Auch in Frankreich…

Der sexuelle Missbrauch in der katholischen Kirche, mit dem man sich in Deutschland seit Jahren beschäftigen muss, hat auch in Frankreich schlimme Ausmaße.

Ein katholischer Seelsorger oder ein Mitglied einer kriminellen Vereinigung? Foto: Remo Weiten / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – 216.000. Das ist die ungefähre Anzahl von Opfern sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche in den Jahren 1950 bis 2020, zumindest nach den Informationen einer unabhängigen Untersuchungskommission, die dieses entsetzliche Phänomen untersucht hat. Zwar scheinen sich die Zeiten zu ändern („bis Anfang der 2000er Jahre gab es eine totale und grausame Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern“, so der Chef der Untersuchungskommission Jean-Marc Sauvé), doch wendet die katholische Kirche in Frankreich die gleiche Taktik an wie die Kollegen in Deutschland: Man gibt nur das zu, was einem ohnehin lückenlos nachgewiesen werden kann.

Vorbei ist es mit dem sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche damit nicht. Vor allem Jungen zwischen 10 bis 13 Jahren sind im Schoss der katholischen Kirche besonders gefährdet – sie machen rund 80 % der bekannten Opfer aus. Und wenn dann mal ein Fall publik wird, dann verfährt die katholische Kirche wie in anderen Ländern. Entweder streitet sie alles ab, oder sie versucht die Opfer zu diskreditieren oder, wenn die Fälle zu eindeutig sind, zahlt sie eine Entschädigung, die aber nicht viel mehr ist als eine Art „Schweigegeld“. Die katholische Kirche als kriminelle, pädophile Vereinigung?

Zwar sagt Jean-Marc Sauvé, dass die Anzahl Fälle rückläufig sei, doch herrscht nach wie vor das Gesetz der „Omertà“ in der katholischen Kirche, insbesondere in ländlichen Gegenden, in denen der örtliche Priester immer noch eine Autorität darstellt, an der man besser nicht kratzt, will man nicht als „Nestbeschmutzer“ selbst im Zentrum von Angriffen stehen.

Doch dürfte die Opferzahl noch wesentlich höher liegen, da die Statistik keine Fälle berücksichtigt, die in katholischen Einrichtungen außerhalb der Kirche stattfinden, beispielsweise in Jugendzentren. Schätzungen gehen von weit mehr als 300.000 Opfern im genannten Zeitraum aus.

Die Verfasser des Berichts fordern nun einerseits die Anerkennung und Entschädigung der Opfer und andererseits, dass die Frage des sexuellen Missbrauchs fester Bestandteil der Priesterausbildung wird. Wichtig wäre aber ebenfalls, dass man sich angewöhnt, solche Fälle nicht „intern“ zu klären (sprich: zu vertuschen), sondern katholische Geistliche auch der irdischen Gerechtigkeit überstellt. Denn das, was offenbar weltweit in der katholischen Kirche zum Brauchtum gehört, nämlich der sexuelle Missbrauch durch vom Zölibat pervertierte Geistliche, ist keine „Verfehlung“, sondern ein Verbrechen, das entsprechend geahndet werden muss.

Die katholische Bischofskonferenz, der dieser Bericht übergeben wurde, zeigte sich schockiert, doch klingen die Reaktionen ein wenig falsch, denn bei dieser hohen Anzahl Fälle wäre es erstaunlich, wenn die Bischöfe sich erst jetzt darüber klar würden, was in ihrer Kirche eigentlich passiert. Sowohl der Vorsitzender der Bischofskonferenz Eric de Moulins-Beaufort, als auch die Präsidentin der Konferenz der Ordensleute Véronique Margron erklärten ihre Bestürzung und Trauer und betrachten den Bericht als eine „Bürde, wenn auch eine dunkle, um die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen“.

Das alles klingt zukunftsweisend, allerdings ist mehr als fraglich, ob die katholische Kirche in der Lage ist, die offenbar seit Jahrhunderten andauernde „Tradition“ des sexuellen Missbrauchs Schutzbefohlener abzuschaffen. Es gibt wohl keine andere Organisation, in der pädophiler Missbrauch derart tief verankert ist, wie in der katholischen Kirche. Wie diese allerdings einen solchen Sumpf trockenlegen will, bleibt fraglich. In Deutschland, wo man sich seit Jahren um Aufklärung bemüht, die allerdings von der katholischen Kirche nur sehr halbherzig betrieben wird, hat das bisher nicht geklappt. Und solange sich nichts Grundlegendes ändert, gibt es wohl wenig Orte, an denen Kinder und Jugendliche stärker gefährdet sind als in der katholischen Kirche. Die ihrerseits langsam, aber sicher, jeden Anspruch verliert, eine „moralische Instanz“ zu sein.

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