Arbeitsmentalität: Die französische Selbstgeißelung

Klar - Frankreich braucht Reformen. Aber so extrem, wie es der UMP-Abgeordnete Hervé Mariton darstellt, ist es in Frankreich nun wirklich nicht.

So sieht der UMP-Spitzenpolitiker Hervé Mariton seine Landsleute - Füße hoch und möglichst wenig arbeiten. Foto: ReubenInStt / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 2.0

(KL) – Der Satz des Kandidaten für den Vorsitz der konservativen UMP Hervé Mariton traf die Franzosen ins Mark. „Frankreich ist das Land“, stellte Mariton fest, „in dem man in der Woche, im Jahr und im ganzen Leben am wenigsten arbeitet.“ Dabei verlor Mariton jedes Augenmass bei dieser unnötigen Selbstgeißelung. Denn die Behauptung ist schlichtweg falsch.

Die kürzeste Wochenarbeitszeit? In Frankreich, im Vergleich zu den europäischen Nachbarn? Stimmt nicht. Man kann zwar Zahlen so dehnen und interpretieren, dass sie das aussagen, was man möchte, aber diese Aussage stimmt einfach nicht. Betrachtet man die Wochenarbeitszeit aller fest in Vollzeit Beschäftigten, kommt man in Frankreich auf 40,7 Wochenstunden. Denn längst nicht alle sind in den Genuss der Freuden der 35-Stunden-Woche gekommen. Sondern vor allem diejenigen, die permanent mit Streiks die Länder lahmlegen. Zwar arbeitet man in Ländern wie Deutschland oder Spanien etwas mehr (41,7 Stunden), dafür aber in anderen Ländern auch weniger. So in Italien (40,4 Stunden), Finnland (40 Stunden) oder auch Dänemark (38,8 Stunden). Folglich stimmt die Aussage, dass man nirgends weniger in der Woche arbeiten würde als in Frankreich, auf gar keinen Fall. Und noch besser steht Frankreich da, wenn man in diese Berechnung auch Arbeitnehmer in Teilzeit einrechnet. In dieser Statistik, die übrigens von der OSZE bestätigt wurde, liegt Frankreich sogar vor Deutschland.

Die kürzeste Jahresarbeitszeit? OK, da liegen die Franzosen durchaus mit vorne. Durchaus. Mit. Um es gleich zu sagen – die kürzeste Jahresarbeitszeit in Europa hat Frankreich nicht. Mit 1536 Arbeitsstunden im Jahr arbeiten die Franzosen deutlich weniger als die Briten (2.038 Stunden), als die Italiener (2.151 Stunden) oder die Deutschen (2.399 Stunden). Geschenkt, da sind die Unterschiede gewaltig. Doch mag das auch daran liegen, dass die Franzosen eben keine Arbeitsroboter sind, sondern großen Wert auf ein intaktes Privat- und Familienleben legen. Was sich dann hinterher in einer deutlich höheren Produktivität ausdrückt…

Davon abgesehen gibt es aber auch massive Kritik an den Zahlen selbst, denn sie beziehen sich nur auf Menschen in Vollzeitarbeitsverhältnissen, berücksichtigen aber keine Teilzeitkräfte. Dazu wirft diese Statistik munter Fehltage aufgrund von Urlaub, Krankheit, Fortbildung und anderen Gründen durcheinander – weswegen diese Zahlen mit Vorsicht zu genießen sind. Und sowieso – auch in dieser Statistik irrt Hervé Mariton. Denn in den Niederlanden (1.380 Stunden) oder Norwegen (1.407 Stunden) arbeitet man weniger als in Frankreich. Quod erat demonstrandum.

Die kürzeste Lebensarbeitszeit? Da liegen die Franzosen im gesunden europäischen Mittelfeld. Mit durchschnittlich 34,6 Jahren Lebensarbeitszeit liegt Frankreich nur ganz knapp unter dem europäischen Durchschnitt, der 35,0 Jahre beträgt. In anderen Ländern arbeitet man deutlich weniger – Italien (30,5 Jahre), Griechenland (32,0 Jahre) oder Belgien (32,2 Jahre) liegen hier klar hinter Frankreich. In anderen Ländern arbeitet man etwas länger. Diese Aussage stimmt also auch nicht.

Hinter der provokanten These von Hervé Mariton stecken mehrere Dinge. Zum einen will sich der Mann positionieren, denn um Parteichef der UMP zu werden, muss er einige Kandidaten für diese Position wegbeißen: Juppé, Fillon, Sarkozy… Zum anderen will Mariton den Franzosen vermitteln, dass die PS unter der aktuellen Regierung alles falsch gemacht hat. Das stimmt aber nur bedingt. Zwar zeichnet sich die Regierung Hollande / Valls vor allem durch das Verkünden und Brechen von Versprechen aus, aber fairerweise muss man dazu sagen, dass die PS ein schweres Erbe von der UMP Sarkozys übernommen hatte. Und die hatte Frankreich in einem Zustand übergeben, den man nicht als „besenrein“ bezeichnen kann.

Kritische Analysen, Selbstkritik und der Wille zur Verbesserung sind die Voraussetzungen für Reformen. Niemand bezweifelt, dass Frankreich dringend Reformen braucht. Aber eine solch publikumswirksame Selbstgeißelung wie die von Hervé Mariton braucht es dafür wirklich nicht.

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