Bahnstreik: And the winner is… die GDL!

Überraschende Wendung im Bahnstreik - nachdem die GDL in allen Instanzen Recht bekam, brach sie den Bahnstreik vorzeitig ab.

Sollte es diese Anzeigetafeln demnächst wieder zu sehen geben, dürfen wir uns bei der Bahn bedanken. Foto: Eurojournalist(e)

(KL) – Was da am Freitag gegen 15:07 Uhr über die Ticker lief, war erstaunlich. Claus Weselsky, Chef der Lokführergewerkschaft GDL, erklärte, dass der Bahnstreik am Samstag um 18 Uhr und nicht, wie angekündigt, erst am Montag enden soll. Nachdem sich Weselsky erst den Zorn der gesamten Republik zugezogen hatte, geht er nun als strahlender Gewinner aus dem Streik hervor. War das alles von Anfang an eine geplante Taktik?

Spulen wir den Film dieses Streiks noch einmal zurück. Nach dem letzten Streik war Ruhe im Land eingekehrt und niemand beschäftigte sich noch groß mit dem hinter uns liegenden dreitägigen Streik, über den man sich zu den verschiedenen Ferienanfängen und –Enden bereits genug herum geärgert hatte. Dann erklärte Claus Weselsky am letzten Dienstag im Fernsehen, dass die GDL wieder streiken wolle. Wann, das würde man noch rechtzeitig mitteilen. Der Chef der GDL ließ die Muskeln spielen und inszenierte sich, wobei er betonte, dass seine Gewerkschaft im Recht sei. Argumente hörte man wenig. Die Bahn beeilte sich mitzuteilen, sie habe ein „verbessertes Angebot“ vorgelegt. Weselsky polterte zurück, das Angebot sei unannehmbar und festigte in diesem Moment das öffentliche Bild von ihm als sächselndem Sturkopf.

Dann kam die Ankündigung des Megastreiks. Von Mittwoch bis Montag. Der Hammer. Die Kanzlerin, der Vizekanzler, zahlreiche Ministerinnen und Minister meldeten sich zu Wort und mahnten Augenmaß an. Die Chefs der großen Gewerkschaftsverbände äußerten sich „entsetzt“ ob des Vorgehens der GDL, Weselsky gab mehr als je zuvor den zu allen Schandtaten bereiten Kampfsportler und viele, viele fielen auf dieses Schauspiel herein. Wir auch. Mea culpa. Der Mann hat das aber auch zu gut gemacht.

Volkes Seele kochte. Regenbogenmedien veröffentlichten Weselskys Privatadresse und Bürotelefonnummer, dieser jaulte öffentlich auf, die Stimmung wurde stündlich giftiger und aggressiver, überall hörte man plötzlich „Experten“, nämlich entweder frühere Gegner Weselskys oder Vertreter der Konkurrenzgewerkschaft EVG, die Weselsky den Verlust der Bodenhaftung vorhielten und damit die Stimmung noch weiter eskalieren ließen.

Weselsky mimte den Angeschlagenen, emotional gezeichnet von den persönlichen Angriffen, ähnlich einem um das Nest besorgten Vogelelternteil, das bei drohender Gefahr den Verletzten spielt, um die Aufmerksamkeit weg vom Nest zu lenken und das funktionierte. Der GDL-Chef ist genial. Das alles hatte er nämlich genau so geplant.

Dann das erste Sahnehäubchen auf einer Strategie, die ihresgleichen sucht. Als der Streik angelaufen war und sich die pendelnden oder reisenden Menschen in ihr Schicksal ergeben hatten, als die Fernbusse auch ihr wahres Gesicht zeigten, indem sie in Stundenfrist ihre Preise um bis zu 300 % erhöhten, da erschien ein ganz anderer Claus Weselsky auf den Fernsehschirmen, ruhig, unaufgeregt, nicht aggressiv, und erklärte, was es mit dem Streik, mit § 9.3 des Streikrechts und den Angeboten der Bahn auf sich hatte. Nämlich dass es das verbriefte Recht der GDL ist, auch andere in dieser Gewerkschaft organisierte Berufsgruppen in Tarifverhandlungen zu vertreten. Darauf allerdings, so die Bedingung der Bahn zu ihren Angeboten, hätte die GDL verzichten sollen. Einen einseitigen Verzicht auf ein solches Recht als Vorbedingung für Verhandlungen zu fordern, ist unanständig. Dabei so zu tun, als würde man ständig verbesserte Angebote unterbreiten, diese aber an eine nicht oder sehr leise kommunizierte Vorbedingung dieser Art zu knüpfen, ist auch unfein. Die Bahn, das wurde klar, hatte im Grunde erst den Acker dieses Streiks bestellt.

