
Der ukrainische Botschafter hat sich gönnerhaft zu Angela Merkels TV-Interview geäußert. Allerdings fordert er, dass sich die frühere Kanzlerin und die deutsche Politik weiter erklären. Wieso ist der Mann eigentlich noch in Berlin?
(KL) – Die unerträgliche Arroganz des ukrainischen Botschafters Andrij Melnik muss man nicht mehr lange erklären, dafür liefert der Mann seit Monaten praktisch täglich genug Beispiele. Und auch das Interview von Angela Merkel musste er kommentieren, da er der Ansicht ist, dass die deutsche Russland-Politik analysiert und potentiell bestraft werden müsste. Denn Angela Merkel hatte sich vor Jahren für die Gas-Pipeline „Nord Stream 2“ stark gemacht, die an der Ukraine vorbei durch die Ostsee nach Deutschland laufen sollte. Hierüber, so Melnyk, sei noch zu sprechen. Was bildet sich der Mann eigentlich ein? Sollten wir nicht lieber darüber sprechen, dass die Ukraine selbst im Krieg mit der russischen Energie-Mafia kooperiert, so, wie es das Land seit 2014 und trotz der Annektierung der Krim selber tut?
Dass das Projekt „Nord Stream 2“ in der Nachbetrachtung ein Fehler war, da es die deutsche Abhängigkeit von russischen Energieträgern nur erweitert hat, das weiß man heute. Nur – welche Regierung arbeitet nur mit Ländern zusammen, deren Regierungen „unseren Werten“ entsprechen? Hat nicht der ganze Westen (und auch der Osten) jahrelang mit Diktatoren wie Saddam Hussein oder Muammar Gaddafi zusammengearbeitet? Arbeiten wir nicht heute mit Saudi-Arabien zusammen, obwohl das Land einen blutigen Krieg im Jemen führt und terroristische Organisationen unterstützt? Kooperieren wir nicht auch mit China, trotz aller Menschenrechtsverletzungen? Pflegen wir nicht Beziehungen zum Vereinten Königreich, obwohl dort Julian Assange gefoltert wird? Galt nicht jahrelang die Doktrin, dass man Frieden durch eine enge wirtschaftliche Verzahnung erreichen kann?
Angela Merkel hat einen wichtigen Satz in ihrem Interview gesagt: „Wenn Diplomatie nicht funktioniert, bedeutet das nicht, dass sie falsch war“. Die Bewertung der deutschen und internationalen Diplomatie obliegt allerdings nicht etwa Herrn Andrij Melnyk oder der ukrainischen, polnischen oder russischen Staatsführung und die permanenten verbalen Ausfälle des ukrainischen Botschafters in Berlin werden immer unerträglicher.
Der Westen, auch Deutschland, tut vieles für die Ukraine, doch der ukrainische Wunsch, der Westen möge an ihrer Stelle den Krieg gegen Russland führen und gewinnen, ist zwar nachvollziehbar, wird sich aber so nicht realisieren lassen. Die militärische Entwicklung in der Ukraine zeigt, dass die russische Armee Kilometer für Kilometer vorrückt, inzwischen die ganze Ost-Ukraine besetzt hält und weiter zerstört, was sie zerstören kann. Die Sieges- und Durchhalte-Parolen der ukrainischen Führung sind ein normales Propaganda-Element wie in jedem Krieg, doch wird immer klarer, dass die Ukraine diesen Krieg militärisch nicht gewinnen kann, denn die russische Übermacht ist zu groß. Dass sich Selensky, Melnyk & Co. weigern, über Waffenstillstände und Friedenspläne zu diskutieren, wird immer mehr zum ukrainischen Problem. Niemand kann die ukrainische Führung daran hindern, ihre Bevölkerung in diesem aussichtslosen Krieg zu opfern, doch muss die Ukraine nun nicht nach Sündenböcken im Westen suchen, denen sie die Schuld an diesem Krieg in die Schuhe schieben kann.
Wenn Andrej Melnyk der ehemaligen Bundeskanzlerin vorwirft, diese habe in all den Jahren genau gewusst, dass es Russland darauf anlege, „die ganze Ukraine zu zerstören“, dann stellt sich die Frage, wieso die ukrainische Führung in diesen Jahren der Spannungen und militärischen Zwischenfälle im Donbass davon nichts mitbekommen haben will. Und warum sie bis heute weiter Geschäfte mit ihrem Todfeind macht.
Die europäischen Länder sollten aufhören, einzeln zu versuchen, mit der Ukraine und Russland zu sprechen. Wolodomyr Selensky, der sich kürzlich in Davos darüber beklagt hatte, dass der Westen nicht mit einer Stimme spreche, hat selbst diese bilaterale Diplomatie eingeführt und gepflegt, da es einfacher ist, einzelne Länder unter moralischen Druck zu setzen als eine Staatengemeinschaft. Es wäre an der Zeit, dass sich die Europäische Union entsprechend aufstellt und als einziger Verhandlungs- und Gesprächspartner der Ukraine und auch Russlands auftritt.
In Richtung Angela Merkel erklärte der ukrainische Botschafter: „Wenn das alles so blendend gelaufen sein soll und gar keine Fehler begangen wurden, dann ist die Frage, wieso wir seit 105 Tagen mit diesem Angriffskrieg zu tun haben.“ Gute Frage. Genauso gut wie die Frage, warum sein Land trotz dieses brutalen Angriffskriegs weiter Geschäfte mit dem Aggressor macht. Die von Melnyk geforderte „Aufarbeitung“ wird nach Ende des Kriegs sicherlich stattfinden. Allerdings wird es eine Aufarbeitung sein, bei der die Rolle sämtlicher Akteure in der Ukraine seit Beginn der 2010er Jahre genau unter die Lupe genommen werden wird.
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