„Black Thursday“ für Emmanuel Macron?

Am Donnerstag, den 5. Dezember, findet einer der größten Streiks statt, die Frankreich in den letzten Jahrzehnten erlebt hat. Der Höhepunkt einer Horrorwoche für den französischen Präsidenten.

Demonstrationen gegen die Rentenpolitik gibt es fast jedes Jahr (hier - Strassburg 2010), aber dieses Mal dürfte alles deutlich schärfer ablaufen. Foto: Christina from Victoria, Canada / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Die sozialen Unruhen der „Gelbwesten“, die Frankreich seit über einem Jahr erschüttern, dürften lediglich das Vorspiel dafür gewesen sein, was ab diesem Donnerstag bei den französischen Nachbarn passieren wird. Ein Megastreik des Öffentlichen Dienstes, getragen von fast allen Gewerkschaften, verschiedenen politischen Parteien, Berufsverbänden und zivilgesellschaftlichen Organisationen dürfte ähnliche Ausmaße annehmen wie der Riesenstreik, der am 5. Dezember 1995 begann.

Hintergrund für diesen Streik, der das gesamte Land lahmlegen wird, ist die geplante Rentenreform in Frankreich, doch es geht bei diesem Streik um mehr – er wird der Ausdruck des landesweiten Protests gegen die allgemeine Politik der Regierung Macron / Philippe sein, die von vielen Franzosen als „Politik für die Reichen“ empfunden wird und in den ersten zweieinhalb Jahren der Amtszeit von Emmanuel Macron von vielen Einschnitten ins soziale Netz begleitet wurde. Ob Senkung des Wohngelds um 5 € für die Ärmsten, bei gleichzeitiger Streichung der „Reichensteuer“ ISF, ob Erhöhung der Sozialbeiträge für Rentner – viele Franzosen haben das Gefühl, dass es den Reichen immer besser geht und die Rechnung dafür von den Ärmeren bezahlt werden muss.

Die Begründung Macrons für diese „Reichenpolitik“ ist immer die gleiche und war schon seine Argumentation, als er noch Wirtschaftsminister war und Milliarden an die größten Unternehmen des Landes verteilte – „damit schaffen wir Arbeitsplätze und davon profitieren schließlich alle“. Dabei muss man festhalten, dass dieser staatliche Neoliberalismus durchaus seine Früchte trägt, denn die Arbeitslosenzahlen sinken momentan und gleichzeitig sind die Wachstumsprognosen deutlich besser als beispielsweise in Deutschland. Dennoch hat sich bei vielen Franzosen das Gefühl festgesetzt, dass die Rechnung für diesen relativen wirtschaftlichen Erfolg von denjenigen bezahlt wird, denen es ohnehin schon schlecht geht, insbesondere auch von den Mitarbeitern des Öffentlichen Diensts.

Tatsache ist, dass Lehrer, Krankenschwestern, Polizisten und andere in Frankreich im internationalen Vergleich bereits sehr schlecht bezahlt sind – so verdient beispielsweise ein Lehrer in Deutschland fast das Doppelte seines französischen Kollegen. Dazu führt der Staat massive Einsparungen beim Personal durch, wodurch zum Beispiel die ohnehin schon völlig überforderten Krankenschwestern oder auch Ärzte in den öffentlichen Krankenhäusern mit immer weniger Personal auskommen müssen und viele Krankenhäuser in strukturschwachen Regionen einfach geschlossen werden. Da diese Entwicklung viele Bereiche betrifft, wird der Streik am 5. Dezember auch von sehr vielen Franzosen mitgetragen werden.

Allerdings geht es einigen bei diesem Streik auch um die Beibehaltung ziemlich anachronistischer Privilegien. So dürfen zahlreiche Berufe bei der Staatsbahn SNCF bereits mit 55 Jahren in Rente gehen, Zugkontrolleure unter bestimmten Umständen sogar schon mit 52 Jahren. Den Streikenden in den Verkehrsbetrieben geht es also weniger um soziale Gerechtigkeit, als vielmehr um die Beibehaltung von Privilegien, die enorm sind – wer mit 52 Jahren in Rente geht, hat bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung eine Rentendauer, die seiner Lebensarbeitszeit entspricht.

Natürlich werden auch die „Gelbwesten“ am 5. Dezember mitmischen und es wird vielerorts befürchtet, dass es zu Ausschreitungen kommen wird. Dabei ist pikant, dass auch Polizeigewerkschaften an dem Streik teilnehmen wollen – wie Emmanuel Macron diese Situation managen will, ist fraglich.

Dazu kommt, dass es aller Voraussicht nach nicht beim Streiktag am 5. Dezember bleiben wird – so kann man beispielsweise heute schon keine Zugtickets mehr für den Zeitraum 5. bis 8. Dezember buchen und einige Gewerkschaften haben angekündigt, den Streik beliebig und immer nur mit einer Ankündigung am Vortag weiterführen zu wollen.

Stürzt sich Frankreich in der Adventszeit in ein kaum noch zu beherrschendes Chaos? Genau das steht zu befürchten – zumal sich die Regierung in der Vergangenheit als ziemlich unfähig zum Dialog gezeigt hat. So zeitigten beispielsweise die „Großen nationalen Debatten“ zu Beginn dieses Jahres keinerlei Reaktion auf die Forderungen, die in diesen Debatten erhoben wurden – schlimmer noch, die Ergebnisse dieser zweimonatigen Konsultation wurden bis heute von der Regierung nicht veröffentlicht. Fairerweise muss man sagen, dass die Regierung nach langem, viel zu langem Zögern am Ende 17 Milliarden Euro in Sozialprogramme investiert hat, die allerdings nach Einschätzung von Experten an der eigentlichen Zielgruppe vorbeigingen.

Ab dem 5. Dezember geht es für Emmanuel Macron um weitaus mehr als „nur“ den sozialen Frieden im Land, der bereits schwer angeschlagen ist. Vier Monate vor den wichtigen Kommunal- und OB-Wahlen in Frankreich geht es auch bereits um die Zukunft der Regierungspartei „La République en Marche – LREM“ – sollte Macron keine passende Antwort auf diese Explosion der Unzufriedenheit finden, sollte er, wie bisher, auf diese Proteste mit Repression reagieren, werden seine Kandidaten bei den OB-Wahlen dafür bluten und das könnte bereits der Wendepunkt in der Geschichte von „LREM“ werden.

Für Emmanuel Macron beginnt an diesem „Black Thursday“ der richtige Horror der Woche. Nachdem er bereits am Montag die Trauerfeier für die 13 in Mali ums Leben gekommenen Soldaten leiten musste, nachdem er sich danach in London beim NATO-Gipfel harten Auseinandersetzungen im Format „allein gegen alle“ stellen muss, könnte am Donnerstag die bisher wohl kritischste Phase seiner Amtszeit beginnen. Das Ausland ist gewarnt, es zirkulieren Reisewarnungen, der Güterverkehr organisiert sich, da das Land am und ab dem 5. Dezember weder angefahren noch durchquert werden kann und eine der Warnungen des ADAC klingt besonders bedrohlich: „Vermeiden Sie auf jeden Fall Menschenansammlungen in den großen Städten, da es dort zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen kann“. Ob sich Frankreich darüber bewusst ist, wie sich das Bild des Landes des guten Geschmacks, der Haute Couture, der Spitzengastronomie und der Liebe verändert hat, seit Emmanuel Macron an der Macht ist?

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