„Besondere Umstände setzen besondere Kräfte frei…“

Nach einem ersten Interview zum Thema Telearbeit während des Lockdowns fragen wir heute nach, wie die Bilanz dieser Erfahrung ist.

Neue Hygienevorgaben überall - auch bei der "Universalschlichtungsstelle des Bundes" in Kehl. Foto: privat

(KL) – Während des Lockdowns wollten wir am Beispiel der in Kehl ansässigen „Universalschlichtungsstelle des Bundes“ (USS) sehen, wie sich die grenzüberschreitende Telearbeit organisieren lässt. Bei einem ersten Interview mit dem Leiter der USS, Felix Braun, schien alles hervorragend zu funktionieren. Und wie ist die Bilanz jetzt am Ende des Lockdowns? Zweites Interview mit Felix Braun.

Felix Braun, nach unserem „Halbzeit-Interview“ während Ihrer Telearbeits-Phase wollen wir uns nun erkundigen, wie Ihre Organisation, der „Universalschlichter des Bundes“, die zweite Hälfte des Lockdowns gemeistert hat und wie die Wiederaufnahme Ihrer Aktivitäten läuft. War die zweite Hälfte dieser Phase ebenso positiv wie die erste?

Felix Braun: Auch in der zweiten Hälfte hat die Telearbeit trotz verstärkter Nachfrage unserer Dienste reibungslos funktioniert. Von außen war nicht zu erkennen, dass wir nicht im Büro saßen. Eine Leistung, für die ich meinem Team nicht genug danken kann. Nun fahren wir ganz behutsam mit kleinen Schichten hoch. Dabei steht der Gesundheitsschutz im Vordergrund, die Arbeit läuft ja ohnedies. Aber ein kleiner Schichtbetrieb hilft uns.

Haben Sie mit fortschreitender Dauer Phänomene wie das „Cabin Fever“ in Ihrem Team festgestellt?

FB: Sie meinen damit, dass einem die Decke auf den Kopf fällt und man irgendwie „die Krise kriegt“? Ich kann das für mich selbst so beantworten: überwiegend ging es gut, fast möchte ich sogar sagen, dass besondere Umstände auch besondere Kräfte freisetzen. Aber auch ich hatte zwei Tage, an denen es mir richtig schlecht ging und die in eher düstere Gedanken gehüllt waren. Interessanterweise an ruhigen Sonntagen und ohne besonderen Anlass. So oder ähnlich dürfte es vielen gehen, also in der ganzen Bevölkerung und auch in meinem Team. Das muss man nicht mit anderen teilen, auch wenn das niemandem peinlich sein muss. Angst und Trauer dürfen keine Tabuthemen sein, unnötigen Druck, der durch Tabus entsteht, kann keiner brauchen. Das habe ich auch ganz bewusst im Team kommuniziert. Es gibt auch ein Coaching-Angebot für alle Mitarbeiter*innen, denen das hilft. Von dem, was ich mitbekomme, scheinen wir aber ein mental gefestigtes Team zu haben, was ich bewundernswert finde. Auch wenn uns allen bewusst ist, dass wir es im Vergleich zu vielen anderen sehr gut haben und sehr dankbar sein können.

Hat die Effizienz Ihrer Arbeit unter der Telearbeit eher gelitten oder hat es sogar in einzelnen Bereichen Effizienzsteigerungen gegeben?

FB: Sowohl als auch. Es gab deutlich mehr Anträge und Anfragen und die wurden alle gemeistert. Insofern also ein belegbares Effizienzplus. Auch Vorträge, die wir in dieser Zeit gehalten haben, etwa für den digitalkompass.de, oder Fortbildungen an denen wir teilgenommen haben: Plus, da Reisezeiten entfielen.

Team-Meetings: Plus, denn bei Videokonferenzen kommt man direkter zum Punkt. Aber: wenn man sich lange nicht sieht, gehen auch Sachen unter. Zusammen im Büro bekommt man Stimmungen mit, non-verbale Botschaften. Man kann dem sofort nachgehen, es gibt keinen Kommunikationsstau.

