Bolero zur Fünften – OPS mit Ravel und Prokofiew
Ravels Bolero und Prokofiews fünfte Symphonie - wie das spanisch angehauchte Tanzstück im Endlosrhythmus mit einer Kriegssymphonie aus der Sowjetunion unter einen Hut bekommt, werden wir am 4. Oktober im Konzertsaal der Straßburger Philharmonie erfahren können.
(Michael Magercord) – Um das gleich zu Anfang richtigzustellen: Das meist gespielte Stück der neueren klassischen Musik ist NICHT der „Bolero“ von Maurice Ravel, sondern sein „La Valse“. Aber das ändert nichts daran, dass alle, aber auch wirklich ALLE, den Bolero kennen. Das dürfte allerdings nicht für sein im Jahre 1930 als innovativ geltendes Klavierkonzert aus baskischen Einflüssen und Jazzharmonien gelten, und schon gar nicht für die Fünfte Symphonie von Prokefiew. Und doch werden diese drei Werke am Freitagabend gemeinsam erklingen.
Soll man Sergej Prokofiew als russischen oder doch eher sowjetischen Komponisten wider Willen betrachten? Sein Leben war jedenfalls eng mit dem Schicksal seines Landes verknüpft, was sich nicht zuletzt in seinen insgesamt sieben Symphonien widerspiegelte.
Als junger Mann in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhundert galt er als wüster Modernist, der in einem seiner ersten Orchesterwerke, der „Skytischen Suite“, eine „barbarische Aggressivität“ vertonte, wie Zeitgenossen ihr Hörgefühl benannten. Doch ausgerechnet seine erste Symphonie von 1917 sollte ein relativ kurzes und harmonisches Werk werden. Er selbst betitelte die Symphonie als „klassisch“, und im Nachhinein galt sie gar als Beginn der sogenannten Neoklassik, mit der die Wiederbelebung des symphonischen Schaffens nach dessen Post-Mahlerschen Krise eingeläutet wurde: Auch im modernistischen 20. Jahrhundert war die große symphonische Geste möglich.
Die folgenden drei Symphonien entstanden bereits in Paris, wohin es den immer bekannteren Pianisten und Komponisten – im Anschluss eines kurzen Amerikaaufenthalts nach der Oktoberrevolution – mit Erlaubnis der gerade entstandene Sowjetregierung trieb. In der französischen Hauptstadt, dem Zentrum der russischen Moderne, dort nämlich, wo Strawinsky, Rachmaninow und der Impresario Dagheliev wirkten, fand Prokofiew den Weg zurück in die Anfänge: schroffe, disharmonische, ausdrucksstarke Musik, die, so der Komponist, „meinem Hang zum komplizierten Ausdruck“ entsprach. Und diese Kost traute er eher dem französischen als dem heimischen russischen Publikum zu.
Die dritte Symphonie wurde 1929 in Paris aufgeführt, die vierte bereits in Boston. In den USA erlebte Prokofiew Erfolge vor allem als Pianist, unternahmen anstrengende Konzertreisen, seine kompositorisches Schaffen fand allerdings nicht die gleiche Anerkennung, so blieb seiner eher ruhigeren Vierten, die seiner Suche nach weniger ermüdenden Leben Ausdruck verlieh, der Durchbruch versagt.
1936 schließlich kehrte er in die Sowjetunion zurück im Glauben, dort nun einer wichtigeren Aufgabe dienen zu können, als im auch musikalisch saturierten Westen. „Große Musik, mit der die Millionenmassen in Berührung kommen“, wollte er dem gesellschaftlichen Aufbruch beisteuern, und zwar in einer „Einfachheit, die aber neu sein muss“. Ballett- und Filmmusik entstand und erst in der Endphase des Zweiten Weltkrieges kam eine neue Symphonie dazu: seine Fünfte, die er als „Symphonie über die Größe des menschlichen Geistes“ gegen das Böse gestellt sehen wollte.
Erstaunlicherweise hatten die sowjetischen Künstler im Krieg große Freiheiten. Die Komponisten lebten weit im Lande fern der Front in einer Kolonie, aus der heraus sie den gebeutelten Menschen mutmachende Werke schenken sollten.
Seine Fünfte mit der symbolischen Opusnummer 100 ist sehr lyrisch geworden, eine Huldigung an die mittlerweile siegreichen Kräfte, allerdings eine, die ganz ohne Pathos auskommt. Ein Werk, das die Vorgaben erfüllt, es ist weniger avantgardistisch als sein Vorgänger, und bildete zusammen mit Dimitri Schostakowitschs Siebter und Chatschaturjans Zweiter in den Kanon der großen patriotischen Kriegssymphonien, und sie wurde neben der ersten seine meist gespielte: Harmonie in Werk, mit der Kulturbürokratie und den Massen.
Schon mit seiner folgenden, die nach dem Krieg entstand, war es vorbei mit der Harmonie, sowohl im Werk, worin Prokofiew wieder an seiner Pariser Zeit anknüpfte, als auch mit dem offiziellen sowjetischen Komponistenverband. Die Kritik kam umgehend: formalistisch sei die Musik, die die Masse aus dem Blick verloren hat. Der Kritisierte trat aus dem Verband aus, und seine letzte, siebte Symphonie war eine Antwort, frische, melodische Musik, in der sich Originalität und Einfachheit die Waage halten. Ihre Uraufführung im Oktober 1952 in Moskau war ein großer Erfolg, und auch der letzte, den der Komponist noch erleben durfte. Am 5. März verstarb der seinerzeit 61-jährige Komponist nach längerer Krankheit, am selben Tag wie Diktator Stalin– fast, als sollte auch sein Tod ein Schlussakkord sein für die Symphonie eines bewegten Lebens.
Am nächsten Freitag wird der fünfte Teil der siebenteiligen Lebenssymphonie Sergej Prokofiews in Straßburg zu hören sein, und dann mal abwarten, ob uns die Philharmonie in einer der nächsten Spielzeiten noch weitere Einblicke in das Lebensschicksal dieses Komponisten, das die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts widerspiegelt, erlauben wird.
Konzert der Straßburger Philharmonie OPS
Prokofiew – 5. Symphonie
Maurice Ravel – Klavierkonzert, Bolero
Dirgent: Aziz Shokhakimov
Klavier: Bertrand Chamayou
Palais de la Musique et des Congrès
FR 4. Oktober, 20 Uhr
Infos und Tickets gibt es HIER!
Konferenz vor dem Konzert (auf Französisch)
Camille Lienhard darüber, wie Prokofiew und Ravel klassische Form in das 20. Jahrhundert belebten.
19 Uhr im Marie-Jaëll-Saal im PMC, Eintritt frei
Folgende Konzerte der OPS im PMC:
Kodaly, Chatchaturian und der 8. Symphonie von Antonin Dvorak – DO 10. und FR 11. Oktober
George Gershwin, Kurt Weill und Leonard Bernstein – FR 8. November
Das komplette Programm der Saison findet sich HIER!
Und dazu noch einen CD-Hinweis:
Eine komplette Einspielung des symphonischen Werks von Sergej Prokofiew bietet die 4-CD-Box mit der Aufnahme der Tschechischen Philharmonie unter dem Dirigenten Zdeněk Košler aus den Jahren 1973 bis 1982. Damals war es die erste Gesamteinspielung aller Symphonien und der Skytischen Suite. Die Aufnahmen wurden 2012 remastered und bieten heute eine relativ preisgünstige Gesamteinspielung auf sehr hohem Niveau.
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