Beginn eines neuen Friedensprozesses in der Ukraine

Das „Normandie-Format“, also das Spitzentreffen zwischen den Staats- und Regierungschefs Frankreichs, Deutschlands, Russlands und der Ukraine scheint den Stillstand im Friedensprozess überwinden zu können. Der Anfang scheint gemacht zu sein.

Eigentlich hätte Putin am meisten Grund zu Strahlen... für ihn verlief das Pariser Treffen optimal. Foto: ScS EJ

(KL) – Nach den Gesprächen zwischen Emmanuel Macron, Angela Merkel, Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj schienen alle Beteiligten an dieser neuen Runde des „Normandie-Formats“ zufrieden zu sein. Jeder der Beteiligten konnte etwas Wichtiges aus den Gesprächen ziehen und es sieht so aus, als würde sich die Vernunft zurückmelden – denn alle Beteiligten haben ein großes Interesse daran, diesen Neustart des Friedensprozesses erfolgreich zu gestalten. Festzuhalten bleibt dennoch, dass vor allem Putin richtig zufrieden sein kann, denn er hält weiterhin alle Fäden des Prozesses in der Hand.

Die Ausgangssituation in der Ukraine ist angesichts der zahllosen Weltkrisen schon fast aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Die beiden östlichen ukrainischen Provinzen Donezk und Luhansk werden von russischsprachigen Separatisten kontrolliert, immerhin ein Grenzverlauf von rund 400 km und obwohl Putin seit Jahren das Gegenteil beteuert, werden diese Separatisten logistisch von Russland unterstützt, mit Waffen und anderen Ressourcen. Nach der Annektierung der Krim durch Russland kann die Ukraine diesen Zustand auf Dauer nicht tolerieren und die ultrarechten ukrainischen Nationalisten erhöhen ihren Druck auf den neuen ukrainischen Präsidenten, damit dieser grünes Licht für eine Auseinandersetzung gibt, bei der am Ende nur Russland gewinnen kann. So warnte Putin in Paris auch vor der Gefahr eines „neuen Srebenica“, falls ukrainische Nationalisten einen Versuch starten sollten, militärisch die Kontrolle über diese beiden Grenzregionen zurückzuerobern. Die Warnung ist eindeutig: Sollte dies tatsächlich geschehen, sähe sich Putin gezwungen, die russischsprachigen Separatisten offen militärisch zu unterstützen, um ein Massaker wie im bosnischen Srebenica zu verhindern. Dies wäre für ihn der ideale Vorwand, die beiden ukrainischen Provinzen ebenso zu annektieren wie die Krim.

Doch trotz dieser Drohung fährt auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nicht mit leeren Händen nach Hause. Mehrere konkrete Maßnahmen sind besprochen worden, mit denen der Friedensprozess neu gestartet werden kann, wie beispielsweise ein Gefangenenaustausch, einen neuen Waffenstillstand zwischen den Separatisten-Gebieten und den von der ukrainischen Armee kontrollierten Gebieten, die Einrichtung von Grenzposten zwischen diesen Gebieten und, vielleicht der wichtigste Punkt, einen perspektivischen Abzug von Truppen beider Seiten aus dem umstrittenen Grenzgebiet. Dies wird zwar den ukrainischen Nationalisten nicht reichen, doch hat  Selenskyj keine Wahl – will er das wirtschaftliche Überleben seines Landes sichern, muss er sich mit Putin verständigen, denn wie seit Jahren geht es um die Einnahmen aus der Durchleitung von russischem Gas über die Ukraine in die EU. Ohne die Gebühren für diese Durchleitung dürften in der Ukraine die Lichter ausgehen. Eine schwierige Situation für den ukrainischen Präsidenten, denn er befindet sich in wirtschaftlicher Abhängigkeit von einem Nachbarn, der mit riesiger militärischer Überlegenheit stückchenweise Teile seines Staatsgebiets wegknabbert. Die Gesprächsergebnisse von Paris geben Selenskyj die Möglichkeit, diese überlebenswichtigen Einnahmen zu sichern und gleichzeitig dem Druck der Nationalisten dadurch zu begegnen, dass er Maßnahmen für einen neuen Friedensprozess präsentieren kann. Wobei es trotzdem ein offenes Geheimnis ist, dass all diese Maßnahmen und auch die Zukunft der beiden Regionen Luhansk und Donetzk von Putins Willen abhängen. Kein Wunder, dass Putins Kommentar zu den Gesprächen vor der Presse so lautete: „I am happy“.

