Arbeitsmarkt: Was nützen die aktuellen Rekorde?

Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist auf dem niedrigsten Stand seit 24 Jahren. Doch so gut diese Nachricht klingt, sie ist es eigentlich gar nicht. Oder nur zum Teil.

Demographischer Wandel - künftig können wir weltmeisterliche Ambitionen nur noch in Sportarten wie Nordic Walking anmelden... Foto: Knipseline / www.pixelio.de

(KL) – Deutschland ist ein Land, in dem man sich immer Mühe gibt, Superlative zu erreichen. Höher, schneller, weiter, es müssen schon Goldmedaillen sein und am besten sind wir Fußball-Weltmeister und auch noch gleich Papst. Ähnlich verhält es sich auf dem Arbeitsmarkt – auch hier wollen wir zumindest Europameister sein und klar, das sind wir auch. „Niedrigste Arbeitslosigkeit seit 24 Jahren!“, so lauteten die Schlagzeilen Ende letzter Woche und das war natürlich auch ein kleiner, freundschaftlicher Seitenhieb auf unsere europäischen Partner, die gewagt hatten, das „Modell Deutschland“ nach VW-Skandal, FIFA-Skandal und Siemens-Skandal in Frage zu stellen. Schaut her, mit euren hohen Arbeitslosenzahlen, bei uns könnt ihr lernen, wie man es richtig macht. Das stimmt aber eben nur zum Teil.

Natürlich machen die Profis des Arbeits- und Ausbildungsmarkts einen hervorragenden Job. Wenn man sieht, wie heute eine Agentur für Arbeit funktioniert, was für Programme sie organisiert und anbietet, wie effizient sie zwischen der Wirtschaft und den Arbeitssuchenden agiert, dann muss man Beifall klatschen. Das hat mit den muffigen Gängen früherer Arbeitsämter und der Verwaltung von Arbeitslosen nichts mehr zu tun. Und das ist gut so. Ergebnis – im Oktober fiel die Arbeitslosenquote weiter. Beispiel Ortenau – wieder sank die Quote in einem Monat um 0,1 % und liegt jetzt bei 3,2 %.

Der britische Ökonom William Henry Beveridge legte in seinem Werk „Vollbeschäftigung in einer freien Gesellschaft“ die Marke, aber der man von „Vollbeschäftigung“ sprechen kann, bei einer Arbeitslosenquote von 3 % an. Während anderswo in Europa die Länder unter einer extremen Arbeitslosigkeit ächzen, Regierungen über nicht eingehaltene Versprechen zur Senkung der Arbeitslosigkeit stürzen, stehen wir in Deutschland also kurz vor der Schwelle zur Vollbeschäftigung, zumindest in etlichen Regionen. Ja, es gibt sogar Gegenden wie den Landkreis Eichstätt in Bayern, das ist diese „Vollbeschäftigung“ längst erreicht. Also doch ein Erfolg des „Modells Deutschland“?

Ja und nein. In der Momentaufnahme ist diese Situation für alle Beteiligten großartig. Jeder Arbeitssuchende, der eine neue Stelle findet und damit aus der Armutsfalle „Hartz IV“ herauskommt, ist ein Gewinner. Und je weniger Arbeitssuchende finanziell gestützt werden müssen, desto besser geht es den Sozialkassen. Doch die Geschichte hat einen Haken.

Und dieser Haken heißt Geburtenrate. Denn die niedrige Arbeitslosenquote liegt nicht nur daran, dass wir unseren Arbeitsmarkt so gut managen, sondern vor allem daran, dass wir Deutschen keine Kinder mehr in die Welt setzen. Dieser demographische Wandel, der sich bereits heute in einer Umkehrung der Alterspyramide ausdrückt (immer weniger junge Menschen in der Arbeitswelt müssen eine immer größere Anzahl Rentner finanzieren), ist eine unverrückbare Tatsache, die uns in den nächsten Jahren große Probleme bereiten wird. Denn wenn es darum geht Kinder in die Welt zu setzen, ist Deutschland alles andere als ein Weltmeister, im Gegenteil – mit einer Rate von 8,42 Geburten auf 1000 Einwohner pro Jahr liegt Deutschland in der weltweiten Geburtentabelle auf einem schlappen 219. Platz. Und weil das so ist, werden wir in den nächsten Jahren nicht nur weiter immer niedrigere Arbeitslosenquoten haben, sondern auch ernsthafte wirtschaftliche Probleme.

Denn unsere deutsche Wirtschaft, die weitaus mehr drauf hat als bei Emissionen zu schummeln, wird immer mehr Schwierigkeiten bekommen, die vollen Auftragsbücher abzuarbeiten, weil die entsprechenden Fachkräfte fehlen. Das tun sie in den Gegenden, die in den Arbeitslosen-Rankings ganz vorne liegen, heute schon. Damit einher wird auch ein Kreativitäts- und Innovationsstopp gehen, denn es sind in der Regel nicht die Menschen am Ende ihres Arbeitslebens, die neue Ideen und Geschäftsmodelle entwickeln, sondern eben junge Leute. Wenn diese aber auf dem Arbeitsmarkt fehlen, wird es logischerweise auch weniger neue Ideen und Geschäftsmodelle geben.

Insofern sollten wir uns heute über jeden Menschen freuen, der so nett ist, nach Deutschland zu kommen und dabei die Vorstellung hat, hier zu leben und zu arbeiten (und Steuern zu zahlen und Beiträge in die Sozialkassen zu bringen). Auch das ist ein Aspekt, der neben der humanistischen Frage berücksichtigt werden sollte, bevor am laut kräht, dass das Boot voll sei. Denn ansonsten könnte es in wenigen Jahren passieren, dass unser Boot ganz schön leer wird und bald nur noch von Rentnern gerudert werden kann.

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