Billige Gesten

Das Europäische Parlament rät seinen Mitgliedsstaaten, keine Regierungsmitglieder und Diplomaten zu den Olympischen Winterspielen 2022 in Peking zu entsenden. Als Protest gegen die Verletzung von Menschenrechten.

Polizei-Razzia beim "Apple Daily". Die EU protestiert. Bei vergleichbaren Bildern aus Ungarn schaut man aber lieber betreten zur Seite... Foto: Banetkool / Wikimedia Commons / CC0 1.0

(KL) – Als gäbe es momentan nicht wichtigere Themen… das Europäische Parlament, das offenbar seinen Straßburg-Rhythmus wiederfindet, hat eine bahnbrechende Entscheidung getroffen. Nein, keine Entscheidung, man hat für eine Empfehlung gestimmt. Und die lautet, dass die Mitgliedsstaaten keine Regierungsvertreter oder Diplomaten zu den Olympischen Winterspielen nach Peking entsenden sollen. Aus Protest gegen die häufige Verletzung von Menschenrechten in China. Das Ganze klingt ein wenig populistisch und passt so gar nicht zur Haltung der Institutionen in den letzten Wochen, Monaten und Jahren. Denn der Verzicht auf die Vermischung von Sport und Politik, die ansonsten angeprangert wird, gilt nur dann, wenn es politisch genehm ist und vor Verletzungen der Menschenrechte, die in den eigenen Mitgliedsstaaten stattfinden, verschließen die gleichen Institutionen die Augen. Sehr glaubwürdig ist das alles nicht…

Aber immerhin, die Olympischen Winterspiele 2022 in Peking, die momentan wohl niemanden so richtig interessieren, sind ein prächtiges Thema, bei dem das institutionelle Europa endlich einmal wieder so etwas wie Einigkeit demonstrieren kann, was ja ansonsten praktisch nicht mehr der Fall ist. Die „Empfehlung“ an die Regierungen der Mitgliedsstaaten wurde denn auch mit 578 Stimmen, bei 29 Gegenstimmen und 73 Enthaltungen angenommen. Schade, dass es so etwas wie europäische Einheit nur bei solchen Mickey Mouse-Themen gibt.

Das Europäische Parlament will mit dieser „Empfehlung“ gegen Verstöße gegen die Menschenrechte in Hong Kong, in Tibet, der Inneren Mongolei und der Region Xinjiang protestieren. Diese „Empfehlung“ hätte sogar etwas Glaubwürdigkeit erhalten, hätten die Parlamentarier gleichzeitig den Mitgliedsstaaten empfohlen, am Sonntag keine Regierungsvertreter, Diplomaten oder andere VIPs nach London ins Wembley-Stadion reisen zu lassen, um dagegen zu protestieren, dass Großbritannien seit rund 10 Jahren den wohl bekanntesten Whistleblower der Welt, Julian Assange, in einem Hochsicherheitsgefängnis rechtswidrig festhält und ihn dort foltert, die der Sonderbeauftragte der UNO feststellte. Aber Menschrechtsverletzungen „bei uns“, da drückt man eben gerne ein Auge oder auch beide zu, vor allem, wenn man sich darüber empören kann, dass andere anderswo das Gleiche tun.

Noch glaubwürdiger wäre es gewesen, hätte das Europäische Parlament im gleichen Atemzug einen Untersuchungsausschuss eingerichtet, der sich mit der UEFA beschäftigen könnte und der Frage, wie viele Menschen sich durch das Diktat eines Fußballverbands in Europa mit dem Virus infiziert haben, wobei man gleichzeitig hätte fordern können, dass die UEFA ihre bei der EURO 2021 erzielten Gewinne den Gesundheits-Systemen der europäischen Länder zur Verfügung stellt. Aber da ist „China-Bashing“ natürlich einfacher, schmerzfreier und garantiert ohne jede Konsequenzen.

Dazu bewegte sich das Europäische Parlament auch auf das Themengebiet der Pressefreiheit. Völlig zurecht kritisierten die Parlamentarier die zwangsweise Schließung von „Apple Daily“, einer regierungskritischen Zeitung, deren Journalisten verhaftet und Gelder eingefroren wurden. Schön, dass sich die EU um die Pressefreiheit in anderen Teilen der Welt sorgt. Glaubwürdig wäre es gewesen, hätte das Parlament im gleichen Atemzug die Abschaffung der Pressefreiheit in Ungarn kritisiert, die Freilassung von Julian Assange gefordert und die Gleichschaltung der Leitmedien in anderen europäischen Ländern mit dem gleichen Engagement thematisiert.

So stellt sich die Frage, zu wessen Erfüllungsgehilfen sich das Parlament gerade macht. Soll diese „Empfehlung“ den USA in ihrem Handelskrieg gegen China helfen? Will man Joe Biden dabei unterstützen, den nächsten Kalten Krieg gegen China zu starten?

So lange das institutionelle Europa Dinge in anderen Teilen der Welt kritisiert, vor denen man die Augen verschließt, wenn sie in Mitgliedsstaaten passieren, so lange darf man sich nicht wundern, dass das allgemeine Interesse an „Europa“ weiter abnimmt. Vielleicht wäre es gar keine schlechte Idee, würde sich die EU erst einmal darum kümmern, für funktionierende demokratische Standards in der EU zu sorgen, bevor man anderen Ländern Lektionen erteilt…

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