Aufstieg und Fall des Jérôme Kerviel

Der Börsenhändler der Société Générale wird in Frankreich zum Medienstar – nachdem seine Börsenspekulationen 6,3 Milliarden Euro gekostet hatten.

Die Trutzburg der Société Générale - bei der niemand gemerkt haben will, wie die Milliarden verschwanden. Foto: Loïc LLH / Wikimedia Commons

(KL) – Schade, dass Bertold Brecht nicht mehr lebt. Denn aus diesem Stoff hätte er ein großartiges Stück geschrieben: „Die Moritat von der Gier und das Bauernopfer“. Die Zutaten zu diesem Stück? Ein jugendlicher Börsenhändler, der Milliardenbeträge im Auftrag der Bank bewegt, für die er arbeitet, ein steiler Aufstieg, Schwindel erregende Höhen des Erfolgs, Absturz in nie gekanntem Ausmaß und dann die Einsamkeit des Traders vor dem Gericht. Moral, Gier und Anstand. Brecht hätte seine Freude gehabt.

Ebenso schnell, wie die Medienaufmerksamkeit für Jérôme Kerviel aufkam, wird sie auch wieder verflachen. Am späten Sonntagabend kam Kerviel bei Menton aus Italien über die Grenze, wurde von zwei Zivilpolizisten in Empfang genommen und ins Gefängnis gebracht. Ein schnödes Ende für seine stark mediatisierte „Pilgerreise“ nach Rom, während der er wiederholt ein Gespräch mit François Hollande forderte. Doch daraus wird jetzt erstmal nichts.

Lassen wir die Zahlen sprechen. Der Trader Kerviel hatte von der Société Générale Spielgeld, das man sich tatsächlich nicht mehr vorstellen kann. Am Ende der verrückten Spirale hatte Kerviel seine Bank mit 50 Milliarden Euros in alle möglichen riskanten Spekulationen getrieben, die dann wie eine Seifenblase platzten. Blöd für den jungen Superstar, der im Jahr zuvor einen satten Gewinn von 1,4 Milliarden Euro für seinen Arbeitgeber erspekuliert hatte. Doch nach den Anfangserfolgen setzten bei Kerviel und seiner gesamten Hierarchie die Vernunftneuronen aus. Die Perspektive, noch mehr Geld verdienen zu können, machte alle blind vor Gier.

Der Verlust seiner windigen Anlagen betrug am Ende 6,3 Milliarden Euro und die Société Générale schaffte es tatsächlich, die gesamte Schuld auf einen einzigen Mann abzuwälzen – Jérôme Kerviel. Dieser wurde zu Schadensersatz in Höhe von 4,9 Milliarden Euro verurteilt, eine Summe, für die ein alter Spekulant ganz schön lange stricken muss. Dazu muss Kerviel drei Jahre ins Gefängnis.

Merken Sie was? Steuerhinterziehung in Millionenhöhe à la Uli Höneß oder Zockverluste in Höhe von 6,3 Milliarden Euro bringen runde 3 Jahre Gefängnis. Es lohnt der Vergleich mit anderen Straftaten, die mit 3 Jahren Gefängnis gehandet werden. Erste Moral: Wenn du schon kriminell wirst, dann geh aufs Ganze. Großkriminalität wird deutlich milder geahndet als Kleinkriminalität.

Merken Sie noch was? In den Chefetagen der europäischen Großbanken sitzen offensichtlich Menschen, die fürs Nichtstun bezahlt werden. Da will eine ganze Bank über ein Jahr nicht gemerkt haben, dass eines ihrer Fohlen im Stall Amok lief und 50 Milliarden Euro der Bank in Crashaktien investiert hatte? Achtmal den Jahresgewinn der weltweit operierenden Bank? Und niemand hat etwas mitbekommen? Ja, was machen die denn da? Zweite Moral: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. Was glauben Sie, was Brecht daraus gemacht hätte…

Bei Brecht wird deutlich, dass Jérôme Kerviel ein Opfer der Umstände geworden ist, eines in sich morschen und korrupten Systems, das sich selbst am nächsten ist und über Leichen geht. Am Ende des Stücks von Brecht wäre dann sicher der große Chor der betrogenen Kleinanleger aufgetreten, mit dem Klagelied des Kleinaktionärs “Ach, geblendet hat mich die Rendite“. Dritte Moral: Die Zeche zahlen am Ende immer die kleinen Leute. Wobei diese Erkenntnis nicht neu ist – die hatte Brecht schon in Mutter Courage…

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