Daher haben wir auch seit dem 18.5. einen behutsamen Schichtbetrieb aufgenommen, der genau diese Mankos ausgleicht. Im Übrigen bleibt es aber bei Telearbeit, und zwar im überwiegenden Maße. Aber alle können nun ab und an ins Büro, was nicht nur gut für unsere Arbeit ist, sondern auch fürs Gemüt.

Wird es Elemente aus dieser Phase geben, die Sie später im Normalbetrieb beibehalten werden?

FB: Wir werden uns im Sommer mal einen Tag als Team gönnen, um das professionell aufzuarbeiten und daraus Leitlinien und Werte für unsere künftige Arbeit aufzustellen. Ich will da jetzt noch nicht vorgreifen, sehe aber schon jetzt zahlreiche Punkte aus der Arbeit der letzten Monate, die eins zu eins oder angepasst in Abläufe des Normalbetriebs integriert werden sollten.

In Ihrer Organisation gibt es Mitarbeiter, die in Straßburg leben. Stellt die aktuelle Grenzsituation für Sie ein Problem dar?

FB: Die Grenzgänger kommen rüber, ab und an natürlich mit eigenem Stau. Immerhin gibt es für Grenzgänger einen klaren Rechtsrahmen. Besonders erfreulich ist, dass dieser zum Start unseres Schichtbetriebs auch Einkäufe in Kehl erlaubt.

Sie haben in Ihren Büros bereits mehrere neue Sanitär-Maßnahmen eingeführt. Können Sie uns ein paar davon nennen und wie werden diese von Ihren Mitarbeiter*innen aufgenommen?

FB: Eine große Hilfe, an alles zu denken, sind Checklisten wie von der VBG. Die sind konsequent bei uns abgebildet. Eine besonders einfache Maßnahme ist das Anbringen von Markierungen auf dem Boden. Ich bin jedenfalls nicht mit einem eingebauten Zirkel auf die Welt gekommen, so wird es den meisten gehen. Die Markierungen helfen dabei, Abstand zu halten. Sie zeigen das Maß, aber es sind auch omnipräsente, visuelle Reminder, sich nicht nahe zu kommen. Menschen sind sehr soziale Wesen, da helfen solche Maßnahmen trotz aller Disziplin nicht doch mal unbewusst in alte, instinktive Muster zu verfallen.

Einfach und effizient: jeder hat jetzt ein Einzelbüro mit Fenster, Lüften ist oberstes Gebot. Gespräche ja, aber kurz, mit Abstand und kostenlos zur Verfügung gestellter Maske.

Andere Maßnahmen sind komplizierter, etwa das Aufstellen und Kontrollieren von Hygieneregeln. Aber nach der ersten Woche: es klappt, alle sind sehr diszipliniert.

Sie haben die zwei Monate der Telearbeit sehr kreativ genutzt. Lag das an einer sehr frühen Vorbereitung auf diese Situation oder hat sich das spontan ergeben? Können Sie uns einige Beispiele für Projekte nennen, die Sie in dieser Zeit angegangen sind?

FB: Wie ich eingangs sagte: Krisen setzen auch Kräfte frei. Und bei der Arbeit zuhause ist es oft stiller als im Büro, jedenfalls in dem Sinne, dass weniger mit Kolleg*innen ausgetauscht wird. In der Stille gibt es dann manchmal den einen oder anderen Heureka-Moment. Und bei der Fallarbeit mussten bestimmte Arbeitsschritte neu erfunden werden, um überhaupt flüssig arbeiten zu können. Eins werden Sie bald zu sehen bekommen: wir haben die Krise genutzt, um den Relaunch unserer Website anzugehen, grafisch wie auch textlich.

Werden diese letzten zwei Monate unter außergewöhnlichen Bedingungen Ihre Arbeit nachhaltig beeinflussen?

FB: Ja, da bin ich sicher. Zumindest mit vielen nützlichen Details unserer Arbeitsweise, die wir dauerhaft beibehalten werden. Eine genauere Antwort gibt es nach unserem Tag im Sommer, in dem wir das systematisch durchleuchten und festlegen. Und als Team können wir stolz sein: niemand hat gekniffen, waren stets lösungsorientiert auf allen Ebenen, das macht nachhaltig stark.

Felix Braun, danke für diese Einblicke!

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