Angela Merkel – (fast) allein gegen alle

Beim heute in Brüssel beginnenden europäischen Gipfel steht Angela Merkel mit ihrer Flüchtlingspolitik fast alleine da. Nur Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker unterstützt sie.

Angela Merkel wird für die Unterstützung durch Jean-Claude Juncker dankbar sein - denn ansonsten steht sie ziemlich alleine da. Foto: European People's Party / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Sie hat fast drei Amtszeiten als Bundeskanzlerin ohne jedes Problem überstanden. Als politische Ziehtochter von Helmut Kohl beherrschte sie die hohe Kunst des „Aussitzens“ und nicht wenige warfen ihr vor, sich vor allem durch langsames Nichtstun auszuzeichnen. Doch seit dem letzten August, als Angela Merkel zum ersten Mal eine emotionale Entscheidung traf, als sie angesichts des Elends von Zehntausenden syrischen, irakischen und afghanischen Flüchtlingen unbürokratisch die deutschen Grenzen öffnete, um den Verfolgten und Elenden Hilfe und Aufnahme zu geben, steht die Bundeskanzlerin im Kreuzfeuer der Kritik. Der Brüsseler Gipfel heute und morgen könnte ein Wendepunkt in der bislang außergewöhnlichen Karriere der Angela Merkel werden. Denn in Brüssel steht sie fast auf verlorenem Posten.

Unerwartete Hilfe erhielt Angela Merkel, die zum roten Tuch für die EU-Mitgliedsstaaten Osteuropas geworden ist, die ihr vorwerfen, sie habe die Flüchtlinge „eingeladen“ (offenbar ist das gleichgeschaltete Staatsfernsehen in diesen Ländern noch nicht darauf aufmerksam gemacht worden, dass der Syrien-Konflikt bereits bis zu einer halben Million Todesopfer gefordert hat und geschätzte 5 Millionen Syrer vertrieben und auf der Flucht sind) und die Merkels Vorschläge zu einer solidarischen Verteilung von gerade einmal 160.000 Flüchtlingen auf die EU-Staaten boykottieren wollen, vom Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker.

„Die Geschichte wird Angela Merkel Recht geben und sie wird ihre Kritiker im Amt überdauern“, erklärte Jean-Claude Juncker und stellte sich damit demonstrativ an die Seite der Kanzlerin, die diese Unterstützung auch dringend braucht, nachdem letzte Woche der französische Premierminister Manuel Valls einen gemeinsamen deutsch-französischen Ansatz zur Flüchtlingsfrage im Alleingang unmöglich gemacht hatte. Dazu unterstrich Juncker, dass die EU in dieser Frage „Fortschritte“ gemacht habe, die sich allerdings nur an höchst fragwürdigen Zahlen festmachen lassen. So stellte Juncker einen spürbaren Rückgang der Zahl der aus der Türkei nach Griechenland kommenden Flüchtlinge fest – waren es im Oktober 2015 noch täglich 7000 Flüchtlinge, so ist diese Zahl nun auf 2000 gesunken. Doch diese Zahlen sind nicht sehr aussagekräftig, wenn man bedenkt, wie die Türkei gerade an der türkisch-syrischen Grenze mit Flüchtlingen umgeht. Und dann steht auch noch die Frage im Raum, wie viele der einstmals 23 Millionen Syrer überhaupt noch flüchten können. Denn wer die Möglichkeit hatte, vor den Bombardements der unübersichtlich vielen Bürgerkriegsparteien zu flüchten, der hat die Flucht zumeist schon gewagt. Insofern ist fraglich, ob der Rückgang der in Griechenland ankommenden Flüchtlinge tatsächlich ein „Erfolg“ der europäischen Grenzschutzagentur „Frontex“ ist.

Aber immerhin, die Unterstützung von Jean-Claude Juncker wird Angela Merkel gut tun, muss sie doch im Moment die bittere Erkenntnis verdauen, dass sowohl ihre politischen Freunde in CDU und CSU, als auch ihr Koalitionspartner, die SPD, die Gelegenheit nutzen, um am Königsmord zu basteln. Die Hälfte der Deutschen hat „Mutti“ bereits die Gefolgschaft aufgekündigt, die CDU sinkt weiterhin in den Umfragen und auf europäischer Ebene ist Angela Merkel inzwischen weitgehend isoliert.

Zu den unsolidarischen „Visegrad“-Staaten gesellen sich inzwischen auch andere wie Österreich, die der Ansicht sind, dass man Europa am besten durch Grenzanlagen, Stacheldrahtzäune und Schießbefehle vor den Flüchtlingen „schützt“. Auch hier hat Angela Merkel keinen Rückhalt und anders als die „unsolidarischen Länder“, die sich gerade organisieren, fehlt eine vergleichbare Organisation unter den Ländern, die verstanden haben, dass man nicht nur durch die Genfer Konvention von 1952, sondern vor allem aus humanitären Gründen verpflichtet ist, Menschen Schutz zu gewähren, die vor Bomben flüchten müssen.

Angela Merkel wird heute und morgen den vielleicht schwierigsten europäischen Gipfel ihrer Amtszeit erleben – ob die Unterstützung Jean-Claude Junckers ausreichen wird, das neonationalistische Europa wieder auf den Weg der Besinnung und der Vernunft zu bringen, werden wir frühestens am Freitagabend wissen.

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