Big Brother schaut in Frankreich ganz genau hin

Empfänger der Sozialhilfe RSA („Revenue de Solidarité Active“) müssen ihre Kontoauszüge bei den Behörden vorlegen – damit ja niemand schummelt. Wie war das mit der Menschenwürde?

Auf diesem Kontoauszug wäre die Überweisung von tante Hertha schon problematisch... Foto: Knightriderfan auf Wikipedia / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Wer in seinem Leben auf der Stufe der Sozialhilfe ankommt, hat es in aller Regel nicht leicht. Denn auf dieser Ebene der Gesellschaft gehört man zu den „Aussätzigen“, zu denjenigen, denen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben weitgehend versagt bleibt. Dass dabei oft auch die letzten Reste der Menschenwürde auf der Strecke bleiben, zeigt ein Beispiel aus dem Elsass.

Im Elsass müssen Sozialhilfeempfänger (die Sozialhilfe wird dort mit „RSA“ abgekürzt, was so viel wie „Einkommen der aktiven Solidarität“ heißt) ihre Kontoauszüge der letzten sechs Monate vorlegen, damit die Verwaltung kontrollieren kann, dass niemand schummelt und eventuell noch aus anderen Quellen Geld bezieht. Damit werden Sozialhilfeempfänger unter Generalverdacht gestellt – was der Präsident des Generalrats des Haut-Rhin Eric Straumann auch gleich rechtfertigte – „diese Leute wollen, dass wir ihnen helfen, also müssen sie uns auch nachweisen, dass sie bedürftig sind“.

Und der oberste Chef des oberelsässischen Departements hatte auch die Paragraphen zur Hand, die es seiner Verwaltung erlauben, solche Kontrollen durchzuführen. Das Sozial- und Familiengesetz sieht in seinen Artikeln T262-8 und R262-3 tatsächlich vor, dass der Präsident des Generalrats „alle für die Auszahlung der Sozialhilfe RSA erforderlichen Nachweise“ zur Kontrolle anfordern kann. Doch gehören dazu auch die Kontoauszüge der letzten sechs Monate?

Hierüber streiten sich die Experten. Denn nach französischem Recht ist ein Kontoauszug ein vom Bankgeheimnis geschütztes privates Dokument und es stellt sich die Frage, ob die Forderung nach der Offenlegung der Kontoauszüge nicht einen Verstoß gegen den Schutz der persönlichen Daten darstellt. Mal ganz davon abgesehen, dass der gesamte Vorgang entwürdigend ist.

Die Reaktionen auf diesen Vorgang sind heftig – karitative Verbände sind entsetzt, selbst in den Verwaltungen wird dieser Einbruch in die Privatsphäre der Schwächsten der Gesellschaft als eine Zumutung betrachtet, auch wenn das niemand offen sagen möchte. Die Forderung, dass sich sozial schwache Menschen vor den Verwaltungen im übertragenen Sinne „ausziehen“ müssen, ist mehr als grenzwertig, vor allem in einer Situation, in der die Rechtmäßigkeit dieses Vorgangs zumindest fraglich ist.

Wäre es nicht wirklich an der Zeit, ähnlich wie in Finnland über das „bedingungslose Bürgergeld“ nachzudenken, das viele Experten seit langer Zeit fordern? Nicht nur, dass ein solches Bürgergeld Betroffenen ein würdevolles Leben ermöglichen würde, dazu könnte man auch den Verwaltungs-Wasserkopf um all diejenigen abbauen, die sich heute hauptberuflich mit der Verwaltung von Armut beschäftigen. Und auch dieses „Verwaltung der Armut“ ist eine kostenintensive Angelegenheit, die Mitarbeiter, Büros, Gebäude, Ausrüstungen und anderes erfordert. Nach Angaben der Verwaltung wurden zwar letztes Jahr durch solche Kontrollen im Departement Haut-Rhin knapp 850.000 € unrechtmäßig ausgezahlter Sozialleistungen zurück gefordert, allerdings sind das nur 0,7 % der insgesamt ausgezahlten Sozialhilfen von deutlich über 100 Millionen Euro. Die Frage nach Aufwand und Nutzen ist also durchaus berechtigt.

Wer Bevölkerungsgruppen am unteren Rand der Gesellschaft nicht vollständig abhängen und ausgrenzen will, der sollte sich die Frage stellen, ob nicht die Würde der Betroffenen ein höheres Gut ist als die Jagd nach 0,7 % unrechtmäßig ausgezahlter Sozialleistungen. Sozial schwache Menschen unter Generalverdacht zu stellen dürfte das Zusammenleben in der Gesellschaft nicht unbedingt positiv beeinflussen. In Zeiten sozialer Spannungen wäre es vielleicht sinnvoller, den Menschen ihre Würde zu lassen, statt sie weiter auszugrenzen.

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