Armut in Deutschland und in Europa

Rund ein Fünftel der Europäerinnen und Europäer ist konkret von Armut betroffen. Europas Aufgabe wäre es, für mehr Gerechtigkeit zu sorgen.

Un Allemand sur six vis en-dessous du seuil de la pauvreté - une honte pour l'économie la plus forte en Europe. Foto: blu-news.org / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Was Armut ist, definiert die Europäische Union so: Als arm gilt, wer (inklusive Transferleistungen) über weniger als 60 % des medianen Einkommens des Landes verfügt, in dem er oder sie lebt. Denn, so die Statistiker, wer in diese Kategorie fällt, ist weitgehend vom sozialen Leben in seiner Gesellschaft ausgeschlossen. Der Prozentsatz von als „arm“ geltenden Menschen ist in Deutschland ungewöhnlich hoch. Dass diese Entwicklung nicht gestoppt und umgekehrt wird, ist eines der großen Versagen der nationalen und der europäischen Politik.

Doch was bedeutet konkret „arm“? In Deutschland gilt als arm, wer monatlich als Einzelperson über weniger als 917 € verfügt, bei Alleinerziehenden mit zwei Kindern liegt die Grenze bei 1467 € und bei Paaren mit zwei Kindern bei 1.926 €. In Deutschland betrifft dies 15,4 % der Bevölkerung, also jeden sechsten Bundesbürger. Und damit liegt Deutschland zwar knapp unter dem Wert für die gesamte Europäische Union (17,7 %), doch noch deutlich schlechter als Länder wie Slowenien, Zypern, die Slowakei, Island und viele andere. Dass ausgerechnet das Land, das sich gerne als Klassenprimus der europäischen Wirtschaft aufspielt und den europäischen Partnern seine Sparpolitik aufzwingt, einen derart hohen Anteil an Armen in der Gesellschaft toleriert, ist im Grunde eine Schande.

Denn diese Armut ist nicht nur eine Lebenskatastrophe für die unmittelbar Betroffenen, sondern ein Irrweg für die gesamte Gesellschaft. Denn wer in die Armutsfalle gerät, kann oft Bildungsangebote nicht nutzen, leidet häufiger als physischen und psychischen Erkrankungen und rückt immer weiter von der Möglichkeit weg, sich wieder in den Arbeitsmarkt und damit in die Gesellschaft zu integrieren. Wenn jedes sechste Kind unter Armut leidet, beraubt sich die Gesellschaft damit auch um die gleiche Anzahl von Talenten, die unsere Gesellschaften dringend brauchen.

Wir sollten aufhören, den europäischen Partnern den „deutschen Weg“ anzuempfehlen, denn dieser Weg impliziert, dass jeder sechste Bürger aus der Gesellschaft ausgegrenzt wird. Dass die Armut in Ländern wie Griechenland, Spanien, Portugal, Italien und anderen noch stärker grassiert als in Deutschland, ist unter anderem das Ergebnis der deutschen Politik, die sich in allererster Linie um das Wohl der Banken und Finanzmärkte kümmert, dabei aber mehr als ein Sechstel der Bevölkerung im Regen stehen lässt.

Armut ist nicht etwa „nur“ ein furchtbares Schicksal, sondern kostet richtig viel Geld. Wer ausgegrenzt ist, kann nur noch über Transferleistungen leben, kann nicht mehr zum Gemeinwohl beitragen und hat praktisch keine Chance mehr, an seiner sozialen Kondition etwas zu verändern. Somit wächst der Prozentsatz der Menschen, die von staatlicher Seite versorgt werden müssen, während gleichzeitig die Zahl derjenigen sinkt, die diese Versorgung finanzieren müssen.

Um dieses Phänomen in den Griff zu bekommen, sollte endlich wie in anderen Ländern das „bedingungslose Grundeinkommen“ eingeführt werden, das so genannte „Bürgergeld“. Denn die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist eine Voraussetzung dafür, dass ausgegrenzte Menschen wieder die Motivation und Kraft finden, sich für ihr eigenes Leben zu engagieren, um dann auch wieder zum Gemeinwohl beitragen zu können. Wie heißt es im Grundgesetz? „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – in einem Land, das es sich leistet, 15,4 % der eigenen Bürger der Armut preiszugeben, wird dieser Grundsatz täglich vergewaltigt.

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