Annalena Chamberlain?

Während sich die Lage zwischen der Ukraine und Russland immer weiter verschärft, spielt die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock weiter die Karte des „Appeasement“. Ob das gut geht?

"So, jetzt setzen sich alle wieder hin und verhandeln weiter..." Foto: Heirich-Böll-Stiftung from Berlin, Deutschland / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 2.0

(KL) – Ende September 1938 unterzeichneten in München Adolf Hitler, Benito Mussolini, Edouard Daladier und Neville Chamberlain ein Abkommen, das Chamberlain bei seiner Rückkehr nach London stolz präsentierte. Die Kriegsgefahr ist abgewendet, verkündete Chamberlain, die Diplomatie hat gesiegt. Was Chamberlain nicht berücksichtigte, was dass Hitler und Mussolini bereits ihre Kriegspläne in der Schublade hatten und dass nicht etwa die Diplomatie gesiegt hatte, sondern dass die Diplomatie Hitler wertvolle Zeit bescherte, um seine ganz konkreten Kriegspläne vorzubereiten. Ist die heutige Situation zwischen Russland und der Ukraine vergleichbar?

Die USA ziehen inzwischen ihr Botschaftspersonal aus der ukrainischen Hauptstadt Kiev ab, mit der Begründung einer „anhaltenden Bedrohung durch eine russische Militäroperation“, die Briten liefern der Ukraine Waffen, damit sich diese im Angriffsfall verteidigen kann, London meldet, dass Russland versucht, in der Ukraine einen Putsch zu organisieren, um einen pro-russischen Regierungschef ans Ruder zu bringen und das auf dem Schachbrett der internationalen Politik inzwischen recht unbedeutende Deutschland möchte keine Waffen an die Ukraine liefern, und mahnt mit der Stimme von Außenministerin Annalena Baerbock, man möge weiterverhandeln. Aber was ist, wenn Putin gar nicht verhandeln will?

Annalena Baerbock wendet ganz klar einen Grundsatz der deutschen Politik an, der lautet „keine Waffenlieferungen in Krisengebiete“. Aber wie heuchlerisch ist das? Einerseits liefert Deutschland Waffen in Länder am Golf, von denen man weiß, dass sie terroristische Organisationen unterstützen und ausstatten, andererseits hört die Ukraine aus Deutschland vor allem ein „Njet“. Die Reaktionen in der Ukraine auf die deutsche Weigerung zur Lieferung von Waffen ist klar – man empfindet die deutsche Position als „Verrat“ und fühlt sich angesichts der nicht mehr kleinzuredenden Bedrohung durch Russland im Stich gelassen.

An Drohungen dürfte inzwischen ausgetauscht sein, was man zwischen beiden Seiten austauschen kann. Putin hat eine Drohkulisse aufgebaut, die aus Soldaten, Flüchtlingen in Belarus und vor allem dem Gashahn besteht, an dem er bereits jetzt immer dann dreht, wenn er seinen Forderungen Nachdruck verleihen will. Momentan will Putin vor allem, dass sich die NATO nicht bis direkt an seine Grenze erweitert. Das steht zwar momentan gar nicht auf der Agenda, ist aber ein prächtiger Grund, die Zähne zu zeigen.

Putins wahres Ziel geht weiter als die Sorge vor der NATO in seinem Vorgarten. Putin will eine Art „UdSSR 2.0“ in die Wege leiten, mit einem ebenso einfachen Motto wie sein einstiger Kollege Donald Trump: „Make Russia great again!“. Kann so eine Zielsetzung auf diplomatischem Weg gekontert werden?

Seit 2014 schaut die Welt kaum noch auf die Entwicklung im Donbass, dieser Region in der Ostukraine, die Schauplatz permanenter Auseinandersetzungen ist, wo eine Art nicht erklärter Krieg zwischen Ukrainern und russischstämmigen Separatisten herrscht, der von Russland mit Personal und Logistik seit 8 Jahren befeuert wird. Weder das diplomatische „Normandie-Format“ mit deutscher und französischer Vermittlung, noch Sanktionen, noch die Androhung weiterer Sanktionen hat an dieser Situation etwas ändern können.

Was also ist zu tun, um einerseits alles daran zu setzen, den Ausbruch eines offenen Ost-West-Kriegs zu verhindern, der sich blitzartig zu einem Flächenbrand ausweiten könnte, und andererseits so konkret zu werden, dass die militärische Bedrohung an der ukrainischen Grenze eingedämmt werden kann? Der rechtlich unangreifbare erhobene Zeigefinger von Annalena Baerbock, „nun verhandelt mal schön“ oder die britischen Waffenlieferungen an die Ukraine? Oder gibt es noch einen dritten Weg?

Die Ukraine ist nicht das einzige zentraleuropäische Land, dass sich unmittelbar von Russland bedroht fühlt. – Auch Polen steht massiv unter Druck, besonders, seit Russland und Belorus eine Art „Staatengemeinschaft“ ausgerufen haben, bei der die Zusammenarbeit von Moskau vorgegeben wird. Wie das praktisch aussehen kann, erlebt Polen seit Monaten an der Grenze zu Belorus, wo die Spannungen rund um die Flüchtlinge, die dort nach Polen und in die EU geschleust werden sollen, längst nicht vorbei sind. Die baltischen Staaten haben ebenfalls allen Grund, die Expansionsgelüste des Wladimir Putin mit Sorge zu betrachten. Denn im Baltikum hat Russland noch eine Rechnung offen.

In den drei baltischen Staaten Estland, Litauen und Lettland leben immer noch sehr viele russischstämmige Menschen, die im Zuge der Unabhängigkeit der baltischen Staaten schnell den Status von „Bürgern zweiter Klasse“ erhielten. Außerdem waren es die drei baltischen Staaten, die im Eilverfahren nach ihrer Unabhängigkeit in die EU aufgenommen wurden, um Tatsachen zu schaffen, an denen auch Russland nicht rütteln kann. Aber das ist genau das, was Putin beabsichtigt – er will die Geschichte Zentraleuropas der letzten Jahrzehnte neu schreiben und den Zerfall der Sowjetunion rückgängig machen.

Die wie immer völlig uneinige EU kann einen diplomatischen Prozess allerhöchstens wohlwollend begleiten. Verhandeln müssen die betroffenen Staaten, flankiert vom Westen, doch machen solche Verhandlungen wenig Sinn, wenn die Betroffenen nicht mit am Tisch sitzen. In der Zwischenzeit sollte der Westen der Ukraine die Möglichkeit geben, sich zu verteidigen. Wenn Russland die Ukraine tatsächlich angreift, wird es für solche Überlegungen zu spät sein.

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