Und plötzlich verstand man, was Weselsky gemeint hatte, als er von einem ungleichen Kampf „zwischen einer Kommunikationsabteilung mit 100 Mann bei der Bahn und zwei Pressesprechern bei der GDL“ sprach. Weselsky hatte sich diese Kommunikations-Armada einfach über seine Person walzen lassen, während er parallel einen weiteren Coup vorbereitete.

Sahnehäubchen zwei. Alexander Dobrindt war ein leicht zu bewegender Bauer auf dem Schachbrett des GDL-Chefs. Wissend, dass der Bundesverkehrsminister dazu neigt, im falschen Moment das Falsche zu sagen, provozierte Weselsky Dobrindt zu dem öffentlich an die Bahn gerichteten Tipp, sie möge doch gegen diesen Streik klagen. Und Weselsky Falle schnappte zu. Denn genau das hatte er erreichen wollen – dass die Gerichte die Rechtmäßigkeit dieses Streiks feststellen. Und die Bahn kam aus dieser Falle nicht heraus.

Das Verfahren war seltsam. Während das Frankfurter Arbeitsgericht noch an Kompromisstexten herum dokterte, stand schon ein Richter der nächst höheren Instanz, des Hessischen Landesarbeitsgerichts bereit, um den sofortigen Einspruch der Parteien ohne Zeitverlust weiter verhandeln zu können. Etwas Besseres konnte Weselsky nicht passieren.

Angesichts der nicht zu vereinbarenden Positionen der Bahn und der GDL konnte der Versuch eines Kompromisses gar nicht klappen. Zwischen „bevor wir verhandeln, müsst ihr auf eure Rechte verzichten“ und „wir streiken, wenn wir auf unsere Rechte verzichten sollen“ gibt es eben nicht viel Raum für Kompromisse. Schon wie eine Fliege auf dem Leim hockend, machte die Bahn kommunikationstechnisch auf dem gleichen Holzweg weiter und ließ die GDL den Vergleichsvorschlag des Gerichts ablehnen, was Weselsky dann auch tat. Denn er wusste ganz genau, dass dem Gericht nicht anderes übrig bleiben würde, als dann im Sinne der GDL zu entscheiden und den Streik für rechtens zu erklären. Denn schon 2011 hatte das Bundesarbeitsgericht in letzter Instanz für die Pluralität von Gewerkschaften und Tarifverträgen im gleichen Unternehmen entschieden. Und so kam es auch. Das Arbeitsgericht erklärte den Streik für rechtmäßig und man zog weiter zum Landesarbeitsgericht.

Dort versuchte des der Richter noch einmal mit einem Kompromissvorschlag, der natürlich ebenfalls von der GDL abgelehnt wurde. Woraufhin dem Richter wiederum keine andere Option offen stand, als den Streik ebenfalls für rechtens zu erklären. Gegen den Gesetzestext und das Bundesarbeitsgericht zu entscheiden, so etwas könnte eine Richterkarriere nachhaltig beschädigen. Bingo! Claus Weselsky hielt auf einmal zwei Urteile in der Hand, die übereinstimmend aussagten, dass er mit seinem Streik im Recht sei. Und es wurde vor aller Augen sichtbar, dass die Bahn ziemlich unkorrekt versucht hatte, Gewerkschaftsrecht auszuhebeln, um mit der ihr genehmeren EVG verhandeln zu können.

Weselskys Taktik war zu 100 % aufgegangen. So gut könnte gar keine PR-Abteilung sein, um die Bahn mit solchen Mitteln als unfairen Verhandlungspartner bloßzustellen. Genial. David gegen Goliath. Und nun konnte Claus Weselsky entspannt zu Sahnehäubchen drei übergehen.

Statt mit dem richterlich frisch bestätigten Streikrecht den Druck auf die Bahn und damit die Bevölkerung zu erhöhen, verkündete er das vorzeitige Ende des Streiks. Der Mann hat seinen Punkt gemacht, in einer unglaublich eindrucksvollen Art und Weise, und man darf sich schon jetzt darauf freuen, wie die Verhandlungen zwischen GDL und Bahn verlaufen werden. Denn so kann die Bahn nicht weitermachen.

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