Doch auch für Emmanuel Macron und Angela Merkel wird sich dieses „Normandie-Format“ gelohnt haben. Macron, dem die Innenpolitik täglich weiter aus den Händen gleitet, dessen Land inzwischen am Rande zur Sozialrevolte steht, braucht außenpolitische Erfolge in einem Moment, in dem er die Kontrolle über die Innenpolitik verliert. Es war schon eine seltsame Situation, dass in Paris durchaus erfolgreich über die Ukraine verhandelt wurde, während sich gleichzeitig in der gleichen Stadt wie fast permanent seit einem Jahr die üblichen bürgerkriegsähnlichen Szenen abspielten und das Land durch den seit letzter Woche andauernden Streik wie gelähmt ist. So ist es eben – wenn die Innenpolitik stockt, muss man Punkte in der Außenpolitik sammeln und das ist ihm sicher gelungen. Auch, wenn dies vor allem im Ausland wahrgenommen wird und in Frankreich momentan niemanden interessiert.

Gleiches gilt für die angeschlagene Kanzlerin Angela Merkel, die angesichts der Krise der Großen Koalition, den anstehenden Gesprächen mit einer endlich mal wieder Forderungen stellenden SPD und den Schwierigkeiten mit ihrer Nachfolge ebenfalls außenpolitische Erfolge gut brauchen kann. Obwohl dieses Mal die Initiative eindeutig vom französischen Präsidenten ausging, dürfte die Bundeskanzlerin daheim größeren Nutzen aus diesem Neustart des Friedensprozesses in der Ukraine ziehen. Die deutsche Öffentlichkeit ist momentan nicht von sozialen Unruhen wie Frankreich abgelenkt, so dass die Kanzlerin mehr Gelegenheit haben dürfte, die Ergebnisse von Paris positiv zu kommunizieren.

Dennoch muss man realistisch bleiben. Es steht nicht zu erwarten, dass Putin die faktische Annektierung der Regionen Luhansk und Donetzk rückgängig machen wird. Momentan sind diese Regionen für ihn ein Faustpfand für alles Mögliche. Unter anderem wird er weiterhin die Konditionen diktieren können, zu denen russisches Gas auf dem EU-Markt ankommt, doch könnte sich das bereits dann ändern, wenn die Gas-Pipeline Nord Stream 2 durch die Ostsee direkt nach Deutschland und vorbei an der Ukraine in Betrieb genommen werden kann. Momentan denken alle Beteiligten (bis auf Putin) lieber noch nicht daran, wie dies die Situation ändern wird, jetzt kümmert man sich sinnvollerweise erst einmal darum, einen ohnehin schon schwierigen Waffenstillstand auf den Weg zu bringen.

Und auch, wenn die ganz großen Friedensperspektiven für die Ukraine weiterhin fehlen und Putin alles daran setzt, den Status Quo durch alle möglichen Schachzüge zu festigen, war das Pariser „Normandie-Format“ ein Erfolg. Und er zeigte immerhin im Ansatz, was in Europa möglich ist, wenn Frankreich und Deutschland gemeinsam an einem Strang ziehen. Es wäre wünschenswert, wenn sie dies etwas häufiger tun würden und nicht nur dann, wenn es darum geht, von innenpolitischen Krisen abzulenken.

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