Auf die Betonung kommt es an

Das 34. Festival für Neue Musik MUSICA ging am Samstag in Straßburg mit dem Musikfilm „Reigen“ zu Ende. Zweieinhalb Wochen Konzertveranstaltungen der modernen Art, in diesem Jahr allerdings nicht mehr ausschließlich „interessant“.

Stanley Kubrick und moderne Musik - "interessant". Und eigentlich richtig klasse. Foto: Festival Musica

(Von Michael Magercord) – Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten, und doch streitet man sich über nichts besser als über Geschmack…

Um diesen Widerspruch aufzulösen, der uns moderne Menschen quält, seit die bürgerliche Kulturveranstaltung das Ritual religiöser Feierstunden in unserem modernen Leben bewahrt, hat uns der Herrgott die so wunderbare Institution der Neuen Musik geschenkt. Selbst, wenn die Töne schräg sind, die Instrumente gequält werden oder der ewige Wechsel zwischen klangteppichartigem Gesäusel und eruptiven Klangausbrüchen den süßen Konzertschlaf erschwert, so herrscht doch ein ungeschriebener Konsens über all den Konzerten Neuer Musik. Denn all jene, die sich trauen, dieser Musik zu lauschen, sagen danach immer das Eine: „Das war aber sehr interessant.“

Und richtig, interessant ist es nämlich Konzerten beizuwohnen, wo es was zu hören gibt, was es zuvor so noch nie zu hören gab, „neu“ halt. Und wenn sogar das Notenblattumblättern zur Musik wird, und noch Elektrogeräusche dazu kommen? Klar, dann ist das super interessant – obwohl… Obwohl man ab und zu das Gefühl hat, dass das alles ziemlich ähnlich klingt. Muss es vielleicht ja auch. Das war in vorangegangenen Epochen wohl immer so, dass Werke aus einem einzigen Zeitraum ziemlich ähnlich klingen.

Aber nun kommt auch noch hinzu, dass diese ach so neuen Klangreihen einerseits unberechenbar erscheinen, keine Note scheint zwingend der zuvor gesetzten folgen zu müssen, aber andererseits bleibt es doch dadurch wieder sehr ausrechenbar. Und ja, da kann man sich schon fragen, wozu eigentlich die ganzen Noten, wenn sich das doch sowieso alles ziemlich gleich interessant anhört? Könnte ein versierter Interpret diese Stücke nicht einfach improvisieren?

Oh nein, wehrt sich da – immerhin nach einer kleinen Denkpause – eine Interpretin nach einem interessanten Konzert, das ginge nicht. Diese Musik sei viel zu komplex um sie, wie Jazz, nach irgendwelchen vorgegebenen Schemata improvisieren zu können. Oder haben Sie darin irgendwelche Erfahrung, fragt die Musikerin zurück? Nein, nicht wirklich, fand das nur interessant. Die Frage zumindest.

„Interessant“ also. Damit kann man vieles sagen und die Bedeutung hängt von der Betonung ab. „Interessant“, das kann Anerkennung ausdrücken. Sowas wie: Ist zwar neu, aber muss wohl schon irgendwas bedeuten. Oder aber man ist blasiert und meint es ironisch. Oder einfach: Ich habe nichts kapiert, trau mich aber nicht, das zu sagen. Doch wie auch immer, in einem geschriebenen Text wie diesem, kann man ja gottlob die Betonung nicht mit hineinschreiben, was ihn schließlich darauf beschränkt, auf die tiefe Bedeutung der Verwendung des Wortes „interessant“ hinzuweisen.

Seine Verwendung für Kulturveranstaltung ist nämlich mindestens so modern, wie die Musik, die sein Verwender damit bezeichnet. Es zeigt nämlich an, dass sich der Zuhörer den modernen Standpunkt des kühlen Beobachters zugelegt hat. Objektiv halt. Und objektiv will er gar keine Stellung zu dem Dargebotenem mehr beziehen. Das ist viel zu gefährlich, denn woher soll er wissen, dass es überhaupt gut ist? Oder schlecht? Oder wichtig? Oder von Dauer?

Vor allem von Dauer schon mal nicht. Heutzutage, wo morgen schon niemand mehr über etwas spricht, wovon gestern noch niemand gesprochen hatte. Besser, gar nichts mehr schön zu finden, was sowieso keine Dauer hat, oder zumindest keine haben könnte. Das ist eine Art von Selbstschutz. Angst vor Verlust, der ja nicht eintritt, wenn man gar nichts so richtig hat. Das ist in allen Lebensbereichen so: Abschnitte, Veranstaltungen. Events. Besser man findet die bloß interessant und Punkt. Aber dafür dann immer wieder aufs Neue.

Das diesjährige MUSICA-Festival muss man zugeben, hatte dieses Mal weit mehr zu bieten, als das üblich Interessante, einfach weil dieses Mal die Spannbreite der Veranstaltungen sehr groß war. Doch, es gab natürlich etliche interessante Konzerte, aber auch viele einfach nur schöne, und etliche, die beides waren, zeitgemäß schön. Eine gute Mischung, die Lust auf das nächste Jahr macht, wenn es wieder auf die Betonung ankommen wird: „Interessant…“

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