Bagdad oder Wien – die Entscheidung fällt nicht schwer…

Im weltweiten Ranking der Lebensqualität in den Städten liegt die österreichische Hauptstadt auf dem ersten Platz. Am Ende des Rankings liegt Bagdad. Irgendwie verständlich.

Statt Sonnenuntergang und Regenbogen ist die Überwachungskamera das neue Symbol für Lebensqualität. Foto: John Seung-Hwan Shin / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Stellen Sie sich mal vor, Sie könnten sich völlig frei entscheiden, wo Sie leben möchten. Dort, wo Sie hingingen, hätten Sie einen gut dotierten Job, eine hübsche Unterkunft und keine materiellen Sorgen. Dann wäre Wien die richtige Wahl für Sie. Zumindest, wenn man der jährlich erscheinenden „Mercer-Studie“ glaubt, die Jahr für Jahr die Lebensqualität in den Städten dieser Welt anhand verschiedener Kriterien einstuft. Abgesehen davon, dass man bei „Mercer“ offenbar noch nie etwas vom Oberrhein gehört hat, überrascht das Ranking.

Die Überraschungen befinden sich eher unter den TOP 10 als am Ende der Tabelle. Denn dass niemand so richtig gerne in Städte wie Bagdad (Platz 230), Bangui (Zentralafrikanische Republik, 229), Sana’a (Jemen, 228), Port-au-Prince (Haiti, 227) oder Khartum (Sudan, 226) ziehen möchte, das versteht man durchaus. Wobei auch andere Städte in den Krisengebieten der Welt ans Ende dieser Tabelle passen würden.

Die TOP 10 sind allerdings offenbar nur für Menschen mit dem nötigen Kleingeld. Nach Spitzenreiter Wien folgt auf Platz 2 die Stadt Zürich, vor dem neuseeländischen Auckland auf Platz 3 und – München. München auf Platz 4? Auf Rang 5 folgt Vancouver an der kanadischen Westküste, bevor man bei den Plätzen 6 und 7 wieder ins Grübeln kommt. Düsseldorf auf Platz 6 und Frankfurt auf Platz 7? In der Tabelle der Städte mit der höchsten Lebensqualität weltweit? Was ist mit Paris, Amsterdam, Venedig, Lissabon? Und was bitteschön macht Frankfurt so attraktiv, außer, dass man die Stadt schnell in Richtung Taunus oder über den Flughafen verlassen kann? Auf Platz 8 folgt eine Stadt, in der ebenfalls der Duft von Geld durch die Straßen wabert – Genf. Am Genfer See. Auf Platz 9 liegt, völlig zu Recht, Kopenhagen. Und auf Platz 10 Sydney.

Soweit, so gut. Oder so schlecht. München, Düsseldorf und Frankfurt unter den sieben Städten mit der höchsten Lebensqualität weltweit. Wer schon einmal in Frankfurt am Hauptbahnhof angekommen ist, bei dem muss sich das erstmal setzen. Und auch Düsseldorf ist, wenn man über die westdeutschen Autobahnen kommt, auch nicht gerade ein Ausbund an Schönheit und guter Luft.

Also muss man genauer hinschauen. Und stellt dann fest, dass es bei der „Mercer-Studie“ in erster Linie gar nicht um „Lebensqualität“, sondern eher um „Überlebensqualität“ geht. Denn die Bewertungsparameter sind nicht das Freizeitangebot, die Schönheit der umgebenden Natur oder der Erfolg des lokalen Fußballteams, sondern die interne Stabilität, die Verbrechensstatistiken, die Effizienz der Durchsetzung von Recht und Ordnung, sowie die Qualität der Beziehungen des Landes mit anderen Ländern. Der Oberbegriff „Sicherheit“ ersetzt also fast nahtlos das, was man einstmals unter „Lebensqualität“ verstanden hat. Und da kann es natürlich sein, dass die lückenlose Videoüberwachung, hohe Polizeipräsenz und regelmäßig kontrollierte Wohnviertel dafür sorgen, dass Frankfurt vor Venedig liegt.

Es findet gerade ein gesellschaftlicher Wandel statt, der nichts Gutes verheißt. Die Unbeschwertheit des Daseins, mit Theater- und Konzertbesuchen, abendlichem Schlendern zwischen Restaurants und Szeneläden, mit Kino, Biergärten und Ausflügen ins Grüne, das alles war gestern. Heute zählen dafür eingezäunte Wohnviertel mit eigenem Sicherheitsdienst und Zufahrtskontrolle, Militärpatrouillen in öffentlichen Gebäuden und die Frage, wie viel man eigentlich in die maximale Sicherheit investieren muss, sowohl als Staat, als auch als Bürger. Und daraus ergibt sich dann eben ein solch seltsames Ranking.

Überraschend ist, dass sich trotz dieser Kriterien einige wirklich tolle Städte wie Vancouver, Kopenhagen oder Sydney unter die TOP 10 „geschmuggelt“ haben. Und wir dürfen uns langsam fragen, ob wir wirklich etwas dabei gewonnen haben, als unsere gute, alte „Lebensqualität“ diesem Sicherheits- und Angst-Hype Platz machen musste. Vermutlich eher nicht.

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