Angie und die Landesfürsten

1 Bundeskanzlerin und 16 MinisterpräsidentInnen – die Ergebnisse des Corona-Gipfels sind so zäh wie die stundenlangen Gespräche selbst. Klar ist eigentlich nur die Verlängerung des Lockdowns.

Kneipen, Cafés, Restaurants werden noch eine Weile Staub ansetzen... Foto: Ivan Radic / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – In der Covid-Krise ist der deutsche Föderalismus, der zu „normalen“ Zeiten eine hoch demokratische Staatsform ist, ein echtes Problem. Denn statt wirklich gemeinsam die aktuelle Covid-Krise zu bekämpfen, streiten sich die Länderchefs 11 Stunden lang und bleiben doch am Ende sehr undeutlich bei den Ergebnissen. Da letztlich jede Landesregierung für sich entscheidet, was von den besprochenen Maßnahmen tatsächlich umgesetzt wird, kam lediglich eine Verlängerung des aktuellen Lockdowns, „vorerst bis zum 14. Februar einschließlich“ bei den Gesprächen zwischen Kanzlerin und Ministerpräsidenten heraus. Der Rest sind Kompromisse, Absichtserklärungen, Empfehlungen und Appelle, sowie die Erkenntnis, dass wir die Pandemie so nicht in absehbarer Zeit besiegen werden.

Bereits bei der Frage der Öffnung oder Schließung von Schulen und Kindestagesstätten zeigt sich das ganze Dilemma. Offiziell verkündete Angela Merkel, dass die Schulen und Kitas bis Mitte Februar geschlossen bleiben oder zumindest die Präsenzpflicht aufgehoben wird. Faktisch bedeutet das aber, dass weiterhin jedes Bundesland für sich selbst entscheidet, was und wie gemacht wird. Was das in der Praxis bedeutet, zeigte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Noch während die Kanzlerin bei der Pressekonferenz die Maßnahmen erklärte, hatte Kretschmann bereits erklärt, dass er in Baden-Württemberg Kitas und Grundschulen ab dem 1. Februar „vorsichtig“ öffnen wolle. Der Wunsch einer schnellen Wiederherstellung eines „normalen“ Schulbetriebs ist ebenso verständlich wie aktuell nicht möglich. Es ist offenbar nicht möglich, wirklich bundeseinheitliche Strategien zu entwickeln und dann auch konsequent umzusetzen.

Restaurants, Einzelhandel und Freizeiteinrichtungen bleiben also geschlossen, wobei man zwischen den Zeilen deutlich hörte, dass das Zieldatum 14. Februar nicht viel mehr als ein frommer Wunsch ist. An diesen Termin glauben nicht einmal diejenigen, die ihn festgelegt haben. Selbst Angela Merkel musste mehrfach schlucken, als sie erklärte, guter Dinge zu sein, dass die Zielvorgabe einer Inzidenz von 50/100K/W durchaus zu erreichen sei, „ohne das natürlich garantieren zu können“.

Dass Telearbeit gleich mehrfachen Nutzen bringt, das hat man verstanden. Wenn weniger Menschen zur Arbeit fahren, reduziert dies die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel und somit auch die sozialen Kontakte auf dem Arbeitsweg und an der Arbeitsstelle. Dennoch kommt man auch hier kaum über den Nachweis guten Willens hinaus. Dass nach Vorstellungen der Regierung künftig Arbeitgeber begründen müssen, warum sie ihre Arbeitnehmer zur Präsenz am Arbeitsplatz verpflichten, das klingt erst einmal gut, wirft aber sofort die Frage auf, wer bestimmen soll, wann und warum die Präsenz am Arbeitsplatz unabdingbar ist und ebenfalls, wer dies kontrollieren soll. In der Praxis ist es kaum vorstellbar, dass ein Heer von Kontrolleuren ernsthaft mit Arbeitgebern diskutiert, ob die Anwesenheit dieses oder jenes Mitarbeiters unverzichtbar ist. Das Arbeitsministerium soll nun einen Vorschlag erarbeiten, der rechtlich haltbar sein muss. Das klingt so, als könnte es noch eine ganze Weile dauern, bis man hier zu einem tragfähigen Beschluss kommt.

Die modischen Stoffmasken dürfen die Deutschen wieder vergessen – künftig ist der Zutritt zu öffentlichen Verkehrsmitteln und Supermärkten nur noch mit OP-Gesichtsmasken oder FFP2-Masken oder besser erlaubt. Zumindest dort, wo die Behörden dies vorschreiben, kontrollieren und eventuelle Verstöße bestrafen. Dazu ist völlig offen, ob es überhaupt genug dieser Masken gibt und wer sie finanzieren soll. Verschiedene Ketten haben bereits vor einem Anstieg der Preise gewarnt – denn wie bei jeder knappen Ware bestimmt die Nachfrage den Preis. Keine unerhebliche Frage, wenn man bedenkt, dass der Anteil „Gesundheit“ für Hartz IV-Empfänger bei 20 € im Monat liegt. Für viele Masken wird das nicht reichen.

Einigen konnte man sich, dass weiterhin nur Kontakte zwischen Menschen eines Haushalts und einer weiteren Person gestattet sind. Doch auch hier stellt sich die Frage, wer kontrollieren will, was in den Wohnungen und Häusern passiert. Auf nächtliche Ausgangssperren, wie beispielsweise in Frankreich, verzichtet man bundesweit – in den so genannten „Hotspots“ entscheiden die Länder alleine über eine solche, lokal begrenzten Maßnahmen. Und auch die Grenzen sollen möglichst nicht geschlossen werden, wenn es sich denn vermeiden ließe. Allerdings, so räumte Angela Merkel auf Nachfrage ein, könnte es doch passieren, dass als letztes Mittel, wenn es gar nicht anders geht… Aber zu einem Zeitpunkt, zu dem das grenzüberschreitende Leben ohnehin praktisch zum Erliegen gekommen ist, ändert das bald auch nicht mehr viel.

