Big Brother is watching you – in Frankreich

Die Gewerkschaften der Anwählte und der Magistratur warnen vor der neuen Daten-Sammelwut der französischen Regierung. Ab sofort gibt es eine Gesinnungs-Polizei.

Hat nichts mit der Covid-Krise zu tun - Frankreich führt den digitalen Totalitarismus ein. Foto: Christopher DOMBRES / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Big Brother spricht ab sofort Französisch. Nachdem die Regierung bereits während der ersten Welle im Frühjahr per Dekret und unbeachtet von der Öffentlichkeit faktisch den Schutz personenbezogener Daten abgeschafft hatte, wurde diese Regelung am 2. Dezember durch drei weitere Dekrete noch verfeinert. Was dabei Kopfzerbrechen bereitet, ist dass diese erneuten Massnahmen nichts mit der aktuellen Covid 19-Krise zu tun haben, sondern lediglich dazu dienen, eine digitale Vollkontrolle über alle Lebensbereiche der Französinnen und Franzosen zu erhalten. Die Gewerkschaften der Anwälte und der Magistratur laufen gegen diese Dekrete Sturm, doch wird das wenig nützen. Und nein, wir denken uns das nicht aus – diese Dekrete sind im vollen Wortlaut HIER einzusehen.

In den Datensätzen, die nun dank der Dekrete 2020-1510, 2020-1512 und 2020-1521 für jeden Bürger und jede Bürgerin angelegt werden und munter zwischen den Behörden ausgetauscht werden dürfen (es reicht, dass ein entsprechender Antrag damit begründet wird, dass ein „wichtiger Grund“ vorliegt, den einzig und alleine die jeweiligen Behörden für sich definieren), werden Dinge festgehalten wie „philosophische, religiöse oder gewerkschaftliche Überzeugungen“, das Ganze, um angebliche Gefährdungen der „öffentlichen Sicherheit“ zu bekämpfen. Wäre es nicht so beunruhigend, müsste man schmunzeln. Denn selbst mit den von den Behörden schon lange geführten Terroristen-Datenbanken EASP, PASP und GIPSAP handeln sich die französischen Behörden, ebenso wie die deutschen, von Panne zu Panne. Doch statt Terroristen wirksam zu bekämpfen, kann es keine Lösung sein, die gesamte Bevölkerung unter Generalverdacht zu stellen und auszuspionieren.

In Zeiten großer sozialer Unruhen, die bereits vor der Covid-Krise zu heftigen Auseinandersetzungen geführt hatten, wird heute jeder Teilnehmer an einer Demonstration als potentieller Unruhestifter betrachtet – und ab sofort in diesen Datenbanken geführt. Es ist schwer zu glauben, dass dies der Terrorabwehr dienen soll, denn durch die neuen Dekrete ist die Gruppe der zu überwachenden Personen plötzlich riesig geworden – sie umfasst praktisch jeden Bürger und jede Bürgerin. Wie dies zu gezielten Fahndungserfolgen führen soll, ist mehr als fraglich. Doch offenbar geht es um etwas ganz anderes. Frankreich entwickelt sich hin zu einem digitalen Totalitarismus, der ähnliche Blüten treiben wird wie in China.

Durch diese neuen Dekrete richtet Frankreich de facto eine Gesinnungspolizei ein. Denn wenn Datensätze über Bürger angelegt werden, in denen politische Überzeugungen und Engagements notiert werden, dann ist dies die Vorstufe zu einer systematischen Unterdrückung jedweder politischen Opposition. Die Gewerkschaften der Anwälte und der Magistratur werden beim Staatsrat Beschwerde gegen diese Dekrete einlegen, doch stehen die Chancen, dass diese aufgehoben werden, schlecht.

Seit 2002 wird den Franzosen eingetrichtert, dass man bei Wahlen immer den Gegenkandidaten des rechtsextremen Le Pen-Clans wählen soll, um ein Abdriften des Landes zu verhindern. Doch 2017 sind die Franzosen damit in die selbst gestellte Falle gegangen. In der Hoffnung, Emmanuel Macron wäre weniger schlimm als Marine Le Pen, haben die Franzosen eine politische Bewegung an die Macht gebracht, die eben keinen Gegenentwurf zum rechtsextremen Front National darstellt, sondern einen neuen digitalen Totalitarismus, der jetzt, während der Corona-Krise, fast unbemerkt eingerichtet wurde.

Massivste Veränderungen des Demonstrationsrechts, schwere Einschränkungen der Pressefreiheit, Aufhebung des Schutzes personenbezogener Daten – solche Dekrete kennt man eigentlich nur von denjenigen Ländern, auf die wir ständig mit dem Finger zeigen, wie Ungarn, Polen, Türkei oder eben auch China. Dabei setzt die französische Polizei Methoden ein, die Frankreich selbst lauthals kritisiert, wenn sie in anderen Ländern verwendet werden, wie beispielsweise die international geächtete Nutzung von lebensgefährlichen Hartgummi-Geschossen, die in den großen Städten Frankreichs an der Tagesordnung ist, von der französischen Regierung aber beispielsweise bei Demonstrationen in Minsk oder Hong Kong heftig kritisiert wird.

Seit 2018 schafft es diese Regierung nicht, den sozialen Frieden im Land wiederherzustellen und in der Corona-Krise präsentierte diese Regierung ihrer Bevölkerung vom ersten Moment an haarsträubende Lügen. Doch wie will eine Regierung verlorenes Vertrauen zurückgewinnen, wenn sie gerade dabei ist, ein Regime einzurichten, das eher den Albtraum-Visionen eines George Orwell als einer modernen Demokratie entspricht?

2022 werden in Frankreich der Präsident und das Parlament neu gewählt. Dies könnte die letzte Chance sein, bei der verhindert werden kann, dass Frankreich das erste europäische Land mit einem digitalen Totalitarismus wird. Wer dann noch meint, diese Regierung wiederwählen zu müssen, der trägt automatisch eine Mitverantwortung für alles, was in der Folge passieren wird.

2 Kommentare zu Big Brother is watching you – in Frankreich

  1. Vielen Dank fuer den informativen Artikel. In deutschsprachigen Medien wird darueber viel zu wenig, ueber die genannten neuen Dekrete eigentlich gar nicht berichtet. Und auch wenn sie (nur) Frankreich betreffen, zeigen sie meiner Meinung nach doch einen weltweiten schlimmen Trend dem sich keiner von uns entziehen kann, egal wo oder wie er lebt.

    • Ich teile Ihre Meinung – das, was gerade in Frankreich passiert, ist ein allgemeiner Trend, der sehr beunruhigend ist, da man hier die Grundpfeiler der Demokratie angreift.

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