Auch Journalisten müssen endlich „klare Kante“ zeigen

In einem hervorragenden Beitrag erklärte der Kolumnist Georg Diez auf SPIEGEL ONLINE, warum sich der Journalismus den heutigen Zeiten anpassen muss.

Zu solchen Medien braucht die heutige Gesellschaft ein Gegengewicht - einen mutigen "Meinungsjournalismus". Foto: Hendrike / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 2.5

(KL) – Die Zeiten ändern sich, die Welt ändert sich. Folgerichtig muss sich auch der Journalismus verändern, statt so weiter zu machen, wie er es immer schon tat. Denn die Medien spielen eine wichtige Rolle in einer funktionierenden Demokratie, deren Bedeutung nicht zuletzt rund um den „netzpolitik.org“-Skandal wieder ins Gespräch kam. SPIEGEL ONLINE-Kolumnist Georg Diez hat hierzu einen ausgezeichneten Beitrag geschrieben, in dem er erklärt, warum man sich die Medien heute nicht mehr auf dem Elfenbeinturm des „objektiven Journalismus“ ausruhen können, den es ohnehin noch nie gegeben hat.

Unter dem Titel „Wir brauchen einen neuen Journalismus“ schreibt Diez, dass „Journalisten gerade jetzt ihrer demokratischen Aufgabe gerecht werden müssen“. Recht hat er. Denn angesichts des Erstarkens neonationalistischer Tendenzen, die von den Mainstream-Medien und verantwortungslosen und populistischen Politikern befeuert werden, ist es wichtig, dass es auch eine andere Öffentlichkeitsarbeit neben BILD und Kollegen gibt.

Als Beispiel führt Georg Diez den politischen Blogger Heinrich Schmitz an, der erst kürzlich seine publizistische Arbeit einstellte, nachdem er und seine Familie offenbar von Neonazis bedroht worden waren. Schmitz schreib in seinem „Abschieds-Post“: „Ich werde mir nicht mehr für meine lieben Mitbürger, die ihren Arsch erst hoch bekommen, wenn sie von einem Hooligan aus ihrem Sofa geprügelt werden, in der Öffentlichkeit den Arsch aufreißen.“ Wer sich angesichts der Schwere des Vorfalls an der Sprache von Schmitz stört, der sollte es sich lieber wieder bequem mit der ZEIT auf eben diesem Sofa bequem machen…

Die Gesellschaft polarisiert sich gerade. Auf der einen Seite befinden sich diejenigen, die BILD lesen und CDU wählen, weil sie der Staatspropaganda Glauben schenken. Denn hier kann man das lesen, was die beunruhigte Seele beruhigt. Ob es um Flüchtlinge geht, um Griechenland, um Zuwanderung – hier wird gehetzt und das allgemeine Gefühl der Unsicherheit in der Bevölkerung geschürt. Da hier aber auch die Grundlage für die kriminellen Aktivitäten von Ausländerhassern und Neonazis gelegt wird, die in dieser Art von Journalismus eine Rechtfertigung für ihr menschenverachtendes Treiben finden, sind wir an den Punkt gekommen, an dem eine Gegenöffentlichkeit entstehen muss.

Jeder kann etwas dazu beitragen, dass sich neue, unabhängige Medien entwicklen können und dafür sorgen, dass es eben nicht nur BILD-Schlagzeilen und „Große Koalitions-Journalismus“ gibt. Es reicht schon aus, diese neuen Medien zu lesen und, wenn man dazu die Mittel hat, diese auch zu unterstützen. Denn die Freiheit der Meinungsäußerung ist ein eben so hohes Gut wie der Anspruch auf Information – der in den letzten Jahren immer mehr dem Anspruch auf „politische Kommunikation“ weichen musste.

Sehr klug schreibt Georg Diez am Ende seiner Kolumne: „Zeitungen, Zeitschriften, Fernsehsender verlieren Markt und Macht und damit die Autorität, auf der sie ihr Selbstverständnis und ihre Sprache begründeten. Defensive wird hier aber nicht die Lösung sein: Wenn man den Herausforderungen der Schwarmwelt mit ihren neuen Fragen begegnen will, muss man sich von einigen Gewissheiten verabschieden.

Ein Journalismus also, der sich auf das zurückzieht, was scheinbar über viele Jahre funktioniert hat, wird nicht nur nicht überleben; er wird vor allem seiner demokratischen Aufgabe nicht gerecht.“

Diese Kolumne von Georg Diez zeigt deutlich, dass es sehr wohl nicht nur eine Existenzberechtigung, sondern geradezu eine Notwendigkeit für das gibt, was wir „Meinungsjournalismus“ nennen. Mit diesem Ansatz bekommt man zwar sicher keinen Job bei BILD, dem ZDF oder anderen Mainstream-Medien, doch welcher Journalist, der seine Aufgabe ernst nimmt, möchte schon bei solchen Medien arbeiten?

Und noch einmal Georg Diez: „Um auf die neue Gegenwart zu reagieren, braucht es auch einen anderen Journalismus, analytischer, individualistischer, klarer, härter, aktivistischer, mutiger, offener, verständlicher, entschlossener, leidenschaftlicher. Es braucht weniger vorgefertigten Formeljournalismus“. Danke, Georg Diez.

2 Kommentare zu Auch Journalisten müssen endlich „klare Kante“ zeigen

  1. In den Medien geht es auch hauptsächlich um Geld, Geld dass fast ausschlieslich von der Werbung kommt. Der ehemalige Präsident von TF1, erster französicher Fernsehsender, sagte vor Jahren ganz offen : einziges Ziel von TF1 sei es die Zuschauern so vorzubereiten dass sie die Werbung von Coca-Cola gut aufnehmen. Was war das Ziel von der Firma EDF (Electricité de France) wenn sie, schon zeit Jahrzehnten als sie noch das Monopol der Stromverteilung hatte, ganze Werbungszeiten in den Regionalblättern veröffentlichten (“Nous vous devons plus que la lumière”) ?
    Können diese Medien noch etwas glaubhaftes gegen Zuckerschaden oder Atomkraftwerken verkünden ?
    In einer richtigen Demokratie sollte es für Medien öffentliche finanzielle Unterstützung geben, unter der Kontrolle eines unhabhängigen Organismus. Aber wer will das schon …

  2. Nachdem wir seit fast 7 Jahren ohne öffentliche Unterstützung funktionieren, können wir diesen Leserbrief nur voll und ganz unterschreiben! Unabhängiger Journalismus ist ein kultureller Wert, doch dem stehen die Interessen der politischen und kommerziellen Akteure entgegen. Leider…

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