Attentate in Paris – Europas „nine-eleven“

Die furchtbaren Attentate von Paris sind für Europa das, was die Anschläge auf das World Trade Center in New York waren. Nach dem 13. November 2015 wird Europa nicht mehr so sein wie zuvor.

So fühlt sich heute die ganze Welt. Foto: Unbekannter Künstler auf Twitter.

(KL) – Es fehlen die Worte – der Schock sitzt tief und wir wissen erst bruchstückhaft, was gestern Abend in Paris geschehen ist. Über 120 ermordete Menschen, ein konzertierter Terroranschlag, für den inzwischen der „Islamische Staat“ (IS) die Täterschaft für sich beansprucht. Auch, wenn es in den Nachrichten heißt, dass der IS „die Verantwortung für die Anschläge übernimmt“ – das kann er gar nicht, denn für diese Morde kann niemand die Verantwortung übernehmen.

Der IS hat den Krieg ins Herz Europas getragen und Europa, aber eigentlich der ganzen Welt noch einmal den Fehdehandschuh ins Gesicht geworfen. Trauer, Wut, Ohnmacht – all das muss jetzt verarbeitet und kanalisiert werden. Doch während wir noch versuchen, das Unbegreifliche zu begreifen, stehen schon die ersten bereit, um aus diesem Horror politischen Profit zu schlagen, genau so, wie es auch nach dem 11.9.2001 in den USA war.

Paris, die schönste Stadt der Welt, versinkt in Angst und Schrecken. Der Abend eines deutsch-französischen Fests wurde von kriminellen Extremisten dazu missbraucht, Europa mit dem Rücken an die Wand zu stellen. Junge Konzertbesucher wurden mit unvorstellbarer Kaltblütigkeit und Grausamkeit ermordet. Das Stadion von St. Denis im Pariser Norden, wo die deutsche und die französische Fußballmannschaften spielten, entging offenbar nur knapp einer noch größeren Katastrophe. Der Krieg, den der IS gegen die ganze Welt führt, ist endgültig bei uns angekommen. Das war er zwar auch schon vorher, aber wir haben es immer geschafft, das zu verdrängen. Jetzt kann niemand mehr diesen Krieg ignorieren. Der IS zwingt uns, uns mit ihm auseinanderzusetzen, nicht nur am Abend während der Nachrichten, sondern ganz konkret, hier und jetzt.

Frankreich hat sofort reagiert und seine Grenzen geschlossen. Verständlich, doch was wird das bringen? Innerhalb Europa kann man praktisch jede Grenze überqueren, ohne dabei aufgehalten zu werden – es gibt 1000 Wege, an den ehemaligen Grenzkontrollen vorbei von einem Land in ein anderes zu gelangen. Doch was passiert morgen, was passiert nächste Woche, was passiert in einem Jahr? Wir das am Montag startende „Weltforum für Demokratie“ in Straßburg wie geplant stattfinden? Was ist mit der Weltklimakonferenz COP21 in Paris? Was ist mit der Fußball-EM 2016 in Frankreich? Was ist mit Konzerten, Veranstaltungen und Demonstrationen? Wie sicher ist Europa heute noch?

Wie wirkungslos Anti-Terror-Pläne wie der „Plan Vigipirate“ und die Arbeit der mit Milliarden finanzierten Geheimdienste sind, zeigen die Anschläge vom Freitagabend. Gegen entschlossene und fanatische Terroristen gibt es kein wirkungsvolles Mittel – und genau das wird in Europa, ebenso wie in den USA, zur Abschaffung der letzten Reste der Bürgerrechte und zu einem enormen Zulauf für die Nationalkonservativen führen, die im Übrigen außer starken Sprüchen auch keinerlei Rezept gegen diesen religiös irregeleiteten Terrorismus haben.

Klar ist momentan nur, dass Europa reagieren muss. Und zwar nicht durch unqualifizierten Hass auf unsere moslemischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die keinerlei Verantwortung für diese Anschläge tragen. Dennoch werden genau diese Mitbürgerinnen und Mitbürger, ebenso wie die zahlreichen Flüchtlinge, die sich in Europa aufhalten, als Sündenböcke herhalten. Damit dies nicht geschieht und wir nicht versuchen, ein Unrecht durch ein anderes Unrecht ungeschehen zu machen, gilt es jetzt, diese Mitmenschen zu schützen.

Am liebsten würden heute alle in Kampfjets sitzen und Stellungen des IS in der arabischen Welt bombardieren. Das ist zwar angesichts der Ereignisse in Paris nachvollziehbar, aber sinnlos. Denn die Frage, ob man den IS militärisch bekämpfen kann, wird täglich von den USA, Russland, Frankreich und anderen Ländern beantwortet – diese Länder bombardieren Stellungen des IS und haben mit dieser militärischen Intervention keinerlei Erfolg. Der IS breitet sich weiter in der moslemischen Welt aus, wird von vielen Seiten heimlich oder offen unterstützt und hat bereits derart viele Gebiete erobert, dass man ihm offenbar militärisch nicht beikommt. Diplomatische Lösungen wird es nicht geben, denn der IS ist an keinerlei Koexistenz interessiert, sondern wird nicht eher ruhen, bis er entweder zerschlagen ist oder ganze Teile der Welt zurück in seine mittelalterliche Weltanschauung aus Gewalt, Mord, Vergewaltigung und Versklavung geführt hat.

In der ganzen Trauer, in der ganzen Wut, in der ganzen Angst, dürfen wir jetzt nicht die gleichen Fehler machen wie die USA 2001, denn genau das ist es, was der IS bei uns auslösen will. Der IS will, dass wir jetzt unsere moslemischen Mitbürgerinnen und Mitbürger angreifen, um diese für seine eigene Sache gewinnen zu können. Der IS will uns destabilisieren und zu emotionalen und falschen Reaktionen verleiten. Jetzt ist aber erst die Zeit der Trauer, des Begreifens, des Überwindens des Schocks und erst danach kommt die Zeit der Antwort. Einer Antwort, die gut überlegt sein will und dann konsequent umgesetzt werden muss.

Unser tiefes Mitgefühl gilt den Opfern von Paris, der Stadt Paris, ganz Frankreich – und dieses Mitgefühl ist verbunden mit der Hoffnung, dass jetzt keine Gewalt gegen Minderheiten in unseren Ländern ausgeübt wird, die mit diesen Terroranschlägen nichts zu tun haben. Wir können diese Tragödie nur überwinden, wenn wir enger zusammenrücken und nicht, indem wir Bevölkerungsgruppen ausgrenzen und drangsalieren. Heute weint die ganze Welt mit Paris.

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