Biberalarm im Wahlkampf

Straßburg im Fieber, im Wahlkampffieber. Wichtigstes Thema: Klima. Wichtiger Streitpunkt: Bäume. Die Wahlkämpfer überbieten sich mit Pflanzabsichten. Und dann sowas: Biber erobern Straßburg!

Politisch nicht korrekt, was die Biber da mitten im Wahlkampf veranstalten... Foto: Michael Magercord / Eurojournalist(e)

(Von Michael Magercord) – Es war schon länger vermutet worden, doch jetzt ist es amtlich, denn ich selbst habe ihre unverwechselbaren Spuren der Verwüstung gesehen: Biber sind in Straßburg eingefallen. Unweit vom Schloss Pourtalès im Norden der Stadt, in Hörweite des Kehler Stahlwerkes und Geruchsweite des Straßburger Ölhafens haben sie es sich gemütlich gemacht. Da Biber aber ziemlich ungemütliche Zeitgenossen sind, heißt das: nagen bis es kracht.

Biber sind gefräßige Holzfäller. Eine Nacht brauchen sie, einen bis zu fünfzig Zentimeter dicken Baum zu fällen und dann die Blätter abzufressen. Uns hinterlässt er wie ein Heuschreckenschwarm nur noch die kahlen Stämme. Ausgerechnet Bäume! Unsere wertvollen Schattenspender, Feuchtigkeitsspeicher und Kühlaggregate der heißen Zukunft.

Sogar jene, die immer alles zuletzt begreifen, haben nun begriffen, wie wichtig Bäume fürs Klima sind. Folgerichtig reden in Wahlkampfzeiten nun alle von Bäumen. Die Kandidaten für den Posten des Bürgermeisters sprechen über Bäume im Stadtraum und von grünen Korridoren, wie eben auch der Auwald um Pourtalès einer ist. Nicht nur die übliche Verdächtige unter ihnen, die Jeanne d’Arbre der Lokalpolitik, auch die Männer brüsten sich mit zukünftigen Baumpflanzrekorden. Sogar der schlanke Herr Vetter, der sonst eher ein Herz für dicke Autos hat, hegt Pläne, den grünen Gürtel enger um die Stadt zu schnallen.

Und jetzt das: der Biber ist in der Stadt und zeigt seine wahre Natur. Heimlich im Dunkeln, wenn alle friedlich schlafen, fällt er Bäume im zukünftigen grünen Korridor. Über Jahrzehnte hinweg hatte die Straßburger Stadtverwaltung die Arbeit der Biber verrichtet, war also quasi in das Biberfell geschlüpft und hat reihenweise Bäume flachgelegt. Und wie die Biber immer nur die schönsten, die Schatten warfen und Feuchtigkeit speicherten. Und wenn es mal einen Platz zu gestalten gab, dann kamen die alten Bäume weg. Riesige Ödflächen zieren nun die Umräume des Münsters und des Justizpalastes.

Kurz: die Biber waren bisher wir. Doch ausgerechnet jetzt, wo die Verantwortlichen und die es werden wollen grüne Kreide gefressen haben, da kommt der echte Biber. Selbst jene Trautmänner, die noch zuvor vehement eine neue Verbindungsroute mitten durch den Wald zum Ölhafen gefordert hatten, sprechen nun, wo sie wieder Bürgermeister werden wollen, von einer „Möglichkeit“, die aber zunächst einer „Analyse“ unterzogen werden müsse. Doch was tut der Biber? Just dort, wo die Straße hätte verlaufen sollen, fällt er eben mal ein paar Bäume – und wir fragen: Was will uns der Biber damit sagen?

Dass eben doch die Natur der größte Feind der Natur ist? Gut, die meisten Bäume, die jetzt im Park von Pourtalès flachliegen, hat natürlich der Sturm vom letzten Monat auf dem Gewissen. Aber mit ihm im Grunde natürlich wir. Denn den Sturm in Zeiten des Klimawandels haben wir mit unserer windigen Lebensweise erst gesät. Immerhin, das haben wir mittlerweile kapiert.

Doch dass nun auch noch der Biber nachlegt, hat noch einmal eine ganz andere Dimension. Denn hatten wir Menschen den gefräßigen Nager nicht auf die Rote Liste gesetzt und ihn damit unter unseren besonderen Schutz gestellt? Ja, haben wir, doch nun fällt so ein Biber die für unsere gemeinsame Zukunft auf unserem Planeten so wichtigen Bäume – pass bloß auf, dass du nicht wieder auf der schwarzen Liste landest!

Dabei hatten wir es uns die Welt gerade so schön zurechtgelegt: mit der Natur auf Du und Du! Denn vermögen nicht selbst kleinste Käfer ganze Großbaustellen für Monate lahmzulegen? Und dass, obwohl wir uns eigentlich gar nicht so richtig wohlfühlen unter Insekten. Aber wir überwinden unseren inneren Biber: Wir vernehmen den lautlosen Ruf der Natur, denn vom Getier geht das elfte Gebot aus: Du sollst nicht das ganze Land zubetonieren!

Bis auf einige wenige kundige Keleopterologen hat kaum ein Mensch diese Käfer je zu Gesicht bekommen und doch sorgt das Gefleuch dafür, dass wir unseren biberhaften Tätigkeitsdrang zumindest kurz innehalten. So sind wir eben, denn auch Gott haben ja nur wenige Auserwählte gesehen und doch gingen von ihm die ersten zehn Gebote aus. Auch weil sich Gebote nun einmal von jenen am tiefgründigsten erhören lassen, die man gar nicht erst zu Gesicht bekommt.

Doch nun ist da dieser Biber! Das ist amtlich, denn ich habe die Spuren seiner Verwüstung fotografisch festgehalten. Jeder kann es nun sehen: Oh Biber, warum erinnerst du uns mit deinem Tun, dass dem unseren doch so ähnlich ist, daran, dass die erhörten Gebote der Natur doch nichts weiter sind, als ein heimliches Echo unserer eigenen Hilferufe nach einer äußeren Instanz, die uns endlich mäßigen und bändigen möge?

Die umhegte Fauna und Flora sollte dazu dienen, die Last der Entscheidung, die Zähmung der Überproduktion mit allen ihren Konsequenzen endlich anzugehen, nicht allein auf uns laden zu müssen. Auf Käfern, Hamstern – und was sonst noch alles über Baustellen kreucht und fleucht – wollten wir die Bürde der Zurückhaltung abladen. Was aber will uns der Biber nun sagen? Dass wir etwa doch besser selbst die Kraft aufbringen sollten, unseren Tatendrang zurückzunehmen? Wären wir dem wirklich gewachsen? Oh, beim heiligen Biber, müssen wir wirklich alles selbst wieder richten, was wir alles so anrichten?

Aber dieser Biber sagt einfach nichts. Er nagt immer nur weiter und weiter. Jede Nacht noch einen Baum. Wie es seine Natur ist…

Wer jetzt noch wirklich wissen will, wo der Biber aktiv ist, der findet HIER die Karte der Biberbeobachtungen im Elsass des Biberzählprojektes von 2012 bis 2022.

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