16 Bundesländer und eine Bundeskanzlerin. Ausgerechnet in einer so schwerwiegenden Krise zeigt der Föderalismus eine Funktionslücke. Denn eine Pandemie, die weltweit mit rasender Geschwindigkeit unterwegs ist, kann man nicht mit 16 verschiedenen, regionalen Strategien erfolgreich bekämpfen. Die Regierungschefs derjenigen Bundesländer, die bereits jetzt ihre regionalen Sonderwege planen (ob dabei wohl wahltaktische Überlegungen eine Rolle spielen?), gehen ein großes Risiko ein. Mag sein, dass das eine oder andere Bundesland heute noch weniger betroffen ist als andere – doch die Erfahrungen des letzten Jahres aus allen europäischen Ländern haben gezeigt, dass angesichts einer nach wie vor hohen Mobilität, im Laufe der Zeit alle Regionen betroffen sind, manche früher, manche später. Zu glauben, dass ein Bundesland isoliert von den 15 anderen eine eigene Corona-Strategie erfolgreich fahren kann, ist illusorisch. Dort, wo die Pandemie heute noch nicht grassiert, wird sie es morgen tun. Es sei denn, man würde einheitlich und konsequent vorgehen. Doch dazu wird es wohl nicht kommen.

Im Vorfeld dieses Kanzlerin-Länderchef-Gipfels hatten sich die Beteiligten ausführlich von Experten aus verschiedenen Bereichen der Wissenschaft beraten lassen, von denen die meisten zu deutlich schärferen Maßnahmen rieten, vor allem aufgrund der Präsenz neuer Virus-Mutationen, deren Wirkung und Virulenz noch nicht eingeschätzt werden kann. Der Präsident des Weltärztebundes, Frank-Ulrich Montgomery, warnte, dass eine höhere und schnellere Verbreitung des Virus nicht unbedingt zu mehr schweren oder tödlichen Krankheitsverläufen, dafür aber zum Kollaps der medizinischen Versorgung führen würde.

Der Corona-Gipfel brachte also wenig Konkretes, dafür aber eine Menge Arbeit für die Mitarbeiter in den Ministerien in Berlin und den Landeshauptstädten. Angesichts der deutschen Unfähigkeit, eine gemeinsame Strategie auf nationaler Ebene umzusetzen, braucht man momentan gar nicht mehr von einer europäischen Strategie zu träumen. Von der sind wir weit entfernt. Sicher ist nur eines: In diesem Jahr fällt in Deutschland auch der romantische Restaurantbesuch am Sankt Valentinstag am 14. Februar aus…

2 Kommentare zu Angie und die Landesfürsten

  1. Ich denke ein Großteil der Bevölkerung steht hinter den föderalistisch-freiheitlichen Strukturen Deutschlands. Es ermöglicht wesentlich mehr, als der alles erstickende Zentralstaat mit seinen Präfekten. Das System Frankreich ist in Krisensituationen auch nicht überlegen. Sie haben das in Artikeln schon mehrfach beschrieben und das Ergebnis ist einsehbar. Ich weiß nicht, was diese ständigen Vergleiche sollen.

    Versagen tun die beteiligten Menschen. Das Problem ist anscheinend eine zunehmende Egomanie und Kommunikationsunfähigkeit unter den Politikern. Eine langfristige Strategie ist nicht erkennbar. Stattdessen werden, oft nach stundenlangem Streit, am Parlament vorbei im Hinterzimmer gesichtswahrende Kompromisse geschlossen, anstatt mit klaren, erklärbaren und nachvollziehbaren Entscheidungen auf diese Bedrohung zu antworten.

    Die Ergebnisse werden dann in Pressesitzungen der Bevölkerung “hingesödert”. Fresst das gefälligst. Basta!

    Langsam schämen sich viele Menschen ob dieser unsäglichen Profilierungssucht und Vorgehensweise. Die Bereitschaft, diese nicht begründbaren Corona Maßnahmen innerlich mitzutragen, schwindet zunehmend. Daher wird der Erfolg, egal wie hart die Lockdowns sind, letztlich bescheidener sein.

    Wir impfen unter großem Applaus 101-jährige Personen und isolieren die Welt voneinander, um “Risikogruppen” zu schützen. Gänzlich übersehen wird dabei die resultierende Situation der meisten Gewerbe und der Künstler, was einem Berufsverbot gleichkommt. Hier geht es vielen an die Existenz. Das ist keine verantwortungsvolle Politik.

    Ich kann mittlerweile jeden verstehen, der diesen Verordnungen zuwiderhandelt.

    • Wie ebenso häufig in unseren Artikeln erwähnt (auch in diesem), ist der deutsche Förderalismus eigentlich ein hoch demokratisches Staatenmodell. Nur zeigt es in der aktuellen Covid-Krise seine eigenen Grenzen auf. Das Gehampel der 16 MinisterprâsidentInnen wird unerträglich und führt zu einem Massnahmen-Chaos, das niemand mehr versteht und das, da haben Sie völlig Recht, führt zu einer schwindenden Akzeptanz in der Bevölkerung. Unser Artikel erwähnt an keiner Stelle, dass der französische Zentralstaat in irgendeiner Form das geeignete Modell zum Management einer solchen Krise ist. Aber das bedeutet auch noch nicht, dass das, was die MinisterpräsidentInnen und Frau Merkel gerade veranstalten, in irgendeiner Form zielführend wäre.

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