Auf einmal…

Plötzlich spricht Bundeskanzlerin Angela Merkel von „schrittweisen Grenzöffnungen“ und zeigt mit dem Finger auf Frankreich, das seine Grenzen bis zum 15. Juli geschlossen hält.

Selbst, wenn Deutschland seine Grenze wieder öffnen sollte, dann finden die Staus eben in der anderen Richtung statt. Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Wenn wir zum Thema „Grenzen“ in den letzten zwei Monaten eines gelernt haben, dann das – wenn eine Grenze einseitig geschlossen wird, wie es Deutschland ohne Vorankündigung praktiziert hat, dann ist die Grenze dicht. Gleich, ob die andere Seite mitzieht oder nicht. Wenige Tage vor dem 15. Mai, dem eigentlich von Innenminister Seehofer verkündeten (aber noch nicht bestätigten) Ende der Grenzkontrollen an verschiedenen deutschen Grenzen, unter anderem der deutsch-französischen Grenze, redet die Kanzlerin plötzlich von „Öffnung in einem zweistufigen Prozess“ und der „Normalisierung des Schengen-Raums“.

Nur mal zur Erinnerung – Mitte März war es Deutschland, das ohne Absprache oder auch nur Vorankündigung die Grenze nach Frankreich geschlossen hatte. Auch andere Grenzen wurden dicht gemacht, andere hingegen, wie zu den Niederlanden und Belgien wiederum nicht. Das Ergebnis war eindeutig – eine einseitige Grenzschließung führt eben im Ergebnis dazu, dass die Grenze dicht ist.

Offen blieb die Grenze nur für Dinge, die Deutschland weiterhin brauchte – Arbeitskräfte und Waren. Familien und Paare mit einem grenzüberschreitenden Lebensplan wurden getrennt, die Pendler, die in Deutschland arbeiten, wurden behandelt wie Menschen zweiter Klasse und auf verschiedene Weise schikaniert.

Nun, da der Druck auf die Regierung wächst, diese verheerende Grenzschließung zu revidieren, kommt Angela Merkel zu spät. Andere Länder haben ihrerseits die Grenzen geschlossen, wobei uns ins erster Linie die deutsch-französische Grenze interessiert. Und die ist, wie Angela Merkel nach einem Telefonat mit Emmanuel Macron am Montag erklärte, von französischer Seite bis zum 15. Juni geschlossen. Mindestens. Ob Deutschland nun am Freitag seine Grenze wieder öffnet oder nicht, wird keinen Unterschied machen – der einzige Unterschied wird sein, dass die Staus der Pendler dann eben zu anderen Zeiten und in der anderen Richtung stattfinden. Für alle anderen ändert sich nicht am Status Quo – die Grenze bleibt geschlossen.

Dass die Kanzlerin nun die große zweistufige Grenzöffnerin spielt, ist nicht korrekt. Sie war es, die für die Schließung gesorgt hat, und nun mit dem Finger auf andere zu zeigen und denen unterschwellig vorzuwerfen, die Rückkehr zur Normalität im Schengen-Raum zu hintertreiben, das ist reine politische Kommunikation.

Speziell in den letzten Wochen wäre es durchaus möglich gewesen, Lockerungen an der Grenze einzuführen, vor allem dort, wo diese Grenze eigentlich schon gar nicht mehr existiert hat, wie zwischen Straßburg und Kehl. Hier, wo die Offiziellen den Begriff „grenzüberschreitend“ abgeschafft und durch den Begriff „rheinüberschreitend“ ersetzt hatten, war die zweimonatige Auszeit für die deutsch-französischen Beziehungen reines Gift. Rund 4 Millionen Fahrten pro Jahr verzeichnet die Tramlinie D, die Straßburg mit Kehl verbindet, eine Zahl, die auf einen zur Selbstverständlichkeit gewordenen Austausch hinweist.

Auf einmal pocht Angela Merkel auf genau das, was sie selbst nicht getan hat – die Absprache zwischen den europäischen Partnern. Wo war denn diese Absprache in den letzten Wochen und Monaten?

Die Stimmung kippt gerade um. In Kehl mehren sich anti-französische Stimmen, im Elsass wachsen die anti-deutschen Ressentiments. Dies zu leugnen oder schön zu reden, dient der deutsch-französischen Sache nicht. Am (noch nicht abzusehenden) Ende dieser Krise wird man offen reden müssen und alle Seiten werden nicht umhin kommen, auch ihre eigenen Fehler zu analysieren. Wenn Angela Merkel tatsächlich etwas für Europa tun will, das über einen Geldsegen hinausgeht, an dem sich Banken, Börsen und Großunternehmen bedienen können, dann sollte sie einen europäischen Gipfel einberufen, bei dem ernsthaft über einen gemeinsamen Fahrplan zur Wiedereröffnung der Grenzen in Europa gesprochen wird. Ansonsten könnte es sein, dass das Konzept „Europa“ irgendwann nicht mehr mehrheitsfähig ist.

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